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In Herrlingen, Hoogstede und Braunschweig boomt Mädchen- und Frauen-Tischtennis (Foto: Murek)

Best Practice: Es geht auch anders!

Susanne Heuing / FL 19.09.2015

Münster/Neu-Isenburg. Was ist das Geheimnis von Vereinen, in denen Mädchen und Frauen-Tischtennis boomt? Susanne Heuing, Redakteurin beim Fachmagazin "tischtennis", war in drei Vereinen auf Spurensuche. Ihr Beitrag aus der Februar-Ausgabe von tt ist der letzte Teil unserer Serie zur Mädchen- und Frauenförderung.


Über die Grenzen Niedersachsens hinaus kennen wohl die wenigsten Hoogstede, diesen kleinen Ort in der Grafschaft Bentheim, der keine 3.000 Einwohner zählt. Dabei zeichnet die Tischtennis-Abteilung des Hoogsteder SV etwas aus, das möglicherweise einzigartig, zumindest aber selten ist in Deutschland: Die Anzahl der weiblichen Mitglieder ist höher als die der männlichen, von 51 Aktiven sind 27 weiblich. Das können selbst der RSV Braunschweig, bei dem in dieser Saison acht Damen-Teams von der Verbands- bis zur Kreisklasse gemeldet sind, und der TSV Herrlingen, der über fünf Damen-, vier Mädchen- und eine Seniorinnen-Mannschaft verfügt, nicht von sich behaupten. (Hinweis: Alle Zahlen im Text beziehen sich auf die Saison 2014/2015.)


Auf die eine Formel, dank der Mädchen- und Frauen-Tischtennis in diesen Orten boomt, lässt sich der Erfolg der drei Klubs nicht reduzieren. Doch einige Zutaten sind sowohl in Hoogstede, Braunschweig als auch in Herrlingen Teil des Erfolgsrezepts. Dazu gehören weibliche Bezugspersonen für den weiblichen Nachwuchs, intensive Nachwuchswerbung durch Schul-AGs oder mini-Meisterschaften sowie ein reges Vereinsleben mit Unternehmungen jenseits des Wettkampfspielbetriebs.


Beachtlich ist die Entwicklung des Hoogsteder SV


Beachtlich ist die Entwicklung des Hoogsteder SV – erst 1983 wurde die Abteilung gegründet und war anfangs ein reiner Herren-Verein; der Aufschwung begann mit den mini-Meisterschaften, die der HSV im Januar dieses Jahres schon zum 28. Mal ausrichtete. „Über dieses Turnier wurden bislang fast alle größeren Talente des Vereins rekrutiert“, erzählt

Abteilungsleiter Jürgen Büter. Von Anfang an waren viele Mädchen darunter, Erfolge stellten sich auch recht schnell ein: 2004 qualifizierte sich Julia Wojtaszek für das Bundesfinale der Minis, 2008 stiegen die Mädchen in die Niedersachsen-Liga auf, 2011 qualifizierte sich die Damen-Mannschaft als Landespokalsieger für die Deutsche Pokalmeisterschaft. Dank dieser Erfolge ist der Abteilung eine gewisse Präsenz in den lokalen Medien gewiss, und das ist für Büter einer der Hauptgründe, dass sich immer mehr Hoogstederinnen gegen Fußball, Volleyball oder Turnen und für Tischtennis entscheiden: „Die Leute im Dorf wissen, dass wir leistungsmäßig gut dabei sind.“ Und das gilt eben besonders für die Mädchen und Frauen, die seit zehn Jahren auch numerisch in der Überzahl sind – ohne dass der Klub je Aktionen gestartet hat, die speziell darauf abzielten, Mädchen in den Verein zu locken.

Die Talente von früher spielen inzwischen in der 1. Damen-Mannschaft (Landesliga), und einige von ihnen engagieren sich als Trainerinnen und Betreuerinnen. „Das ist sicher einer der Gründe dafür, dass die Mädchen sich bei uns so wohlfühlen“, sagt Büter. Weitere Wohlfühlfaktoren sind die vielen gemeinschaftlichen Unternehmungen, wie Zeltlager und Grillfeste, Eltern-Kind-Turniere und das jährliche Doppel-Turnier mit dem niederländischen Partnerklub De Treffers Klazienaveen, bei dem je ein Spieler oder eine Spielerin aus Deutschland mit einem Akteur aus den Niederlanden antritt. Berührungsängste haben die Hoogsteder Mädchen keine, aus dem Spielbetrieb sind viele von ihnen es ohnehin gewohnt, mit Jungen in gemischten Teams zu spielen. „Wir haben nicht genug Jungs, um die Mannschaften voll zu kriegen“, sagt Jürgen Büter. „Das ist sicher außergewöhnlich.“ Doch in Hoogstede gibt es ja zum Glück genug Mädchen, um die Teams aufzufüllen.


Auf reine Mädchen- bzw. Damen-Teams setzt man beim TSV Herrlingen


Auf reine Mädchen- bzw. Damen-Teams setzt man beim TSV Herrlingen – und das ganz bewusst. „Wir verfolgen die Philosophie, wenn ein Mädchen oder eine Dame über ist, um sie herum eine Mannschaft aufzubauen“, sagt Abteilungsleiter Wolfgang Laur. So wurde vor dieser Saison eine neue 5. Damen-Mannschaft geboren, weil ein Mädchen nach dem altersbedingten Wechsel in den Erwachsenenbereich noch nicht stark genug für die Vierte war. Mit einigen Ersatzspielerinnen der Vierten, Ersatzspielerinnen der Jugend und einer Seniorin zusammen bildet sie nun die 5. Mannschaft.

Der Klub, dessen Aushängeschild in der Damen-Regionalliga spielt und der auch im männlichen Bereich gut aufgestellt ist, hat derzeit soviel Zulauf, dass seine Kapazitätsgrenzen erreicht sind. „Die letzten mini-Meisterschaften haben wir 2005 durchgeführt – wir sind inzwischen so bekannt, dass die Neuen fast von ganz alleine kommen“, sagt Laur. Ein Selbstläufer ist es aber noch nicht ganz, mit Schul-AGs oder -Turnieren, wie dem vom TTVWH initiierten Schulteamcup, sorgt der TSV dafür, dass es nicht an Nachwuchs mangelt.

Was auch zur Philosophie des TSV gehört: Die Erwachsenen kümmern sich um den Nachwuchs. Alle Mädchen-Teams werden über die gesamte Saison von einer Damen-Mannschaft betreut, die Jungen-Teams von einer Herren-Mannschaft. Das erleichtert später den Übergang aus dem Jugend- in den Erwachsenenbereich. Und so strikt die Trennung zwischen Männlein und Weiblein im Meisterschaftsspielbetrieb ist, so bunt ist die Mischung im Training. Da spielen Mädchen mit Jungs, Ältere mit Jüngeren. Alle zusammen ist auch das Motto bei Meisterfeiern, Vereins-Olympiaden oder Ski-Freizeiten.


RSV Braunschweig verfügt über solides Gerüst im Damen- und Mädchen-Bereich


Dass den Mädchen und Frauen neben dem Wettkampfaspekt auch der gesellige wichtig ist, diese Erfahrung haben sie auch beim RSV Braunschweig gemacht. „Meine Frau organisiert Wanderungen, Weihnachtsfeiern und Ähnliches“, sagt Abteilungsleiter Helmut Walter, „da haben die Frauen noch mehr Interesse dran als die Männer.“

Der Klub hat sich zu einer Hochburg für Frauen-Tischtennis entwickelt, ohne dass er gezielt darauf hingearbeitet hat – Zufall ist es aber wohl dennoch nicht. Den größten Teil des Nachwuchses rektrutiert der Verein aus Schul-AGs, die von FSJlern geleitet werden – und die waren in den letzten Jahren zumeist weiblich. Und wer erst einmal über ein solides Gerüst im Damen- und Mädchen-Bereich verfügt, der wird auch zum Anlaufpunkt für auswärtige Spielerinnen. Zum RSV Braunschweig kommen auch Mädchen, die anderswo begonnen

haben. So war es etwa bei Caroline Hajok, die inzwischen in der 2. Bundesliga (Tostedt) und der Mädchen-Nationalmannschaft spielt. Von der Konkurrenz werde das mitunter kritisch beäugt, sagt Walter, der rechtfertigt: „Wir haben in der vergangenen Saison in der Niedersachsenliga 2800 Fahrtkilometer absolviert, an Kosten sind mehrere hundert Euro zusammen gekommen – diese Mühe machen sich viele andere nicht.“

Anders als in Herrlingen gibt’s in Braunschweig wie in Hoogstede im Nachwuchsbereich auch gemischte Teams. Was sinnvoller ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Einig sind sich die Vertreter der drei Vereine jedoch darin, dass Mädchen behutsam an den Wettkampfsport herangeführt werden sollten. „Wir hatten mal ein Mädchen, das Zwölfte beim Bundesentscheid der mini-Meisterschaften geworden ist. Die hat danach erst mal gesagt Ich hab’ da ja verloren, jetzt spiel’ ich nicht mehr“, erinnert sich Walter. In Braunschweig ist es Prinzip, Jungs wie Mädchen etwa ein Jahr im Training für den Wettkampfsport zu wappnen. Um zu vielen Misserfolgserlebnissen vorzubeugen, trainiert, wer noch nicht gut genug ist, auch in Hoogstede noch ein Jahr ohne Meisterschaftsspiele bei den HSV-Minis mit. Die Herrlinger versuchen, ihre Mädchen recht früh in den Wettkampfsport einzubinden, „auch wenn das manchmal Überzeugungsarbeit kostet. Die Mädchen spielen ja auch im Training nicht so gerne Wettkampf“, sagt Laur.

Doch in Herrlingen bleiben die meisten Mädels dabei – in Hoogstede und Braunschweig ebenso. Weil sie die richtigen Zutaten zum Erfolgsrezept gefunden haben.

Der Beitrag ist entnommen aus der Februar-Ausgabe des Magazins "tischtennis". Mit freundlicher Genehmigung des Philippka-Sportverlags


Serie zur Mädchen- und Frauenförderung

Immer weniger Mädchen und Frauen spielen Tischtennis. Nur 20 Prozent beträgt der weibliche Anteil im DTTB, auch wenn es in Vereinen und Verbänden durchaus viele Positiv-Beispiele gibt. Dennoch sind die Zahlen rückläufig. Wie kann die Tischtennis-Gemeinde gemeinsam den Trend umkehren? Was kann man von Clubs lernen, in denen es besser läuft und welche Faktoren begünstigen die Mädchen- und Frauenförderung? Solchen und ähnlichen Fragen sind wir nachgegangen, die Arbeitsgruppe „Mädchen und Frauen“ im DTTB hat Standards für Vereine und Verbände entwickelt, welche von Präsidium und Beirat beschlossen wurden. Über zwei Wochen lang präsentieren wir Ihnen täglich Hintergrundinfos, Geschichten und Interviews zu dem Thema.

Teil 1: Rückläufige Zahlen, aber leichte Hoffnungsschimmer

Teil 2: Interview: „Wenn die Atmosphäre nicht stimmt, kann man Mädchen nicht halten“

Teil 3: 40 Jahre Damen-Bundesliga - ein Rückblick in drei Akten (I)

Teil 4: Mein Tischtennis-Leben: Nina Spalckhaver (18) aus Lübeck trainiert Flüchtlingskinder

Teil 5: Fünf Fragen - fünf Antworten

Teil 6: 40 Jahre Damen-Bundesliga - ein Rückblick in drei Akten (II)

Teil 7: Mein Tischtennis-Leben: Nachwuchstrainerin Nathalie Schröter vom TSV Butzbach

Teil 8: Mädchen-Training: Anregungen und Tipps

Teil 9: 40 Jahre Damen-Bundesliga - ein Rückblick in drei Akten (II)

Teil 10: Bundesweites Damen-Turnier mit Kennenlernen und Kinderbetreuung: BW Datteln macht's vor

Teil 11: Spielerische Wettkampfformen für Mädchen

Teil 12: Anja Gersdorf: Der Traum vom Highlight Olympia und kreativen Ideen

Teil 13: Interview mit Dr. Petra Tzschoppe: Frauen als Schlüssel zur Problemlösung für Vereine

Teil 14: Interview Eva Jeler: Über Selbstbewusstsein, Souveränität und Investitionen

Teil 15: Wiebke Julius: Sportreferentin, Demokratietrainerin, Tischtennisspielerin

Teil 16: Der "Perfekte Mädchentrainer"

Teil 17: Ministerin Schwesig: "Vereine können es sich gar nicht leisten, auf Frauen und Mädchen zu verzichten"

Teil 18: Best Practice: Es geht auch anders!

Standards zur Mädchen- und Frauenförderung für Vereine und Verbände

Was können Vereine und Verbände tun, damit sich das ändert? Der Deutsche Tischtennis-Bund hat in seiner Arbeitsgruppe zur Mädchen- und Frauenförderung Standards für Verbände und Vereine entwickelt. Darin heißt es unter anderem, dass ein Verein „grundsätzlich geschlechtergerechte Zugangsvoraussetzungen schafft“, „die Möglichkeit des weiblichen Spielbetriebs forciert“ oder eine „Trainerin hat“.

In der Präambel der Standards für Verbände heißt es: "Ziel der Mädchen- und Frauenförderung des DTTB und seiner Landesverbände ist die gleichberechtigte und selbstverständliche Teilhabe von Mädchen und Frauen im Tischtennis..." Unter anderem soll bei der Planung von Maßnahmen, Lehrgängen und Veranstaltungen für beide Geschlechter darauf geachtet werden, dass der Anteil der weiblichen Teilnehmenden bei mindestens 30 Prozent liegt.

Standards zur Mädchen- und Frauenförderung im Tischtennis für Vereine und Verbände


Standards für die Mädchen- und Frauenförderung in Vereinen (pdf-Datei)


Standards für die Mädchen- und Frauenförderung in Verbänden (pdf-Datei)

 

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