Baku. Die Hiobsbotschaft deutete sich am Vorabend bereits an und war dann am Sonntagmorgen Realität: Timo Boll fiel vor dem Viertelfinale gegen Schweden mit Magen-Darm-Problemen aus, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Baum mussten es alleine richten gegen den Rekord-Europameister aus Skandinavien, durften sich keinen Patzer erlauben, denn durch Bolls Fehlen hatten die Kontrahenten bereits zwei Punkte auf der Habenseite. Und das Duo von Coach Jörg Roßkopf hat es geschafft. „Das war eine tolle Leistung. Die beiden haben dem Druck gut standgehalten“, lobte der Bundestrainer und kritisierte gleichzeitig das Fehlen von Ersatzspielern, die in Baku nicht vorgesehen sind.
Dimitrij Ovtcharov rang zum Auftakt Pär Gerell in fünf Sätzen nieder und hatte es dabei nicht leicht: Die ehemalige Nummer 34 der Weltrangliste ist für viele ein unangenehmer Gegner. So hatte auch Ovtcharov bei den Rallyes über die Vorhandseite häufiger als sonst das Nachsehen wegen der etwas ungewohnten, etwas weicheren Topspins des Linkshänders. „Da muss Dima mehr nach vorne arbeiten“, erklärte Roßkopf.
Roßkopf: „Die Schweden hatten drei Chancen, uns zu schlagen“
Der Doppel-Weltmeister von 1989 und fünffache Olympia-Teilnehmer kritisierte das Meldesystem bei den European Games, aber auch bei Olympischen Spielen. In Baku ist im Tischtennis kein Ersatzspieler vor Ort, anders als bei Olympia. Doch auch dort müsste man die Nummer vier sechs Stunden vor Spielbeginn für den Ausgefallenen melden (Roßkopf: „Eine sehr lange Zeit im Hochleistungssport, wo auch kurzfristig viel passieren kann.“) und dürfte diesen Wechsel bis Turnierende nicht mehr rückgängig machen – auch nicht für den Fall, dass der Stammspieler sich erholt. „Wir hatten Glück, dass wir 2008 und 2012 von einem Ausfall verschont geblieben sind. Hätten wir damals oder auch hier bei nur zwei Spielern das erste Einzel verloren, wäre die ganze Partie schon nach einem Spiel vorbei gewesen“, zeigte Jörg Roßkopf auf. „Wie sähe das denn aus? Es ist schon der Wahnsinn: Jede Sportart darf Ersatzspieler dabei haben, nur wir nicht. Aber wir kannten die Gefahr.“
Und weil sich Bolls Ausfall bereits am Samstag andeutete, konnte sich die Mannschaft darauf einstellen. „Die Schweden hatten drei Chancen, uns zu schlagen, aber wir waren in allen Spielen der Favorit“, so Roßkopf. „Dima und ‚Patti‘ sind Top-10- bzw. Top-20-Spieler. Sie sind es gewohnt, mit Druck umzugehen.“ Patrick Baum bestand die Nervenprobe gegen Kristian Karlsson, setzte sich mit 3:1 durch. „Im ersten Satz lag ‚Patti‘ zuerst deutlich hinten und ist dann noch mal gut herangekommen. Schade, dass er nicht schon den ersten gewonnen hat“, bedauerte der Coach, denn dies hätte ihm die Partie erleichtert. Doch auch so ließ Baum ein 11:7, 11:8 und 11:9 folgen.
Ovtcharovs Krimi gegen Jon Persson
Beim Stand von 2:2 absolvierte Ovtcharov gegen Jon Persson das entscheidende Einzel als Krimi. Einem 11:9-Sieg in Durchgang eins für den Weltranglistensechsten ließ er eine 10:6-Führung in Satz zwei folgen. Doch konnte er weder diese vier Satzbälle in Folge nutzen, noch einen fünften, den er bei 11:10 hatte. Im Dritten setzte sich Schwedens Nummer drei mit 3:0 ab, bevor sich Ovtcharov erholte. Doch auch beim 9:7 von Europas Nummer eins blieb sein Gegner ruhig, glich zum 9:9 aus und erspielte sich zwei Satzbälle. Jetzt hielt der amtierende Einzel-Europameister gegen, nutzte seine Aufschlagvorteile und blieb bei den Rallyes der aktivere Part: 13:11. „Persson mag diese knappen Spiele und hat eine starke Vorhand“, sagte Roßkopf. Aber es war auch für ihn keine leichte Situation: Er macht vorher kein Spiel, und plötzlich steht er im entscheidenden Match Dimitrij Ovtcharov gegenüber.“
Das Comeback Timo Bolls im Halbfinale gegen Frankreich um 16.30 Uhr deutscher Zeit schließt Jörg Roßkopf aus. „Eine kleine Hoffnung auf morgen besteht. Wir müssen abwarten, wie es sich entwickelt.“ Boll ist im Athletendorf in Behandlung des deutschen DOSB-Ärzteteams.
Herren-Mannschaft, Sonntag
Viertelfinale um 9.30 Uhr
Deutschland - Schweden 3:2
Deutschland: Dimitrij Ovtcharov (Weltrangliste: 6), <strike>Timo Boll (7)</strike>, Patrick Baum (21)
Schweden: Kristian Karlsson (51), Pär Gerell (77), Jon Persson (81)
Dimitrij Ovtcharov - Pär Gerell 3:2 (-5,6,8,-9,6)
Patrick Baum - Kristian Karlsson 3:1 (-12,7,8,9)
Baum/Boll - Gerell/Jon Persson 0:3 kampflos
Boll - Karlsson 0:3 kampflos
Ovtcharov - Jon Persson 3:1 (9,-11,11,8)
Frankreich – Weißrussland 3:0
Österreich – Russland 3:0
Polen – Portugal 3:0
Halbfinale um 16.30 Uhr (deutscher Zeit)
Deutschland - Frankreich
Österreich - Portugal
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So funktioniert das Olympia-System der Team-Wettbewerbe
Die Medaillen-Entscheidungen am Montag
14 Uhr: Herren-Mannschaft, Spiel um Bronze
17 Uhr: Herren-Mannschaft, Finale
Damen-Mannschaft, Sonntag
Viertelfinale um 6.30 Uhr deutscher Zeit
Deutschland - Russland 3:0
Han Ying - Yana Noskova 3:1 (4,-6,7,1)
Petrissa Solja - Polina Mikhailova 3:1 (3,7,-9,7)
Doppel: Shan Xiaona/Solja - Noskova/Anna Tikhomirova 3:0 (6,7,7)
Deutschland: Han Ying (Weltrangliste: 10), Petrissa Solja (24), Shan Xiaona (29)
Russland: Polina Mikhailova (70), Yana Noskova (84), Anna Tikhomirova (85)
Frankreich - Tschechien 1:3
Ukraine - Schweden 3:0
Polen - Niederlande 2:3
Halbfinale um 13.30 Uhr
Deutschland - Tschechien
Ukraine - Niederlande
Die Medaillen-Entscheidungen am Montag
6.30 Uhr: Damen-Mannschaft, Spiel um Bronze
9.30 Uhr: Damen-Mannschaft, Finale
Rückblick Mannschaft
Samstag, Achtelfinals
Damen, Deutschland – Ungarn 3:0
Shan Xiaona - Dora Madarasz 3:1 (6,5,-12,7)
Han Ying - Georgina Pota 3:0 (4,2,5)
Shan/Petrissa Solja - Madarasz/Szandra Pergel 3:1 (-7,4,8,11)
Portugal – Russland 1:3
Frankreich – Aserbaidschan 3:0
Tschechien – Österreich 3:1
Ukraine – Weißrussland 3:1
Schweden – Rumänien 3:1
Polen – Luxemburg 3:1
Niederlande – Serbien 3:0
Herren, Deutschland – Spanien 3:0
Timo Boll - Alvaro Robles 3:0 (2,8,5)
Dimitrij Ovtcharov - Carlos Machado 3:1 (5,17,-4,6)
Patrick Baum/Dimitrij Ovtcharov - Marc Duran/Alvaro Robles 3:1 (-7,4,11,6)
Ukraine – Schweden 0:3
Weißrussland – Tschechien 3:2
Griechenland – Frankreich 1:3
Österreich – Kroatien 3:0
Ungarn – Russland 0:3
Polen – Aserbaidschan 3:0
Portugal – Rumänien 3:1
Der weitere Zeitplan der European Games
Alle Angaben sind in deutscher Zeit. Aserbaidschan ist Mitteleuropa drei Stunden voraus.
Dienstag, 16. Juni (wegen der hohen Setzpositionen ohne deutsche Beteiligung)
8 Uhr: Damen-Einzel, 1. Runde (Gesetzte 17-32 gegen Gesetzte 33-48)
14 Uhr: Herren-Einzel, 1. Runde (Gesetzte 17-32 gegen Gesetzte 33-48)
Mittwoch, 17. Juni
8 Uhr: Damen-Einzel, 2. Runde (beste 32)
14 Uhr: Herren-Einzel, 2. Runde (beste 32)
Donnerstag, 18. Juni
8 Uhr: Damen-Einzel, Achtelfinale
10 Uhr: Herren-Einzel, Achtelfinale
14 Uhr: Damen-Einzel, Viertelfinale
16 Uhr: Herren-Einzel, Viertelfinale
Freitag, 19. Juni
8 Uhr: Damen-Einzel, Halbfinale
10 Uhr: Herren-Einzel, Halbfinale
13.30 Uhr: Damen-Einzel, Finale und Spiel um Bronze
16 Uhr: Herren-Einzel, Finale und Spiel um Bronze
Das deutsche Aufgebot in Baku
Herren-Mannschaft: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll, Patrick Baum
Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll
Damen-Mannschaft: Han Ying, Petrissa Solja, Shan Xiaona
Damen-Einzel: Han Ying, Petrissa Solja
Betreuer: Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf und Assistent Zhu Xiaoyong, Damen-Bundestrainerin Jie Schöpp, Teilmannschaftsleiter Rainer Kruschel, Dr. Rainer Eckhardt (Mannschaftsarzt, Ulm), Annette Zischka (Physiotherapeutin Olympiastützpunkt Hessen in Frankfurt am Main)
Für das ETTU-Präsidium vor Ort: Heike Ahlert (DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport)
Deutsches Schiedsrichter-Team in Baku: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Gerhard Schnabel (Schläger-Tester, Karlsfeld), Gert Selig (Hannover), Klaus Seipold (Meerbusch)