Rio/Olmütz/Frankfurt. Von den Olympischen Spielen ging es für Jörg Roßkopf nach ein paar Tagen Kurzurlaub direkt zu den Czech Open nach Olmütz. Der Tischtennis-Alltag hat den Herren-Bundestrainer wieder. Die Freude über die gewonnene Team-Bronzemedaille von Rio ist noch da, aber auch die Pläne und Ziele für Tokio 2020 und darüber hinaus. „2020 wird für uns nicht das Problem sein, aber wir brauchen 2024 und 2028 gute Spieler“, sagt er in Teil eins des zweiteiligen Interviews.
Eine lange Vorbereitungszeit mit seinem Nationalteam – vor Rio rund sechs Wochen am Stück – fand er für Tischtennis-Verhältnisse optimal und fordert: „Es wäre notwendig, eine so lange, intensive Vorbereitungsphase jedes Jahr zu haben.“
Im zweiten Teil des Interviews blickt er voraus auf die Heim-WM, die LIEBHERR Weltmeisterschaften vom 29. Mai bis 5. Juni 2017 in der Messe Düsseldorf. Seine Antworten zu den Düsseldorf-Planungen werden am Dienstag veröffentlicht.
Frage: Das Spiel um Bronze in Rio liegt nun zwei Wochen zurück. Du bist gerade bei den Czech Open im Einsatz. Bist du schon wieder im Tischtennis-Alltag angekommen? Falls ja, bedauerst du, dass du dir nicht mehr Zeit zum Genießen bleibt und zum Krafttanken für die nächsten Aufgaben?
Jörg Roßkopf: Es natürlich sehr schwierig in den Tischtennis-Alltag zurückzukommen, weil der Fokus, die Vorbereitung und die Intensität vor und bei Olympia unglaublich hoch sind. Das kostet natürlich sehr viel Kraft. Mich haben viele Leute angesprochen, dass im Fernsehen rüber gekommen ist, dass die Anspannung auch bei mir sehr groß gewesen ist. Das war sie auch bei diesen Spielen, weil ich gewusst habe, dass es schwer wird, dort Medaillen zu holen.
Jetzt ist der Tischtennis-Alltag wieder da, auch weil zu meinem Kader nicht nur die vier Spieler gehören, die in Rio waren, sondern andere, die jetzt bei den Czech Open in ihre Saison eingestiegen sind. Das Jahr geht also einfach durch. Das ist immer das schwierige nach einer Olympia-Saison, denn die neue Spielzeit geht direkt weiter. Die Pausen muss man sich dann irgendwann zwischendrin nehmen.
Du und deine Herren habt in Rio nach einer großartigen Mannschaftsleistung die Bronzemedaille gewonnen. Wie zufrieden bist du damit?
Roßkopf: Mit der Mannschaftsleistung war ich sehr, sehr zufrieden, weil wir gewusst haben, dass es in Rio viele Nationen gibt, die uns schlagen können, dass wir eine sehr schwierige Auslosung bekommen haben und dass Timo und Dima mit ein bisschen weniger Selbstvertrauen aus dem Einzelwettbewerb in die Mannschaft hineingekommen sind. Es war schwierig, die beiden wieder aufzubauen, aber das haben Bastian Steger und Patrick Franziska und wir im Trainer-Team, glaube ich, ganz gut hinbekommen. Das Spiel gegen Taiwan war wichtig, danach habe ich gewusst, dass wir als Mannschaft gut funktionieren würden. Das erste Spiel ist ohnehin immer schwierig, das war es auch vor vier Jahren in London, aber die Jungs haben hier gut gespielt, Basti hatte eine hervorragende Form, und das hat gezeigt, dass wir drei Einzelspieler haben, die Punkte machen können. Japan war und ist die bessere Mannschaft, China sowieso, aber ich habe gehofft, dass wir die dritte Medaille holen könnten. Und so kam es dann.
Ihr habt insgeheim mit zwei Medaillen geliebäugelt. Im Einzel war aufgrund von Setzung und Auslosung vor allem bei Dimitrij Ovtcharov mehr drin. Im Rückblick und nach der Analyse: Warum hat es nicht zu mehr gereicht für ihn und Timo?
Roßkopf: Natürlich haben sich die Spieler im Einzel viel ausgerechnet, vor allem Dimitrij, der gewusst hat, wie gut seine Auslosung war. Er war zu diesem Zeitpunkt aber mental nicht stark genug, um dem Druck standzuhalten. Vor vier Jahren ist er als einer von vielen, die eine Medaillen holen könnten, ins Turnier gegangen. Diesmal hat er für sich persönlich den Druck sehr hoch gehalten, im Vorfeld viele Sachen probiert hat, und das in wichtigen Phasen alles in den Griff zu bekommen, ist nicht so einfach. Wichtig ist, dass er sich zu den großen Ereignissen auf seine Basics konzentriert, auf die Sachen, die ihn stark gemacht haben. Zu viele Köche verderben den Brei, und er sollte sich auf sich selbst konzentrieren und auf die Leute, denen er vertraut. Ich glaube, dass er im Einzel zwar eine gute Form hatte, aber er konnte sie mental nicht rüberbringen, weil er in wichtigen Phasen oft das verkehrte gemacht hat. 2012 war er mental sehr, sehr stark und hat sich auch darüber die Medaille geholt.
Nach dem Einzel war mir klar, dass ein bisschen Druck von ihm nun abfallen würde. Man hat in der Mannschaft gesehen, wie stark er war und welches Potenzial er hat. Das muss er natürlich versuchen, auch im Einzel hinzukriegen. Bei den letzten beiden Weltmeisterschaften und jetzt bei Olympia hat das nicht so geklappt, aber er ist noch jung und wird es schaffen. Bei unserer Heim-WM nächstes Jahr bekommt er eine neue Chance. In Düsseldorf geht er wieder als heißer Medaillenkandidat an den Start.
Timo hat bei Olympischen Spielen im Einzel bisher generell nicht so gut gespielt. In Rio war es so, dass bei ihm in der Vorbereitung nicht alles optimal gelaufen ist. Er konnte definitiv nicht das Programm fahren, dass ein jüngerer Spieler betreiben kann. Dagegen gibt es Spieler, die sich intensiv und lange auf Olympia vorbereitet haben. Es muss das Ziel von Timo sein, das eine oder andere Turnier mehr zu spielen, damit er diese Wettkampfhärte wieder bekommt. In der Bundesliga sind es Best-of-five-, er braucht aber Best-of-seven-Spiele. Außerdem muss er gegen viele verschiedene Spieler antreten, damit er besser weiß, wie er taktisch agieren soll und nicht überrascht ist, was passiert. Dafür muss er das eine oder andere Turnier mehr spielen.
Würdest du mit dem Wissen von heute etwas anders machen?
Roßkopf: Natürlich würde ich das eine oder andere verändern, aber das sind Sachen, die ich mit den Spielern besprechen werde.
Es gibt in unserer Sportart viele verschiedene Interessen und manchmal wird man als Trainer bei der Terminplanung vor vollendete Tatsachen gestellt wird. Ich bin immer sehr zufrieden, wenn ich mit den Spielern lange arbeiten kann wie jetzt vor den Olympischen Spielen. Ich hatte die Jungs fast sechs Wochen am Stück zusammen, dazu hochkarätige ausländische Trainingsgäste. Das war im Vergleich zu unseren üblichen Verhältnissen optimal, und es wäre notwendig, eine so lange, intensive Vorbereitungsphase jedes Jahr zu haben. Die Erfolge nach vielen und langen Lehrgängen geben mir Recht, dass ich Spieler sehr gut auf wichtige Turniere vorbereiten kann. Man muss darin mehr Vertrauen haben und ein Vorbereitungsprogramm komplett durchziehen können. Das muss man in Zukunft einen Tick optimieren. Aber abgesehen davon kann bei Olympia immer sehr viel passieren. Daher bin ich, wie schon gesagt, sehr zufrieden, wie es in Rio gelaufen ist.
Das Doppel Timo Boll/Bastian Steger war gegen Südkorea der Joker, in den Partien zuvor ein Schwachpunkt. Ist das in Zukunft zu verändern, ohne die Vorbereitung aufs Einzel einzuschränken?
Roßkopf: Natürlich wollten wir im Vorfeld mehr Doppel spielen, vor allem bei Turnieren. Aber das hat nicht gepasst, weil Timo verletzt war. Er und Basti passen als Doppel zusammen, hatten gegen einen sehr schweren Gegner aus Taiwan Matchbälle, haben gegen die österreichischen Europameister ein gutes Spiel gemacht. Gegen die Japaner waren sie total überfordert, aber sie haben gegen Südkorea ein Riesending raus gehauen - das war ein ganz wichtiges Spiel. Es spricht für die Erfahrung der beiden, dass sie sich nicht haben verrückt machen lassen. Die Jungs untereinander haben sich Mut gemacht, und die zwei Südkoreaner hatten sehr viel Respekt vor den beiden. Für Olympia 2016 war alles okay.
Für Olympia 2020 müssen wir, um mithalten zu können, mehr Doppel spielen, Wettkämpfe und Training. Das muss relativ früh anfangen, mindestens zwei Jahre vorher, sonst werden wir in Zukunft mit der Mannschaft keine Chance haben.
Viele haben ihn in Rio gefragt. Er selbst würde gerne, wenn sein Körper es zulässt. Wie fest rechnest du mit Timo Boll in Tokio 2020 als Spieler?
Roßkopf: Ich werde mit etwas Abstand zu Rio mit ihm darüber sprechen. Er entscheidet selbst, wann er aufhört. Weil ich ihn als Spieler und Mensch sehr schätze, wünsche ich mir, dass er noch sehr lange spielt. Ich würde ihn gerne fest für Tokio 2020 einplanen, weil er nach wie vor ein sehr guter Spieler ist und uns mit seiner Erfahrung noch viele Jahre helfen kann. Wenn wir ein, zwei Stellschrauben verändern, wird er wieder noch besser spielen. Das hat er in der Vergangenheit bereits gezeigt: Er hat eine unglaublich gute WM 2015 und eine sehr gute WM 2014 gespielt. Darauf muss man aufbauen. Wichtig ist, dass er ein paar Turniere mehr spielt und dass sein Körper hält.
Die jungen Spieler müssen es als Anreiz sehen, dass in Rio zwei 35-Jährige in der Mannschaft standen, an denen sie 2020 vorbeikommen wollen. Dieser Konkurrenzkampf ist gut für Timo und Bastian und für die jungen Spieler.
Welche Vision hast du für dein Team bei den Sommerspielen in vier Jahren? Und wie können wir es schaffen, die Lücke zu China und Japan, die sich in Rio deutlich gezeigt hat, zu verringern?
Roßkopf: China und Japan haben es verdient, vorne zu stehen. China hat über einen langen Zeitraum immer wieder Topspieler aufgebaut. Japan hat in letzter Zeit sehr viel Geld in die Hand genommen, viele Spieler herausgebracht, und die Investitionen der Japaner werden Richtung 2020 mit Sicherheit weiter steigen. Deshalb muss man sich natürlich Sorgen machen.
Wir haben mit unseren Möglichkeiten 2016 wieder das Maximum herausgeholt und werden das hoffentlich auch 2020 schaffen. Es wird natürlich schwieriger.
Meine Vision ist, dass die Spieler härter und gezielter trainieren, dass wir in Düsseldorf die besten Spieler zusammenbringen. Wichtig ist, dass wir im Hinblick auf die Mannschaftswettbewerbe mehr Doppel trainieren, weil das Doppel ein wichtiger Bestandteil ist. Die Einzel funktionieren gut, aber in der Mannschaft müssen wir uns auf ein starkes Doppel konzentrieren. Wir haben genug Spieler, die gut Doppel spielen können.
Wie sieht es für die Olympiaden danach aus?
Roßkopf: Wir haben ein Generationenproblem in Deutschland und in Europa. 2020 wird für uns nicht das Problem sein, aber wir brauchen 2024 und 2028 gute Spieler. Deshalb müssen wir junge Spieler nach oben bringen, neue Talente finden und fördern. Das ist die Hauptaufgabe, und dafür benötigen wir jeden Trainer und jede Trainerin – in den Vereinen, an den Stützpunkten und in den Landesverbänden. Diese Trainer mit ihrem Engagement, ihrer Begeisterung für unseren Sport und ihrer großen Erfahrung leisten einen ganz wichtigen Beitrag für ein später erfolgreiches Nationalteam. Ein Bundestrainer-Team an der Spitze allein wäre hilflos.
Teil zwei folgt am Dienstag: Warum man "eine WM im eigenen Land nie verpassen" darf.