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Dem Idol seiner Kindheit ganz nah: Florian Schymetzki mit J-O Waldner (Foto: Bender)

Waldi und ich

SH 06.06.2013

Bremen. Als Erwachsener hat das ganz große Kribbeln nachgelassen, ein bisschen nervös ist Florian Schymetzki dennoch, als er erfährt, dass er Zeit mit Jan-Ove Waldner verbringen würde. Als Mitarbeiter der Tischtennis Marketing Gesellschaft hatte es der 35-jährige Wahl-Frankfurter beruflich im Laufe der Zeit schon mit vielen Tischtennis-Promis zu tun, auch Jan-Ove Waldner schon einige Male aus der Nähe gesehen, aber die Autofahrt vom Bremer Flughafen zum Hotel bei der Senioren-EM wäre schon etwas ganz Besonderes, dachte er schon vorher. Und das wurde es auch. „Er war in Plauderlaune“, erzählt Schymetzki. „Ich fand das sehr spannend und hätte das gar nicht erwartet.“ Er hatte mit allem gerechnet, mit einer ganz stillen Fahrt oder ein paar Belanglosigkeiten über das Wetter. Am Ende wurde es eine fast dreiviertelstündige Analyse der Situation in Schweden und des europäischen Tischtennis im Vergleich zu Asien, vor allem China.

Das Gespräch begann mit einem selbstkritischen Jan-Ove Waldner. „Ich hatte vor der Saison gehofft, dass ich meinem Verein in der Pingisligan mehr würde helfen können.“ Erst am letzten Spieltag hatte sich sein Stockholmer Sparvägens BTK für die Play-offs der höchsten schwedischen Liga qualifiziert, wo Waldner zusammen mit Anthony Tran, He Haijin und Daniel Schaffer spielt. Seine Bilanz auf der Spitzenposition war im Jahr eins nach dem Ende seines TTBL-Engagements bei Fulda-Maberzell nur ausgeglichen. „Die anderen Spieler sind jünger und fitter als ich und vor allem gegen mich unglaublich hoch motiviert. Ich konnte leider nicht den Beitrag für mein Team leisten, den ich mir erhofft hatte.“ Dabei sei die schwedische Liga natürlich nicht so stark wie die deutsche Bundesliga, auch seien nach Stockholm weniger Zuschauer gekommen als zu seiner Zeit in Fulda. „In Schweden hat es Tischtennis schwer. Fußball und Eishockey sind die beliebtesten Sportarten bei uns, aber auch andere Dinge halten die Kinder davon ab, intensiv Tischtennis zu spielen“, beschreibt er. „Wir haben zu wenig Nachwuchs, und die guten, die wir auch in Europa haben, kommen nicht schnell genug ganz nach oben.“ Im Junioren-Bereich seien sie noch gut, auf dem Weg zu Weltspitze stagniere dann die Leistung.

Co-Kommentator für Eurosport bei der WM in Paris

Am Spitzensport ist Waldner auch als Nationalteam-Privatier nah dran. Für seinen Sponsor DONIC ist er gern gesehener Gast bei internationalen Großveranstaltungen, nicht nur bei der Senioren-EM in Bremen, sondern auch zuletzt bei den Einzel-Weltmeisterschaften der Profis in Paris. Im Palais Omnisports etwa war er Co-Kommentator für den Fernsehsender Eurosport. Auch ein sechsfacher Weltmeister schüttelt seine Expertisen nicht aus dem Ärmel. „Ich habe mich intensiv vorbereitet und viele Spiele analysiert“, erzählt der Mann, den die deutschen gerne „Waldi“, die Schweden aber vornehmlich „J-O“ nennen. „Im Moment ist gegen die Übermacht China für andere Nationen kaum anzukommen. Das ist ihnen selbst nicht ganz geheuer. Sie sind nicht nur in der Schlaghärte überlegen, sondern auch mental.“

Für Jan-Ove Waldner ist WM-Bronzemedaillengewinner Ma Long, Bezwinger von Timo Boll im Viertelfinale, der spielerisch Kompletteste im Reich der Mitte und damit zurzeit auf der ganzen Welt. Sein Nachteil: seine psychische Schwäche gegenüber Teamkollegen wie Zhang Jike oder Xu Xin. „Es kann gut sein, dass er deshalb nie die ganz großen und vielen Titel gewinnen wird, die spielerisch in seinem Potenzial liegen.“ 14 Einzeltitel bei der World Tour hat Ma bisher geholt und den World Cup zum ersten Mal im vergangenen Jahr gewonnen, im Einzel bei Weltmeisterschaften ist er bisher aber nicht über drei Halbfinal-Teilnahmen hinaus gekommen. Und bei Olympia 2012 in London, wo der Druck am größten war, hatte sich General-Cheftrainer Liu Guoliang bewusst für ihn als Dritten entschieden, für den Team-, nicht für den Einzelwettbewerb.

Seine großen Erfolge feierte Waldner von den 1980ern bis 2000: Die Chinesen nennen ihn den „I killed them“

Mental ist Ma Long eher ein Chinese alter Schule, wie Waldner sie noch als Aktiver mitbekommen hat. Einer, der zweifelt nämlich, und in der Konsequenz manchmal verzweifelt – am Gegner. „Ich war der letzte“, glaubt Waldner, „vor dem die Chinesen richtig Angst hatten“. Inzwischen hätten die Chinesen ihre Angst vor den Europäern abgelegt. „Sie wissen: Wenn sie an ihr normales Leistungsniveau anknüpfen, werden sie ein Spiel gegen einen Europäer gewinnen.“ Spieler des Alten Kontinents dagegen würden umgekehrt denken. Waldner beschreibt: „Ich muss an meinem absoluten Limit spielen, und mein chinesischer Gegner muss einen nicht ganz so guten Tag erwischen. Dann habe ich vielleicht eine kleine Chance, die ich dann auch nutzen muss“ – mit dieser Einstllung sei man näher an der Niederlage als am Sieg. Er selbst habe in seinen Partien gedacht: „Ich kann das nicht verlieren. So habe ich Ma Wenge auch schon mal mit 21:3 nach Hause geschickt. I killed them, drastisch ausgedrückt“, formuliert der 47-jährige Stockholmer es in der auf Englisch ablaufenden Unterhaltung.

Eine Lösung des Problems China – Europa hat Waldner auch schon – allerdings nur in der Theorie. „Wir müssen weg vom nationalen Denken. Man müsste ein europäisches Leistungszentrum einrichten, in dem nur die Topspieler aus allen Nationen trainieren“, schlägt er vor. „Vor Olympischen Spielen haben wir zu meiner Zeit große und lange europäische Lehrgänge zusammen abgehalten. Das hat allen viel gebracht“, blickt er zurück.

Waldner und Schymetzki auf Umwegen: "Ihm hat das gar nichts ausgemacht"

Nach der Fahrt holte er sich auch ein Autogramm: Schymetzki mit Waldner (Foto: Bender)Jan-Ove Waldner habe in ihrem Gespräch ein „echtes Plädoyer für den Tischtennissport“ gehalten, fasst Florian Schymetzki zusammen: „Tischtennis liegt ihm immer noch sehr am Herzen, und er macht sich viele Gedanken. Das merkt man eindeutig.“ Außerdem habe er nicht gewusst, dass aus seiner „Taxi“-Fahrt zum Hotel später einmal ein Artikel werden könnte. Für Waldner war es lediglich ein Gespräch zweier Menschen mit einer großen Leidenschaft für das schnellste Rückschlagspiel der Welt. „Ich war so fasziniert, dass ich doch glatt zweimal falsch gefahren bin“, bekennt Schymetzki. So waren sie statt einer knappen halben Stunde, die die Abholung normalerweise gedauert hätte, rund 45 Minuten unterwegs. „Ihm hat das aber gar nichts ausgemacht, hat er mir gesagt, als ich mich dafür entschuldigt habe, er war total entspannt.“

Sein erstes Waldner-Autogramm hatte sich Florian Schymetzki bei den Europameisterschaften 2000 in Bremen geholt. Damals besiegte Jan-Ove Waldner in der dritten Einzel-Runde den aufstrebenden Timo Boll in fünf Sätzen. „Ich war da eigentlich auf Timos Seite und hätte nichts dagegen gehabt, wenn Timo das Spiel gewonnen hätte“, erzählt Schymetzki. Ein Boll-Fan ist er immer noch. „Aber nach dem tollen Erlebnis, bin ich auch wieder ein großer Waldner-Fan“, sagt er.

Hinweis der Redaktion: Das Gespräch zwischen Florian Schymetzki und Jan-Ove Waldner auf der Autofahrt vom Bremer Flughafen zum Hotel war nicht als redaktioneller Beitrag geplant. Es handelt sich beim Artikel um eine Art Gedächtnisprotokoll mit einigen inhaltlichen Erläuterungen. Die Zitate sind daher unter Umständen nicht wörtlich zu nehmen.

 

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