Frankfurt/Düsseldorf. DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb hat den deutschen Tischtennissport geprägt wie kein anderer. Das Weltmeister-Duo von 1989, Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner, erinnert im Doppel-Interview an Gäbs Hochphase als Funktionär und Visionär. Ein Gespräch über mutige Entscheidungen, wichtige Weichenstellungen und einen Mann, der seinen Lieblingssport bis heute nachhaltig voranbringt.
Ihr habt die Ära von Hans Wilhelm Gäb schon als Spieler miterlebt. Wie habt ihr ihn damals wahrgenommen?
Jörg Roßkopf: Für uns war es unglaublich wichtig, dass mit Hans ein absoluter Profi am Werk war, insbesondere, als es darum ging, die WM 1989 nach Deutschland zu holen und die Weltmeisterschaften auf ein damals ungekanntes Niveau zu heben. Das hat er geschafft, und das war der Startschuss für so vieles in Tischtennis-Deutschland.
Wir haben ihn auch bei Borussia Düsseldorf miterlebt. Wilfried Micke (Anmerkung der Redaktion: Bundesliga-Spieler, Sportfunktionär und Gründer von Schöler+Micke), Michael Bachtler (Anm.: langjähriger JOOLA-Geschäftsführer und seit 2024 DTTB-Präsidiumsmitglied) und Hans Wilhelm Gäb – alle drei waren dort enorm wichtig für uns, haben uns immer gut beraten und bei allem eine enorme Ruhe ausgestrahlt. Sie haben gezeigt, wie perfekt Borussia Düsseldorf und die Nationalmannschaft damals gemeinsam funktioniert haben. Für mich persönlich waren diese Drei auch ein Grund, damals nach Düsseldorf zu wechseln.
Hans hat unsere Ära geprägt, und wir haben ihn und seine Werte nicht nur als Funktionär, sondern allgemein als absoluter Top-Mann in die Welt getragen.
Steffen Fetzner: Hans Wilhelm hat uns den Übergang bzw. Einstieg in den Profibereich erst ermöglicht. Seine Überzeugungskraft, aber auch eine gewisse finanzielle Absicherungszusage hat uns die Entscheidung erleichtert, die Schule nach der mittleren Reife abzubrechen. Am Anfang der Entwicklung standen die Verpflichtungen von Eva Jeler als damalige Jugend-Bundestrainerin und Charles Roesch als Cheftrainer der Herren. Beide haben den Umbruch im deutschen Tischtennis herbeigeführt - auch gegen große Widerstände -, auf junge Nachwuchsspieler vertraut und sie eingesetzt. Dazu hat sicherlich auch die Gründung des Deutschen Tischtennis-Zentrums in Duisburg und der Verpflichtung des chinesischen Trainers "Mr. Li" sehr viel dazu beigetragen.
Gäb hat den DTTB durch herausfordernde Zeiten geführt. Was waren aus eurer Sicht seine wichtigsten Weichenstellungen?
Roßkopf: Eine der nachhaltigsten Veränderungen, die Hans Wilhelm Gäb im deutschen Tischtennis durchgesetzt hat, war die Reform der Bundesliga. Er hat durchgesetzt, dass in den 1980er-Jahren pro Team nur noch ein ausländischer Spieler erlaubt war. Für die damaligen Sechser-Mannschaften bedeutete das fünf deutsche Spieler pro Team und damit insgesamt 50 feste Plätze für deutsche Spieler in der 1. Bundesliga. Sie lebten in Deutschland, trainierten gemeinsam und konnten sich kontinuierlich weiterentwickeln. Das hat das Niveau der Spieler und dann auch der Bundesliga enorm gehoben. Damals war die Bundesliga das absolute Highlight. Jeder wollte dort spielen, und die Kämpfe waren herausragend. Heute sind Verträge mit begrenzten Einsätzen üblich – das wäre damals undenkbar gewesen. Jeder Spieler wollte bei jedem Spiel dabei sein und hat für seinen Verein das letzte Hemd gegeben.
Ein weiterer entscheidender Moment war nach dem Abstieg der Herren-Nationalmannschaft aus der A-Klasse bei der WM 1983. Hans und Eberhard Schöler haben mit Charles Roesch und Eva Jeler zwei Trainer installiert, die eine neue Richtung vorgegeben haben. Sie haben auf eine Mischung aus jungen Talenten wie Steffen Fetzner und mir gesetzt, kombiniert mit erfahrenen Spielern. Diese Strategie ist bis heute bewährt. Spieler wie Böhm, Stellwag, Wosik, Nolten, Hüging und Lieck haben uns damals enorm geholfen.
Und natürlich war die WM 1989 ein Meilenstein. Ohne diesen Erfolg wären der DTTB, die Nationalmannschaft und Spieler wie Timo Boll oder Dimitrij Ovtcharov heute vielleicht nicht so erfolgreich. Der Titelgewinn hat den deutschen Tischtennissport auf eine neue Stufe gehoben und den Grundstein für die Professionalisierung gelegt. Hans hatte eine klare Vision für den Sport – und die hat er mit voller Überzeugung umgesetzt.
Fetzner: Die von Rossi genannten Weichenstellungen waren von enormer Bedeutung. Das wichtigste Ereignis bzw. die Veranstaltung war meiner Meinung nach ganz klar die Tischtennis-WM 1989 in Dortmund. Zum ersten Mal wurde eine WM auf einem höchst professionellen und nie dagewesenen Niveau präsentiert und organisiert. Entscheidend für den großartigen Erfolg der WM war sicherlich der Weltmeister-Titel von Rossi und mir. Durch die enorme Medienpräsenz hat dieser überraschende und sensationelle Titelgewinn dazu beigetragen den Tischtennissport in Deutschland auf ein anderes, weitaus höheres Niveau zu heben. Durch das allgemein gestiegene Interesse durch Medien, Sponsoren, Zuschauer, Mitgliederzahlen und durch beachtliche Umsatzsteigerungen der Tischtennis-Industrie wurde ein regelrechter Tischtennis-Boom ausgelöst, von dem alle Beteiligten von den Spielern bis zum Verband profitiert haben. Dadurch wurden Strukturen geschaffen, von denen insbesondere auch die Nachfolge-Generationen profitiert haben.
Ihr habt unter seiner Präsidentschaft Geschichte geschrieben, unter anderem als Doppel-Weltmeister 1989 und Medaillengewinner bei Olympia. Wie hat er euch in dieser Zeit konkret unterstützt? Ist euch Anekdote aus der Zeit mit ihm besonders in Erinnerung?
Roßkopf: Bei den internationalen Turnieren hat Hans immer für besondere Momente gesorgt. Ein Highlight für mich waren seine Eröffnungsreden. Er sagte dann so etwas wie: „Liebe Zuschauer, Sie sind hier, um Sport zu sehen, nicht um Funktionären beim Reden zuzuhören. Deswegen erkläre ich die Veranstaltung hiermit für eröffnet.“ Das war typisch Hans. Er war schon immer Sportler durch und durch.
Ein großer Teil der Geschichte des Deutschen Tischtennis-Bundes ist auch seine Geschichte. Hans hat den Verband entscheidend mitgestaltet, ihn professioneller aufgestellt. Nach der WM 1989 wusste er, dass man nachlegen musste. Es durfte nicht bei diesem einen Highlight bleiben. Also bekamen wir die EM nach Deutschland, und er und sein kleines Team entwickelte Turniere wie den European Masters Cup (Anm.: Ein zusammen mit der ETTU eingeführter Einzelwettbewerb für Europas beste Spieler von 1991 – 1998) und den European Nations Cup (Team-Wettbewerb der acht besten Nationalmannschaften von 1991 – 1998). Er wusste, dass Tischtennis regelmäßig Großereignisse braucht, und das hat er hervorragend umgesetzt.
Fetzner: Unterstützung haben wir in vielen Bereichen erfahren. Zweifelfrei hat er auch bei der Vermittlung von persönlichen Sponsorenverträgen wie mit Opel oder bei der Akquise von Sponsoren für seine Borussia wohlwollend unterstützt, wovon wir letztendlich auch profitierten. Es war zu dieser Zeit eben auch eine große Borussen-Familie, angefangen mit dem Präsidenten Fritz Wienke, dem Manager Wilfried Micke, dem Trainer Mario Amizic, dem Physio Gerd Zilger und der Mannschaft, die am Erfolg im Verein und mit der Nationalmannschaft sehr großen Anteil hatte.
Rossi, du als Bundestrainer, Speedy, du in der Tischtennis-Industrie und generell ihr beide als prägende Personen in Tischtennis-Deutschland: Wo spürt ihr seine Weichenstellungen von damals noch heute? Was kann die heutige TT-Generation, ob Spieler oder Funktionäre, von ihm lernen?
Roßkopf: Die Generation heute muss lernen, Entscheidungen konsequent durchzuziehen. Genau das hat Hans damals gemacht; etwa als er sich dafür einsetzte, auch gegen den Willen vieler Vereine mehr deutschen Spielern die Möglichkeit zu geben, dort zu spielen. Er hatte den Mut, seine Entscheidungen umzusetzen, und hat sie bedingungslos durchgezogen. Dabei hat ihm sicher auch seine berufliche Erfahrung geholfen, durch die er wusste, wie Dinge funktionieren und in welche Richtung man sie entwickeln kann. Dieses Wissen hat er in seine Arbeit als Funktionär eingebracht.
„Speedy“ spürt es bestimmt genauso wie ich: Hans ist immer noch präsent. Ich bin jedes Mal froh, ihn zu sehen. Ich freue mich sehr, dass er so gesund und dem Tischtennissport immer erhalten geblieben ist. Ich hoffe, dass das noch lange so bleibt, dass er weiterhin bei jedem Turnier, bei jedem wichtigen Spiel dabei ist und dass wir noch lange von ihm lernen können. Es ist beeindruckend, wie ein Mensch im gehobenen Alter noch so fit ist, voller Ideen steckt und sich aktiv einbringt. Er ist ein absolutes Vorbild für uns alle.
Hans hat sämtliche Höhen und Tiefen des Sports miterlebt: den Abstieg der Herren-Nationalmannschaft in die zweite Kategorie bei der WM 1983, die legendäre WM 1989 in Dortmund, dann die Olympischen Spiele 1992 und 1996 und die Erfolge der nachfolgenden Generationen. Ich habe riesigen Respekt vor dem, was er erlebt und vor allem geleistet hat.
Fetzner: Die Mehrzahl der Funktionäre können von Hans Wilhelm eine Menge lernen. Er hat sich immer zu 100 Prozent für die Sache, für seinen geliebten Tischtennissport und die Sportler, kompromisslos eingesetzt. Er hat sich stets im Hintergrund gehalten und gerne andere sich im Erfolg sonnen lassen. Mein Riesenrespekt vor seiner Lebensleistung, ob in seiner sportlichen Laufbahn, seiner beruflichen Karriere, seiner Laufbahn als Funktionär und insbesondere als Familienmensch.
Hans Wilhelm Gäb gilt als eine der profiliertesten und angesehensten Personen des deutschen Sports. Seit der mehrfache Deutsche Meister und Nationalspieler im Tischtennis 1981 das Präsidenten-Amt im DTTB übernahm, engagierte er sich ehrenamtlich im Sport. Von 1988 bis 1992 wirkte Gäb im Präsidium des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und von 1990 bis 1991 als stellvertretender Vorsitzender im Vorstand der Deutschen Sporthilfe mit. Gesundheitliche Probleme verhinderten damals das ihm zugedachte stärkere Engagement in der Nachfolge von NOK-Präsident Willi Daume. Auf die 1992 für die Olympischen Spielen in Barcelona ihm anvertraute Aufgabe als Chef de Mission der ersten gesamtdeutschen Mannschaft nach der Wiedervereinigung musste er verzichten, weil ein Virus seine Leber zu zerstören begann. Später gab er auch seine Ämter als Präsident der Europäischen Tischtennis-Union (ETTU) und des DTTB auf, den er 13 Jahre lang geführt hatte.
1994 musste sich Gäb einer Lebertransplantation unterziehen. Seine persönliche Erfahrung bewog ihn dazu, Menschen in ähnlicher Situation mit den von ihm gegründeten Vereinen „Sportler für Organspende“ (1998) und „Kinderhilfe Organtransplantation“ (2004) zu unterstützen.
Vom gelernten Journalisten zum Autokonzern-Chef
Der gelernte Journalist gründete zu Beginn seiner beruflichen Karriere das Fachmagazin „Auto-Zeitung“ (1968) und war bei Ford (1973 bis 1981) der erste Kommunikations-Chef im Vorstandsrang. 1982 wechselte er zur Adam Opel AG, zunächst in den Vorstand, zuletzt als Vice-President von General Motors Europe und Aufsichtsratsvorsitzender der Adam Opel AG. Nach dem beruflichen Ausstieg bei Opel (1998) engagierte er sich wieder verstärkt im Sport und kehrte in den Sporthilfe-Vorstand zurück, von 2005 bis 2007 als Vorstandsvorsitzender. Unter dem Motto „Leistung. Fairplay. Miteinander.“ entwickelte er den noch heute gültigen strategischen Markenkern der Stiftung. 2008 wechselte er als Vorsitzender in den Aufsichtsrat, dem er bis heute als Ehrenvorsitzender angehört.
Hans Wilhelm Gäb ist seit 1962 mit Hella Gäb verheiratet. Die beiden haben zwei Kinder, Wolfgang und Christiane.
100 Jahre DTTB