Der Name Li Xian Ju ist in Deutschland nur wenigen Menschen ein Begriff. Als „Mr. Li“ hingegen ist der in China geborene Toptrainer in Tischtenniskreisen vielen Menschen jedoch bestens im Gedächtnis. In den Anfängen des Deutschen Tischtennis-Zentrums in Duisburg-Wedau zählte er ab 1986 zu den Trainern der ersten Stunde. 1987 vollzog der im September 1941 geborene Li Xian Ju zusammen mit dem DTTZ und der damals für den gesamten Nachwuchs verantwortlichen Bundestrainerin Eva Jeler den Wechsel an den Standort Heidelberg. Mit seiner gewinnenden Menschlichkeit und seiner außergewöhnlichen Art, Tischtennis zu lehren, bereicherte er zwölf Jahre bis 1998 den Deutschen Tischtennis-Bund. Am 1. Februar verstarb Mr. Li nun in seiner Heimat in Chengdu im Alter von 83 Jahren nach Krankheit. Er hinterlässt seine Frau und drei in Deutschland lebende Kinder.
Kaum jemand kannte Mr. Li so gut wie die ehemalige DTTB-Cheftrainerin Eva Jeler. Sie pflegte bis zuletzt einen engen Kontakt zu dem legendären Trainer, mit dem sie in einem gemeinsamen Sprachmix aus Deutsch, Slowenisch und Chinesisch glänzend kommunizieren konnte.
Vor Soldaten versteckt und ausländische Asse kopiert
Mr. Li wurde in Chongqing geboren. Als Kind erlebte er den Krieg zwischen Anhängern von Mao Tse-tung und Chiang Kai-shek und versteckte sich vor den Soldaten. Als Schulkind im kommunistischen China von Mao Tse-tung begann er mit Tischtennis und wurde Teil des Nationalkaders. Da er jedoch nicht zu den fünf Besten gehörte, die sich später mit Weltmeistertiteln schmückten, musste er ihr Sparringspartner sein und als solcher das Spiel starker ausländischer Spieler kopieren. Sein ganzes Leben imitierte Mr. Li hervorragend und humorvoll Menschen, Tiere und Bewegungen – so hat er sicherlich auch seine Copy-Pflichten für die Nationalmannschaft sehr gut erledigt.
Tischtennistische schreinern gegen das System
Schon in jungen Jahren wurde er Berufstrainer, und es folgte der Umzug nach Chengdu. Diese Stadt mit 22 Millionen Menschen und die Mentalität ihrer Einwohner liebte er – sie wurde die Heimat seines Herzens. Mr. Li bekam Probleme mit kommunistischen Funktionären, als er seine Spieler weiterhin trainierte, obwohl dies irgendwann verboten wurde – zu viel Ping-Pong, zu wenig Mao! Als die Obrigkeiten ihm zur Strafe die Tischtennistische wegnahmen, schreinerte er eigene. Dafür wurde er in dieser Zeit der politischen Willkür öffentlich kritisiert. Hätte ihm nicht ein Funktionär, der Tischtennis liebte, geholfen, wäre Mr. Li nie der Trainer und Weltbürger geworden, der er später war.
Von allen geliebt und respektiert
Dass dies so kam, war ein großes Glück – für alle, mit denen er später arbeitete. Und das waren viele: Weltmeister, Asienmeister, Europameister; Frauen und Männer, Kinder und Erwachsene. Mr. Li verfügte über die Gabe, einfach jeden zu begeistern. Manchmal mit wenigen Worten, dafür mit umso mehr Witz, Herz und Tischtennis-Verstand überzeugte er selbst die schwierigsten unter den Athleten. Egal, wer sie waren, wie sie waren, von wo sie kamen – alle liebten Mr. Li. Jeder wollte von ihm trainiert werden, jeder respektierte seine Ratschläge.
Mr. Li hinterlässt tiefe Spuren
Seine Trainerkompetenz war nicht nur in China hoch anerkannt. Er trainierte Athleten auch in Togo, in Afrika und in Slowenien, bevor ihn sein Weg nach Deutschland führte. Wo er auch hinkam, Mr. Li hinterließ positive Spuren – die tiefsten in Deutschland und beim DTTB. Ohne ihn wären wir nicht so gut geworden, wie wir heute sind. In den zwölf Jahren seiner Tätigkeit für den DTTB lernten all jene, die mit ihm trainieren durften, entscheidende Dinge. Zwischen 1986 und 1998 arbeitete er mit den Kindern im DTTZ ebenso wie mit den Besten der Nationalmannschaft zusammen. Alle gingen sie durch die Schule seines magischen Balleimertrainings: von ‚Rossi‘ Jörg Roßkopf, Torben Wosik, Peter Franz und Christian Süß bis Dima Ovtcharov; von Nicole Struse, Elke Schall, Christiane Praedel und Jie Schöpp bis Olga Nemes.
Liebevoller Mensch und akribischer Organisator
Immer, wenn wir später mit jungen Spielern in seiner Wahlheimat Chengdu zu Trainingslagern weilten, organisierte er alles Mögliche und Unmögliche. Stets sorgte er dafür, dass die Bedingungen sogar noch besser waren, als wir es erhoffen durften. Wünschten Kinder etwas Besonderes zum Essen – Mr. Li hat es organisiert. Waren die Sparringspartner nicht, was wir benötigten – Mr. Li fand neue. Wollten die Spieler Pandas sehen – Mr. Li fand einen Weg. Benötigten die Trainer einen Ratschlag über Technik, Beinarbeit oder Pädagogik – Mr. Li wusste die Lösung. War die Stimmung am Boden – Mr. Li brachte alle wieder zum Lachen.
Wir werden dich vermissen, Mr. Li
Mr. Li konnte Clown sein und ebenso tiefe, gebildete Gespräche führen. Er war bewandert in Philosophie, Geschichte und hatte großes Wissen über Politik. Er las so viel, dass die Mitarbeiter in der Bibliothek des Sinologischen Instituts in Heidelberg dachten, er sei Sinologie-Professor – und so nannten sie ihn dann auch Herr Professor Li. Es passte zu dem, wie er war, wie viel er wusste und was er alles verstand.
Doch Mr. Li war noch so viel mehr: Vor allem ein wunderbarer Mensch mit sehr großem Herz und tiefem Verständnis für jeden, dem er begegnete. Seine Freunde schätzen sich glücklich, weil er ein Teil ihres Lebens war und immer bleiben wird.
Adieu - wir werden dich vermissen, Mr. Li.
Eva Jeler
Erinnerungen von ehemaligen Weggefährten
Jörg Roßkopf: „Die Sprachbarrieren wurden immer mit Handzeichen überwunden. Das hat prima funktioniert, und wir hatten ein sehr gutes Miteinander. Er hat für uns auch einmal in Chengdu ein Trainingslager organisiert, und wir haben ihn besucht. Der Kontakt zu ihm ist nie abgebrochen. Sein Tod macht mich sehr traurig. Aber soweit ich das beurteilen kann, hat er ein sehr schönes und erfülltes Leben gehabt.“
Istvan Korpa: „Er war ein fantastischer Mensch. Ich denke gerne an ihn.“
Oliver Alke: „Er war einfach ein klasse Typ.“
Mike Hollo: „Er war einer der liebsten und herzlichsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte.“
Zeljka Dragas: „Was für eine wundervolle Person. Von vielen wird er so in Erinnerung behalten werden. Seine ruhige Art, neue Sachen zu vermitteln, werde ich nie vergessen.“
Alex Krieger: „Er war ein weiser, guter Mensch und einer meiner besten Freunde.“
Dana Weber: „Vielen Dank für all das, was ich bei dir lernen durfte. Dein herausragendes Fachwissen in Sachen Tischtennis und deine menschliche Größe waren für mich eine unschätzbare Bereicherung. Du warst für mich ein großes Vorbild, und ich werde dein Andenken in Ehren halten. In stiller Dankbarkeit.“
Christian Süß: „Ich denke, Mr. Li hat den Grundstein für eine gute Beinarbeitstechnik und Schlagtechnik für unzählige Generationen von Spielern des DTTB gelegt. Mit ihm waren Schattentraining und Balleimertraining immer ein Vergnügen. Aber noch viel entscheidender war, dass er unglaublich liebenswert und einer der herzlichsten Menschen war, die ich je kennenlernen durfte. Man hat sich mit ihm verstanden und verbunden gefühlt, obwohl man nicht eine Sprache gesprochen hat. Er war einzigartig und ganz besonders!“