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Nach seinem 4:0 über Indiens Nummer zwei: Dang Qiu (Foto: MS)
Dang Qiu ist seit heute der beste Europäer in der Weltrangliste. Sein starker Auftritt gegen den Inder Gnanasekaran am WM-Dienstag lässt auf mehr hoffen

Als Shakehander mit Rückhandschwäche, als Penholder Weltspitze

SH 23.05.2023

Durban. Hätte Dang Qiu bei seinem Einstieg in den Tischtennissport im Alter von sieben Jahren eine bessere Rückhand gehabt, er wäre heute vielleicht nicht dort, wo er steht: als amtierender Einzel-Europameister, auf Position neun als seit Dienstag bester Europäer in der Weltrangliste und in der Runde der besten 32 bei den Weltmeisterschaften im südafrikanischen Durban (20. bis 28. Mai).

Im Eiltempo fertigte Deutschlands erster Penholder-Spieler in der Geschichte der deutschen Nationalmannschaft am Dienstagmittag seinen Kontrahenten ab. Leidtragender des Qiuschen 4:0-Überfallkommandos war Sathiyan Gnanasekaran, Indiens Nummer 51 der Weltrangliste. Der 30-jährige zweifache Goldmedaillengewinner der Commonwealth Games spielte eigentlich auf hohem Niveau gegen Qiu und war dabei doch vollkommen überfordert. Der gebürtige Nürtinger agierte druckvoll aus Vor- wie Rückhandseite, perfekt ins Spiel gebracht von seinen gefährlichen Aufschlägen, enorm ballsicher und wie gewohnt auch passiv stark, wenn Gnanasekaran ausnahmsweise mal mit einem Angriff am Zug war.

Mühevoller Einstieg in seiner Kindheit: „Ich hatte tierische Probleme mit der Rückhand“

So leicht der Sieg heute aussah, so mühevoll war Qius Einstig als zweitgeborener Sohn einer Vollblut-Tischtennisfamilie gewesen. Vater Jianxin Qiu und Mutter Chen Hong hatten in China dem Nationalteam angehört, ehe sie 1989 gemeinsam nach Deutschland kamen, um in der Bundesliga anzuheuerten. Die beiden Penholderspieler machten Dang und seinen anderthalb Jahr älteren Bruder Liang zunächst mit dem Shakehand-Griff vertraut. Das Penholder-Spiel, von Chinas Weltmeister bzw. Olympiasieger Wang Hao und Ma Lin in Perfektion vorgetragen, war nach Meinung vieler Experten überholt, bot es doch weniger Variationsmöglichkeiten. Auch in Asien setzte man bei den nachfolgenden Generationen in großer Mehrheit auf die als europäisch geltende Shakehand-Schlägerhaltung.

"Ein halbes Jahr lang habe ich so gespielt", erzählt Dang Qiu über seine ersten Schritte als „Shakehander“, "aber ich hatte tierische Probleme mit der Rückhand." Sein Vater riet ihm, es mit dem Penholdergriff zu probieren. „Das hat überraschenderweise deutlich einfacher und besser geklappt, und dann sind wir dabei geblieben“, so der inzwischen 26-Jährige, der dabei sein damals großes Vorbild Wang Hao immer im Blick hatte. Stetig ging es in der Schüler-Zeit bergauf, erst als baden-württembergischer Landesmeister, dann als Gewinner von Einzel-Bronze bei den Jugend-15-Europameisterschaften 2010. Im Jahr darauf wurde er Deutscher Einzel-Meister der Unter-15-Jährigen. Im Jugendbereich stagnierte seine Entwicklung etwas, denn zunächst schloss er neben dem Jugend-Leistungssport das Gymnasium in Nürtingen mit dem Abitur ab. Es folgte der Wechsel aus dem heimischen Frickenhausen an den Bundesstützpunkt in Düsseldorf, wo Deutschlands Herren am Deutschen Tischtennis-Zentrum unter Anleitung des Bundestrainer-Teams um Jörg Roßkopf und Lars Hielscher Tag für Tag gemeinsam trainieren und sich weiter entwickeln. Unter Roßkopfs Förderer Helmut Hampl arbeitete Qiu zunächst schwerpunktmäßig im U23-Kader an allen Facetten seines heute variantenreichen Spiels.

Roßkopf: „Er bleibt am längsten und trainiert am intensivsten“

Erst im Jahr 2019 im Alter von 22 Jahren spielte Dang Qiu seine erste WM für Deutschland und ließ in der Folge mit starken Ergebnissen auf der World Tour aufhorchen. Eine Leistungsexplosion auch dank seiner Einstellung: „Dang ist einer, der immer am längsten bleibt und am intensivsten trainiert“, beschreibt Jörg Roßkopf - als Spieler, aber auch als Trainer selbst ein „Held der Arbeit“ - das Vollprofi-Ethos seines Schützlings.

„Es ist ungewöhnlich, dass man vom Niveau her so spät noch einen solchen Riesensatz machen kann“, ergänzt sein Düsseldorfer TTBL-Mannschafts- und Nationalteamkollege Timo Boll über den Spätentwickler Qiu. „Dang ist ein Tischtennisverrückter, der für den Sport lebt. Er hat das Handwerkszeug, um auch die Besten der Welt zu schlagen.“ Dafür ist er im ICC Durban angetreten. Sein nächster Gegner im Einzel am Mittwochabend ist Frankreichs Shooting-Star Felix Lebrun, mit 16 Jahren schon die Nummer 32 der Weltrangliste und ebenfalls ein Penholder-Akteur. „Gefühlt spiele ich jeden Monat gegen einen der beiden Lebrun-Brüder“, flachst Dang Qiu. „Sie sind beide sehr gut. Bei der WM kommen jetzt nur noch Runden, in denen es keine schwachen Gegner mehr gibt." Aber das hat ihn gegen Gnanasekaran auch nicht gestört.

Drei Siege in fünf Partien der Deutschen am Dienstag

Der starke Doppelspieler Qiu ist ab Mittwoch nur noch als Alleinunterhalter bei den Welttitelkämpfen vertreten. Im Duo war er zusammen mit seinem guten Freund und langjährigen WG-Kollegen Benedikt Duda - in Südafrika an Position fünf gesetzt - vorzeitig in Runde eins ausgeschieden. Im Mixed mit Nina Mittelham, mit der er 2020 noch aus dem Nichts Europameister geworden war, wurde er wenige Stunden nach seinem Erfolg im Einzel im Achtelfinale gestoppt. Gegen die französische Kreativabteilung Simon Gauzy/Prithika Pavade spielten Qiu/Mittelham so ein bisschen wie Gnanasekaran gegen Qiu, stark, aber unglücklicherweise gegen an diesem Tag noch stärkere Kontrahenten.

„Gauzy hat zu Beginn des fünften Satzes einfach alles getroffen, auch Bälle, die er nicht treffen musste“, so Mittelham. Trotzdem verkürzte das deutsche Parade-Mixed nach 0:6 auf 6:7. Den Unterschied machte aber auch die erst 18-jährige Nummer acht der U19-Weltrangliste Pavade, die klug servierte und auch als Rückschlägerin gegen Qiu ebenso mutig wie erfolgreich angriff. "Pavade hat gut aufgeschlagen, viel halblang serviert“, lobte Qiu die französische Einzel-Meisterin des Vorjahres. „Ich habe ihre Aufschläge nicht gut angenommen und den Schnitt nicht richtig gelesen. Im Vierten und Fünften hat sie plötzlich angefangen, erfolgreich die Banane zu spielen, was das Spiel verändert hat.“ Als Fazit waren sich Qiu und Mittelham einig, wie es Dang Qiu zusammenfasst: „Es waren ein paar richtig gute Ballwechsel dabei. Die beiden mussten echt gute Bälle gegen uns spielen, um zu gewinnen. Am Ende haben wir verloren, aber unsere Leistung war auf jeden Fall gut."

Mittelham/Shan nach hohen Führungen ausgeschieden / Franziska und Filus im Einzel weiter

Ausgeschieden ist auch das Doppel Nina Mittelham/Xiaona Shan. In einem Spiel der verpassten Chancen gegen die österreich-rumänische Links-Rechts-Kombination Sofia Polcanova/Bernadette Szöcs gab es ein 0:3, das klarer aussieht, als es war. Gegen die Europameisterinnen von München gingen die Deutschen in den ersten beiden Durchgängen jeweils deutlich in Führung, konnten ihr 5:1 bzw. 7:0 aber nicht durchbringen. Vom 0:4 in Satz drei erholten sich die Berliner Bundesliga-Teamkolleginnen bis zur Satzmitte, doch dann zogen Polcanova/Szöcs erneut davon. "Die ersten beiden Sätzen hätten wir eigentlich gewinnen müssen", so Shan. "Wir haben jeweils am Anfang gut gespielt, dann einfache Fehler gemacht und unsere Gegnerinnen dadurch aufgebaut."

Gute Nachrichten aus deutscher Sicht gab es später am Tag im Herren-Einzel. Nach Dimitrij Ovtcharov am Montag und Dang Qiu am Dienstagnachmittag zogen auch Patrick Franziska und Ruwen Filus mit 4:0-Erfolgen in die Runde der besten 32 ein. Der Saarbrücker Franziska trifft auf die portugiesische Nummer 47 der Weltrangliste, Joao Geraldo. Fuldas Filus versucht, den Olympia-Vierten von Tokio zu knacken, Lin Yun-Ju aus Taiwan, den er beim WTT Contender in Almaty im vergangenen Jahr in sieben Sätzen niederringen konnte. Beim diesjährigen WTT Champions Xinxiang gab es allerdings ein glattes 0:3. "Ich freue mich auf einen Gegner, gegen den auf jeden Fall gute Ballwechsel zu Stande kommen und gegen den ich mich richtig ins Spiel hineinkämpfen kann", verspricht der Allrounder. "Das kann ein wirklich super Spiel werden."

Am Mittwoch, dem fünften WM-Tag im internationalen Kongresszentrum von Durban, stehen neun Partien mit deutscher Beteiligung auf dem Programm. Vier Herren- und drei Damen-Einzel in der dritten Runde sowie die letzten DTTB-Doppel im Achtelfinale, Annett Kaufmann/Sabine Winter und Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov.

Die Spiele der Deutschen am Dienstag

Herren-Einzel, 2. Runde (64)
Dang Qiu - Sathiyan Gnanasekaran IND 4:0 (6,6,5,7)
Patrick Franziska - Xavier Dixon AUS 4:0 (1,3,1,5)
Ruwen Filus - Yang Tzu-Yi TPE 4:0 (9,7,7,7)

Mixed, Achtelfinale
Dang Qiu/Nina Mittelham - Simon Gauzy/Prithika Pavade FRA 2:3 (9,-8,9,-6,-7)

Damen-Doppel, Achtelfinale
Nina Mittelham/Xiaona Shan - Sofia Polcanova/Bernadette Szöcs AUT/ROM 0:3 (-8,-11,-6)

 

Die Spiele der Deutschen am Mittwoch

Herren-Einzel, 3. Runde (32)
Patrick Franziska - Joao Geraldo POR (WR: 47), 12.20 Uhr, Tisch 4
Ruwen Filus - Lin Yun-Ju TPE (WR: 8), 14.20 Uhr, Tisch 3
Dimitrij Ovtcharov - Tomislav Pucar CRO (WR: 45), 19.10 Uhr, Tisch 3
Dang Qiu - Felix Lebrun FRA (WR: 32), 21.10 Uhr, Tisch 1

Damen-Einzel, 3. Runde (32)
Ying Han - Andreea Dragoman ROU (WR: 116), 18.30 Uhr, Tisch 3
Nina Mittelham - Li Yu Jhun TPE (WR: 82), 19.10 Uhr, Tisch 2
Xiaona Shan - Chen Meng CHN (WR: 4), 19.50 Uhr, Tisch 3

Damen-Doppel, Achtelfinale
Annett Kaufmann/Sabine Winter - Cheng I-Ching/Li Yu-Jhun TPE, 11.40 Uhr, Tisch 4

Herren-Doppel, Achtelfinale
Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov - Shunsuke Togami/Yukiya Uda JPN, 15.40 Uhr, Tisch 2

Zum kostenlosen WTT-Livestream bei YouTube

Deutsches Aufgebot in Durban

Einzel-Wettbewerbe

Damen: Ying Han (KTS Tarnobrzeg, Polen), Nina Mittelham (ttc berlin eastside), Shan Xiaona (ttc berlin eastside), Sabine Winter (TSV Schwabhausen), Annett Kaufmann (SV Böblingen)

Herren: Dang Qiu (Borussia Düsseldorf), Dimitrij Ovtcharov (TTC Neu-Ulm), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT), Ruwen Filus (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell), Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt)

Doppel-Wettbewerbe

  • Damen: Nina Mittelham/Xiaona Shan, Annett Kaufmann/Sabine Winter
  • Herren: Benedikt Duda/Dang Qiu, Patrick Franziska/Dimitrij Ovtcharov
  • Mixed: Dang Qiu/Nina Mittelham, Patrick Franziska/Xiaona Shan                                 

Sportliche Leitung: Richard Prause (Sportdirektor)
Trainerteam: Tamara Boros (Bundestrainerin Damen), Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Lars Hielscher (Cheftrainer Düsseldorf), Xiaoyong Zhu (Bundesstützpunkttrainer), Sascha Nimtz (Experte für Videoanalysen, Wissenschaftskoordinator IAT Leipzig)
Medizinische Abteilung: Dr. Antonius Kass (Teamarzt), Dr. Christian Zepp (Sportpsychologischer Experte), Peter Heckert, Annette Zischka (Physiotherapeuten, OSP Hessen in Frankfurt/Main)
Organisationsleiter: Rainer Kruschel (Leiter Referat Leistungssport)

Weitere DTTB-Vertreter:
Dr. Torsten Küneth (Equipment Committee)
Schiedsrichter: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Kerstin Duchatz (Herne)
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit: Benedikt Probst, Manfred Schillings (beide DTTB)

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