Düsseldorf. Die Olympischen Spiele sind seit dem 8. August Geschichte. Keine Tischtennisspielerin hatte in Tokio mehr Einsätze als Anja Gersdorf, die - allerdings als Schiedsrichterin - insgesamt 16-mal an den Tisch gerufen wurde. Die 49-jährige Wahl-Düsseldorferin war eine von nur sechs Unparteiischen aus Europa, die für die Sommerspiele in Japan nominiert wurden. Auf tischtennis.de schildert sie ihre Eindrücke und sagt: "Die Herzlichkeit und Gastfreundschaft und das unglaubliche Engagement unserer japanischen Schiedsrichterkollegen war bewegend."
Eine Nominierung für die Olympischen Spiele war immer Dein Traum. Die Freude über die Nominierung war entsprechend groß, danach kam die Pandemie. War dennoch olympisches Flair für Dich als Schiedsrichterin bei den Coronaspielen vorhanden?
Anja Gersdorf: Ja und nein. Wir Tischtennis-Schiedsrichter waren unter uns, es gab keinen Kontakt zu Kollegen aus anderen Sportarten und auch keine Gelegenheit, andere Wettbewerbe zu besuchen. Äußerlich hat fast alles gefehlt, was Olympia ansonsten ausmacht. Es gab keine Zuschauer und kaum Stimmung in der Halle. Die ist erst beim Mannschaftswettbewerb aufgekommen, und auch da nur sehr verhalten. Den Spielerinnen und Spielern war aber natürlich anzumerken, dass ein olympisches Turnier stattfindet. Deren sportliche Leistungen hätten definitiv ein großes Publikum verdient gehabt.
Was macht für eine Schiedsrichterin den Unterschied zwischen Olympia und anderen Events aus?
Gersdorf: In Bezug auf den Sport erstmal nichts. Es ist aber natürlich für jede Schiedsrichterin und jeden Schiedsrichter das absolute Highlight der Karriere, für die Olympischen Spiele nominiert zu werden. Eine Nominierung stellt immer auch die Anerkennung herausragender Leistungen über lange Zeit dar und ist insofern natürlich etwas ganz Besonderes.
Im Vergleich zu Welt- oder Europameisterschaften gab es weniger Spiele, die dazu über einen längeren Zeitraum gestreckt waren. Wie oft warst Du im Einsatz?
Gersdorf: Das musste ich jetzt gerade erstmal nachschauen. Wir arbeiten so konzentriert, dass gerade bei langen Turnieren das Gefühl für Raum und Zeit verloren geht. Häufig kann man im Nachhinein gar nicht mehr genau sagen, wieviele und welche Spiele im Einzelnen geschiedst wurden. Im Einzelwettbewerb war ich beilfzwöf Spielen im Einsatz, im Mannschaftswettbewerb bei vier Mannschaftskämpfen.
Welcher Deiner Einsätze war Dein persönliches Highlight?
Gersdorf: Das Herren-Halbfinale Fan Zhendong gegen Lin Yun Ju. Das war ein unglaublich spannendes, energiegeladenes Spiel, das eigentlich zwei Gewinner verdient gehabt hätte.
Konntest Du alle deutschen Spiele live in der Halle verfolgen oder hattest Du selbst parallel dazu Einsätze?
Gersdorf: Ein paar deutsche Spiele konnte ich live sehen, aber gerade zu Beginn des Turniers war ich öfter mal parallel im Einsatz. Und da bekommt man dann tatsächlich nichts mehr von anderen Spielen mit, selbst wenn sie in der Box nebenan stattfinden.
Wie intensiv konntest Du die Wettbewerbe verfolgen, und was hat Dich an den Tischtennistagen am meisten beeindruckt?
Gersdorf: Da wir Schiedsrichter eigentlich immer in der Halle waren, habe ich das Turnier beinahe komplett verfolgen können. Beeindruckt hat mich wie immer die Leistung der Spielerinnen und Spieler, sowohl die spielerische als auch die mentale. Ich selber spiele ja auch Tischtennis, allerdings am komplett anderen Ende der Leistungsskala, und ich bin immer wieder erstaunt, was in diesem Sport alles möglich ist.
Hast Du es geschafft, außerhalb der "Blase" etwas von Tokio zu sehen oder gab es eine Möglichkeit, Wettkampfstätten anderer Sportarten zu besuchen?
Gersdorf: Offiziell nicht. Allerdings habe ich mir ab und zu die Freiheit genommen, den Weg zwischen Halle und Hotel zu Fuß zurückzulegen. Und das Leichathletikstadion war auch nur 50 Meter von unserer Halle entfernt.
Was war für Dich persönlich in Tokio das eindrücklichste, das bewegendste Erlebnis?
Gersdorf: Das war sicherlich die Herzlichkeit und Gastfreundschaft und das unglaubliche Engagement unserer japanischen Schiedsrichterkollegen. Sie haben neben vielen anderen Dingen dafür gesorgt, dass uns Sushi in die Halle geliefert wurde, dass Geschenke, Mitbringsel und sogar Koffer geordert und ins Hotel geliefert wurden, dass wir ungezählte Varianten japanischen Knabbergebäcks verkosten konnten, dass unsere leider sehr eintönige Verpflegung etwas bunter wurde, und dass wir uns jederzeit willkommen geheißen und wohlgefühlt haben.
Olympia: Nachrichten, Interviews, Hintergrund
Herren-Team: Dimitrij Ovtcharov (Fakel Gazprom Orenburg, Russland), Timo Boll (Borussia Düsseldorf), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT), Ergänzungsspieler: Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt)
Damen-Team: Petrissa Solja (TSV Langstadt), Han Ying (KTS Enea Siarka Tarnobrzeg, Polen), Shan Xiaona (ttc berlin eastside), Ergänzungsspielerin: Nina Mittelham (ttc berlin eastside)
Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll
Damen-Einzel: Petrissa Solja, Han Ying
Gemischtes Doppel: Patrick Franziska/Petrissa Solja
Teilmannschaftsleiter: Richard Prause (Sportdirektor)
Trainer-Team: Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Jie Schöpp (Bundestrainerin Damen), Lars Hielscher (Assistenztrainer)
Physiotherapeut: Peter Heckert (OSP Hessen)
Arzt: Dr. Antonius Kass (Düsseldorf)
Schiedsrichterin: Anja Gersdorf (Düsseldorf)
Öffentlichkeitsarbeit: Benedikt Probst (Frankfurt/Main)