Frankfurt/Main. Nach Abitur, Olympia-Debüt und dem plötzlichen Medienrummel hat sich Annett Kaufmann nach Paris eine Auszeit gegönnt. Im Interview spricht sie über die Herausforderungen des Profi-Daseins, ihre Social-Media-Pause und den Spagat zwischen Tischtennis-Karriere und Privatleben. Hat sie nach Paris wirklich abschalten können? Und wie plant sie die nächsten Schritte ihrer noch jungen Karriere?
Nach Paris hast du in aller Abgeschiedenheit drei Wochen Urlaub gemacht und auch eine Social-Media-Pause eingelegt. Wie sehr hast du diese Auszeit in diesem turbulenten Jahr mit Abitur und Olympia-Premiere gebraucht? Hat sie ausgereicht, um den Akku neu aufzuladen?
Annett Kaufmann: Ich habe die Auszeit nach Olympia sehr gebraucht. Ich hätte sie eigentlich schon nach meinem Abi gebraucht, war da aber relativ zügig zur Olympia-Vorbereitung in Düsseldorf und habe fast einen Monat durchgängig trainiert, war nur zweimal fürs Wochenende zu Hause. Es war ein sehr anspruchsvolles Jahr und ganz anders, als ich es vorher gekannt hatte. Erst die anstrengende erste Jahreshälfte mit dem Abitur, danach die positiven und negativen Emotionen bei Olympia, der ganze Trubel – ich habe diesen Urlaub gebraucht, sonst hätte ich gar nicht mehr funktioniert.
Ob die Auszeit gereicht hat? Jein! Es war ein wunderschöner Urlaub, und ich habe meinen Akku aufgeladen. Dadurch, dass ich viel Aufmerksamkeit aufgrund meiner Performance in Paris bekommen habe, war es trotzdem stressig. Ich musste so viele Anfragen für Auftritte, Interviews und Management beantworten, dass ich zwischendurch fast das Gefühl verloren hatte, im Urlaub zu sein. Zum Glück waren die meisten Leute total verständnisvoll und haben es respektiert, wenn ich abgesagt oder Termine nach hinten verlegt habe.
Hast du die sozialen Medien wirklich komplett ruhen lassen? Wie hast du das ausgehalten?
Kaufmann: Ich habe die sozialen Medien so mäßig in Ruhe gelassen. Ich habe super, super, super viele Nachrichten bekommen – das war einfach überwältigend. Vor Olympia hatte ich auf Instagram um die 11.000 Abonnenten. Mittlerweile sind es mehr als 48.000 Follower. Entsprechend viele Nachrichten habe ich bekommen, für die ich sehr dankbar bin.
Natürlich habe ich mal auf Instagram geguckt oder auf anderen Plattformen mit meinen Freunden geschrieben, aber außer meinem Olympia-Beitrag, mit dem ich ein schönes Fazit ziehen wollte, habe ich nichts aktiv gepostet. Ich habe es ausgehalten und bin ein Mensch, der auch ohne die sozialen Medien leben könnte. Ich habe im Urlaub den ganzen Tag mit meiner Familie verbracht und hatte nicht das Verlangen, auf die sozialen Medien zurückgreifen zu müssen. Natürlich hat man sein Handy gerne dabei und ist in Kontakt, aber im Urlaub habe ich es manchmal vergessen mitzunehmen oder überhaupt nicht beachtet.
Wie viele Glückwünsche und Anfragen haben dich via Social Media erreicht. Hast du einen Überblick?
Kaufmann: Ich habe wirklich überhaupt keinen Überblick. Nach jedem Spiel bei Olympia habe ich auf den verschiedenen Kanälen hunderte Nachrichten bekommen und kam gar nicht dazu zurückzuschreiben. Dabei bin ich eigentlich jemand, der jeder Person, die mir schreibt, eine Wertschätzung geben möchte, indem ich ihr antworte oder zumindest ein Like zurückgebe. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass mich so viele Menschen auf der ganzen Welt unterstützen und hinter mir stehen.
Die Medien haben sich in Paris, aber auch danach um dich gerissen. Du hast schweren Herzens mehrere TV-Auftritte abgesagt. Ist es inzwischen ruhiger geworden?
Kaufmann: Ja und nein. Es ist ruhiger geworden als in der Woche nach Paris. Da war es der Wahnsinn. Es ist nicht so, dass ich nun gar keine Nachrichten mehr bekomme. Es sind jetzt vermehrt Interviewanfragen, weil wir im Urlaub geantwortet hatten, dass wir erst ab Ende September wieder erreichbar sind. Nach Olympia musste ich schweren Herzens viele TV-Auftritte absagen. Das ist sehr traurig, hat aber nicht in den Plan gepasst. Wenn es irgendwann sein soll, wird die Chance wieder kommen.
Was hat sich seit Olympia in deinem Leben verändert?
Kaufmann: Ich selbst habe mich nicht verändert. Ich bin immer noch dieselbe Annett wie vor Olympia. Das sagen auch meine Freunde, Familie und die Leute um mich herum. Ich bin immer noch verrückt auf eine positive Art und Weise. An Popularität habe ich gewonnen und habe Anfragen nach Interviews, TV-Auftritten oder Management bekommen. Das war davor nicht so. Und neulich wurde ich die ersten Male in meiner Heimatstadt erkannt.
Sonst hat sich eigentlich nichts verändert. Zumindest merke ich das nicht. Ich weiß nicht, ob ich mittlerweile vielleicht von anderen als eine Art Vorbild oder Führungsperson wahrgenommen werde.
Ich bin professioneller geworden, was aber nicht wirklich etwas mit Olympia zu tun hat. Ich bin diesen Weg gegangen, egal wie das Ergebnis in Paris gewesen wäre. Abgesehen von den ganzen Anfragen bin ich immer noch dieselbe Annett, die um jeden Ball fightet, und kann keine Veränderungen an mir feststellen.
Du kannst nach dem Abitur nun voll auf die Karte „Tischtennisprofi“ setzen. Wie sieht das aus, wo wohnst und trainierst du?
Kaufmann: Ich habe jetzt auf die Tischtennisprofi-Karte gesetzt, habe vorher aber mein Abitur gemacht, um einen Plan B zu haben. Jetzt steht Tischtennis im absoluten Fokus. Ich wohne immer noch zu Hause, kann Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen und die Zeit nachholen, die ich durch Turniere, Lehrgänge und Schule verpasst habe. Für mich ist es wichtig, beides zu haben: Sport und ein Privatleben. Wenn ich nicht irgendwo auf Turnieren bin, ob in China oder in Schweden, trainiere ich hauptsächlich in Böblingen. Dort ist alles inkl. Fitnessstudio super organisiert und sehr professionell. Eigentlich ist alles gleichgeblieben, nur hat sich die Anzahl meiner Trainingsstunden erhöht. Natürlich trainiere ich auch in Düsseldorf. Ich wohne jetzt erst mal zu Hause und werde je nachdem, wie es passt, für Trainingstage oder eine Woche ins DTTZ kommen.
Wie sehen deine Trainingsgruppen außerhalb Düsseldorfs aus, Trainingspartner und Trainer-Team?
Kaufmann: Krisztian Nagy ist seit ungefähr einem Jahr mein Trainer. Meine Sponsoren sind mit ACE, Tibhar und Spinsight immer noch dieselben. Meine Trainingspartner variieren weiterhin. In letzter Zeit habe beispielsweise mit Qianhong Gotsch, Mitsuki Yoshida und Dauud Cheaib trainiert. Ab und zu kommen auch andere Spieler zum Sparring nach Böblingen. Das hat Krisztian alles im Griff. Es ist alles geplant und organisiert. Es wird nicht so sein, dass ich mal in Böblingen antanze und keinen Trainingspartner habe.
Viele deiner Nationalteamkolleginnen sind in der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Du wirst zumindest in deinem ersten Profijahr diesen Weg noch nicht einschlagen. Warum?
Kaufmann: Ich möchte noch nicht zur Bundeswehr gehen, weil ich erst mal gucken möchte, wie es ist, Profi zu sein. Es ist mein erstes Jahr als Profi. Mir ist wichtig, jetzt nichts zu überstürzen. Bei der Polizei habe ich mich aber schon nach der Sportförderung erkundigt, da ich mir vorstellen könnte, Kriminalkommissarin zu werden. Sofern ich irgendwann ein gutes Gefühl haben sollte, werde ich das machen.
Welche Erwartungen hast du an deine Profikarriere?
Mit dem ersten halben Jahr 2024 bin ich total zufrieden und freue mich darauf, in die Profikarriere zu starten. Erwartungen habe ich nicht, auch nicht, dass ich immer so gut spielen werde wie bei Olympia. Ich gehe das eher locker und versuche, in das Profileben und seinen besonderen Rhythmus reinzukommen.
Wie sieht dein Turnierplan bis zum Jahresende aus?
Kaufmann: Nach dem China Smash stehen jetzt die Europameisterschaften in Linz an. Und ich habe mich riesig gefreut, dass ich für das WTT Champions Frankfurt eine Wildcard bekommen habe. Ab Ende November findet dann die Jugend-WM in Schweden statt. Darauf freue ich mich am meisten, weil ich dieses Turnier immer sehr gerne gespielt und gerade vom letzten Jahr schöne Erinnerungen habe. Worauf ich mich sehr freue, ist auch die Bundesliga-Saison, die jetzt starten wird. Ich bin sehr gespannt auf die Herausforderung bei meinem neuen Verein SV DJK Kolbermoor.
Das Jahresende ist nicht vollgepackt mit Turnieren, weil mein Trainer-Team möchte, dass ich meine physische Leistungsfähigkeit verbessere und ausreichend Muskulatur aufbaue, um verletzungsfrei zu bleiben. Deshalb ist für uns wichtig, den Fokus auf das Krafttraining zu legen. Auf die Turniere bereite ich mich natürlich trotzdem bestmöglich vor.
Du hast in Paris zahlreiche weit über dir in der Weltrangliste platzierte Topspielerinnen geschlagen. Was ändert sich, wenn du nicht mehr der Underdog bist?
Kaufmann: Ja, ich habe Topspielerinnen geschlagen, aber mache mir eigentlich keine großen Gedanken über die nächsten Turniere. Die Siege in Paris waren schön und haben mir eine gewisse Bestätigung gegeben, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Das liegt jetzt in der Vergangenheit. Meine zukünftigen Gegnerinnen werden natürlich meine Stärken und Schwächen analysieren. Das ist mir bewusst, und das wird jetzt wahrscheinlich akribischer und öfter gemacht als vielleicht vor Olympia. Ich habe aber auf jeden Fall Selbstbewusstsein und gehe mit dem Mindset rein: Der Gegner muss erst mal gegen mich gewinnen. Auch wenn ich nicht mehr der Underdog bin und diese Rolle natürlich einfacher ist, als die Gejagte zu sein: Ich mache mir keinen Druck oder Stress. Mir ist bewusst, dass ich auch nur ein Mensch bin, und ich werde nicht immer auf dem Level von Olympia spielen. Selbst wenn ich das schaffen würde, mache ich mir da keinen Druck und gehe alles gelassen an.
Im Training und im Wettkampf versuche ich, hart an mir zu arbeiten. Natürlich wird es auch Phasen geben, in denen es nicht so läuft, aber ich weiß, was ich kann und warum ich bin, wo ich gerade bin. Das passiert nicht durch Glück, sondern durch harte Arbeit und das Vertrauen in mich selbst. Das möchte ich genauso weiterführen und mich auf meinem Plan fokussieren, meinen Weg zu gehen und Selbstvertrauen zu haben. Ich gucke eigentlich nur auf mich selbst und höre nicht auf Außenstehende, Schlagzeilen oder Kommentare. Ich weiß, wie die Leistungskurve eines Sportlers aussehen kann. Wenn ich verlieren sollte, dann war der Gegner in dem Moment besser, ich weiß, woran ich noch arbeiten muss, und versuche es im nächsten Spiel anders zu machen. Ob es direkt klappt, es gar nicht dazu kommt oder es lange dauert, bis es funktioniert, ist zweitrangig. In dieser Situation war ich schon einmal und habe es geschafft, mich da raus zu kämpfen und meine Chance bei einem wichtigen Turnier zu nutzen. Ich habe großes Vertrauen in mich selbst, in mein Team und in meine Familie, deshalb ist alles gut, egal wie das Ergebnis ist.
Apropos Paris: Wie schwer wird es nach dieser Wahnsinnsatmosphäre sein, im TT-Alltag vor weniger enthusiastischem Publikum zu spielen?
Kaufmann: Die Atmosphäre in Paris war wirklich einfach nur „Wow“. Ich habe noch nie vor so einer großen Menschenmenge gespielt. Natürlich hat man bei einigen Turnieren viele Zuschauer, und es kann auch mal lauter werden, aber vor 6.000 Menschen Tischtennis spielen zu dürfen, die alle auf einen Tisch gucken und die meisten feuern einen sogar an, das war wirklich unbeschreiblich schön. Was das für ein Gefühl in mir ausgelöst hat, kann ich gar nicht in Worte fassen. Natürlich werde ich das vermissen, aber ich habe es vorher ja auch geschafft, ohne eine solche Atmosphäre zu spielen. Paris bleibt eine super schöne Erinnerung, und ich bin mir sicher, dass es bei irgendeinem Event sicher noch mal vorkommen wird. Ich bin happy, dass auch ohne Olympia Leute zum Tischtennis kommen und es gucken. Dafür bin ich sehr dankbar.
Beim WTT Champions Frankfurt können dich die deutschen Fans hautnah erleben. Wie sehr freust du dich auf den kleinen Hexenkessel in der Süwag Energie ARENA vom 3. bis 10. November?
Kaufmann: Das war letztes Jahr schon, wow, richtig toll. Es war so eine super schöne Atmosphäre. Ich habe mich mit den Fans ausgetauscht und diese enorme Unterstützung gefühlt. Dieses Jahr freue ich mich umso mehr, weil ich hoffe, dass noch mehr Menschen auch zu den früheren Runden kommen werden.
Letztes Jahr habe ich super viele tolle Menschen kennengelernt, Erwachsene und Kinder, mit ihnen Smalltalk gemacht und teilweise Tipps mit auf den Weg gegeben. Der Austausch mit den Fans und deren Unterstützung, wie die ganze Halle für mich geklatscht hat, war einfach der Wahnsinn. Auch wenn ich gegen meine gute Freundin aus Rumänien, Bernadette Szöcs, verloren habe, ist mir das WTT Champions Frankfurt als eine sehr schöne Erinnerung im Gedächtnis geblieben. Ich freue mich sehr darüber, durch die Wildcard wieder diese Möglichkeit zu haben.
Was nimmst du dir für deinen zweiten Auftritt beim WTT Champions Frankfurt nach der Premiere 2023 vor?
Kaufmann: Mein Ziel ist es, Sachen besser zu machen, die im letzten Jahr nicht optimal gelaufen sind und an meine diesjährigen Leistungen anzuknüpfen. Ich möchte um jeden Ball kämpfen und dabei die besondere Atmosphäre in der Halle genießen. Ich nehme mir vor, mit Selbstvertrauen und mit dem gleichen coolen Mindset reinzugehen wie bei den letzten Turnieren – bei Olympia, der WM oder dem WTT Youth Star Contender. Egal, was passiert und wie das Ergebnis sein wird, möchte ich mein Mindset beibehalten. Aber das sind Sachen, die ich mir bei jedem Turnier vornehme. Deshalb ist es in meinen Augen ein Turnier, das ich nutze, um Erfahrung zu sammeln und etwas zu lernen. Ich nehme mir nichts Konkretes vor, weil ich mich nicht selbst enttäuschen möchte, falls etwas nicht so ganz funktioniert.
Beim WTT Champions wird es sehr schwierig, ein Spiel zu gewinnen, aber mein Prinzip gilt auch hier: Ein Spiel gewinnen und alles andere ist Bonus. Ich möchte es genießen. Klar ist Tischtennis jetzt mein Beruf, aber Spaß gehört dazu, und es ist mir wichtig, ihn zu behalten.