Düsseldorf. „Ich dachte ja immer, es ist das Schwierigste, Kindern das Tischtennisspielen beizubringen. Das stimmt aber gar nicht“, sagt Han Ying. In der Corona-Zeit mit landesweit geschlossenen Schulen ersetzt Deutschlands aktuelle Nummer zwei die Lehrkräfte von Tochter Leonie. Die Siebenjährige geht normalerweise in die zweite Klasse einer Düsseldorfer Grundschule und erledigt den Großteil der Hausaufgaben während der offenen Ganztagsbetreuung. Nun ist seit Wochen Heimarbeit angesagt. „Der Stoff in Deutsch und Mathe in der zweiten Klasse ist noch nicht so schwer, aber Lehrer können den Kindern die Inhalte ganz anders vermitteln“, erklärt Han die Tücken des „Privatunterrichts“. Manchmal denke sie zum Beispiel zu sehr wie eine Tischtennisspielerin. Als bei einem Lückentext das passende Wortpaar eingetragen werden sollte, schlug Ying beim Wort „Münze“ das Verb „hochwerfen“ vor. Gesucht war aber „einstecken“. „Und als es ums Finden von Reimen ging, habe ich Yuan angerufen, weil ich nicht weiterwusste“, erzählt das 36-jährige Abwehrass mit den chinesischen Wurzeln, das im Jahr 2002 nach Deutschland zog, hier blieb und Ende 2010 die Staatsbürgerschaft erhielt.
Hans 22-jährige Nationalteamkollegin Yuan Wan hat chinesische Eltern, ist aber in Deutschland geboren und hat das komplette Schulsystem durchlaufen. Sie konnte schnell helfen. „Ich versuche, meine Fragen auf verschiedene Freunde und Bekannte zu verteilen“, sagt Han Ying. Bei der hohen Qualität ihrer Deutschkenntnisse werden es ohnehin nicht viele Fragen sein. „Dass ich durch die Hausaufgen mit Leonie selbst noch meine Grammatik verbessere, ist gut für mich.“
Zwei bis drei Stunden unterrichtet sie Leonie pro Tag. Für mehr reiche die Konzentration bei den Kleinen nicht, die in der Schule mehr Pausen haben und auch verschiedene Lehrer und Fächer, die für Abwechslung sorgen. Außerdem muss der Unterricht in den Trainingsplan von Mutter Ying und Vater Lei Yang, DTTB-Honorartrainer, passen. Unterstützung in der heimunterrichtsfreien Zeit bekommt die Familie Han/Lei von Han Yings Mutter. Sie war schon vor dem Beginn der Corona-Krise in Deutschland und konnte ihren Aufenthalt verlängern.
Bei Kristin Langs Tochter machte die Kita nach der Eingewöhnung dicht
Hilfe von ihren Eltern bekommt auch Nationalteamkollegin Shan Xiaona. Im Juli wird Töchterchen Mia zwei Jahre alt. Krippen- und Kita-Plätze sind in Düsseldorf Mangelware, so war die Familie ohnehin gewöhnt daran, aus China einzufliegen und auszuhelfen. Doppel-Europameisterin Kristin Lang hatte für Tochter Carolin endlich den ersehnten Betreuungsplatz bekommen, doch nach gelungener Eingewöhnung machte die Kita dicht. „Für uns ist es keine große Umstellung, da wir das vorher auch hinbekommen haben“, erzählt die zweifache Doppel-Europameisterin. „Man merkt Carolin natürlich an, dass sie gleichaltrige Kinder vermisst, und das tut mir dann sehr leid.“
Immerhin können die Damen seit Kurzem im DTTZ Tischtennis im Schichtbetrieb trainieren, im Wechsel mit den Para-Assen und unter strenger Einhaltung der Auflagen der Stadt Düsseldorf. Für Han Ying und Shan Xiaona ist es inzwischen kaum noch ein Unterschied im Vergleich zur Vor-Corona-Zeit. Auf ein bis teilweise sogar zwei Einheiten pro Tag in der Halle folgt Kraft- und Athletiktraining zu Hause oder draußen. Han Ying hatte sich im Januar sogar einen Tischtennistisch für den heimischen Keller zugelegt. „Eigentlich wollten wir daran mit Leonie spielen. Da hatte ich wohl einen sechsten Sinn, was den Zeitpunkt betrifft“, beschreibt European-Games-Einzel-Finalistin Han. Ein Ergometer und ein paar zusätzliche Hanteln komplettieren den heimischen Fitnessbereich. Kristin Lang, die zusätzlich zwei halbe Tage als Physiotherapeutin in einer Praxis arbeitet, trainiert dreimal pro Woche, davon einmal am Wochenende. „Ich mache viel Fitness nebenbei. Oft macht Carolin zu Hause Sport mit mir“, sagt Lang.
Erzwungene Entschleunigung des Profi-Lebens
Langs beste Freundin Shan Xiaona hat eine Veränderung in ihrer Einstellung beobachtet: „Früher dachte ich, ich sei zu viel unterwegs und würde gern mehr Zeit zu Hause verbringen. Jetzt ist mir fast schon langweilig. Mir fehlen die Turniere.“ Ein Angebot aus der chinesischen Liga während der deutschen Sommerpause kann die Nummer zwei des Deutschen Mehrfach-Meisters ttc berlin eastside wegen der Reisebeschränkungen (vorerst) nicht annehmen.
Kristin Lang hat sich mit der Corona-Erfahrung vorgenommen, „dass ich mir nicht mehr alles so vollpacke und mir mehr Freizeit gönne, die ich dann mit meiner Familie verbringen kann.“ Der gezwungenermaßen entschleunigte Alltag sei eine positive Erfahrung für sie. Außerdem werde sie viel öfter lokal einkaufen, als online bei großen Händlern zu bestellen. Aber eines darf man auf der Suche nach den positiven Aspekten der Corona-Krise nicht vergessen: „Das Schlimmste ist, dass es weltweit so viele Opfer gibt“, stellt Kristin Lang klar.