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Zwei von sieben in der Baku-Männer-WG: Rainer Kruschel und Jörg Roßkopf (Foto: SH)

Baku-Tagebuch, Seite 4: Teilmannschaftsleiter Rainer Kruschel

Aufgezeichnet von SH 17.06.2015

Baku. Als Leistungssportreferent arbeitet Rainer Kruschel bereits seit 2002 für den Deutschen Tischtennis-Bund. Von der Jahresplanung bis zum Turnierdirektor bei Weltmeisterschaften im eigenen Land hat der 49-jährige gebürtige Wolfsburger schon so ziemlich alle Führungsaufgaben erledigt, die im Bereich Leistungssport anfallen. Seinen jetzigen Job bei den European Games in Baku aber hatte er noch nie.

Rainer Kruschel: „In Baku bin ich ‚Teilmannschaftsleiter‘. Das klingt gut, ist auch toll und heißt übersetzt „Mädchen für alles“. Die Teilmannschaftsleiter sind die Ansprechpartner des Deutschen Olympischen Sportbundes für die jeweilige Sportart. Tischtennis ist eine eher kleine Teilmannschaft mit sechs Athleten; mein Kollege vom Turnen kümmert sich um 27 Sportlerinnen und Sportler. Hinzukommen bei uns beiden die Betreuer, beim Tischtennis sind es deren sechs.

Die Struktur mit den Teilmannschaftsleitern hat sich schon bei mehreren Olympischen Spielen bewährt. So muss sich der DOSB nur an einen Vertreter der Sportart wenden und nur von diesem können Wünsche und Vorschläge an den DOSB herangetragen werden. Sonst würde bei 265 Athleten plus Betreuern wohl das Chao ausbrechen, denn vom Flugumbuchungen bis zur Beantragung von Gastakkreditierungen für das Athletendorf wird alles über den DOSB geregelt. In den vergangenen Jahren war Dirk Schimmelpfennig als unser Sportdirektor immer der Teilmannschaftsleiter. Nach seinem Wechsel zum DOSB ist er nun als „Chef de Mission“ in Baku und hält alle zwei Tage um 8 Uhr für eine halbe bis eine Stunde die Sitzungen mit allen Teilmannschaftsleitern ab.

Polizei-Eskorte mit Tempo 40

Bei dieser Sitzung geht es um die sportlichen Ergebnisse aller Teams, aber auch um organisatorische Defizite, die es gibt und die der DOSB versucht zu lösen. Bei uns gibt es zum Beispiel aktuell ein Transportproblem. An den ersten Tagen hat der Shuttle-Bus vom Athletendorf zur Halle bereits 45 bis 50 Minuten gebraucht, was ohnehin schon lange ist. Unsere Halle liegt am weitesten entfernt von allen. Seit kurzem dauert die Fahrt sogar eine gute Stunde, denn dem Reisebus zur Baku Sports Hall und zurück fährt nun immer ein Polizeiwagen mit Tempo 40 vorweg. Das macht es an Tagen unmöglich, an denen wir zweimal spielen, zwischendurch zum Athletendorf zurückzukehren, wo man sich ausruhen und etwas essen kann. Zwar gibt es in der Halle eine ‚Players Lounge‘ und Lunch-Pakete, aber die sind, nett gesagt, nicht für jeden das Optimum. Der DOSB hat uns nun eine der heißbegehrten sogenannten TX-Pässe verschafft. Mit denen um den Hals darf man eines der weißen Games-Taxis benutzen, die einen jederzeit und innerhalb von 15 Minuten durch die Innenstadt zum Athletendorf bringen. Das ist perfekt. Allerdings haben wir eben nur einen davon für unsere drei Spieler im Wettbewerb.

Erst kaputte Klimaanlage, dann Rohrbruch

Ich bin einen Tag vor unserer Mannschaft in Aserbaidschan angekommen. Das war gut so, denn es gab noch einiges zu tun, bis unsere Teams die beiden Appartements beziehen konnten. Bei den Herren hat zuerst die Klimaanlage nicht funktioniert. Bei 33 Grad Außentemperatur herrschte drinnen stickige Luft mit 28 Grad. Als die Jungs das zu Hause hörten, ist ihre Lust anzureisen gleich etwas gesunken, aber das Problem ließ sich rechtzeitig lösen. Die Klimaanlage funktionierte gerade, da gab es einen Wasserrohrbruch in unserem Haus. Wasser lief in den Fahrstuhl, und wäre der nicht bis zur Anreise des Teams fertig gewesen, hätten die Spieler ihre Koffer und Taschen in den achten Stock tragen müssen. Glück gehabt!

Unser Appartement ist olympisch spartanisch eingerichtet. Die Räume sind größer als bei den Olympischen Spielen in London, aber nicht besser eingerichtet. Ein Fernseher zum Beispiel fehlt, auf dem die Athleten sich die Kollegen in anderen Sportarten ansehen könnten. Das ist zwar ein bisschen schade, aber so sitzen wir abends am Tisch zusammen und sprechen neben dem Sport auch mal über ganz Alltägliches. Über Familie, den nächsten Urlaub, Spielerwechsel im Fußball oder in anderen Sportarten oder über das NBA-Spiel in der vergangenen Nacht, dass sich die von uns angeguckt haben, die nicht schlafen konnten.

Wie eine kleine Familie

Natürlich kenne ich unsere Mannschaft schon so lange von so vielen Turnieren, aber so nah dran, dass wir uns ein Appartement teilen, war ich tatsächlich noch nie. Auch dieses Zusammenleben, das einer kleinen Familie ähnelt, macht für mich den Reiz dieser Spiele aus, die besondere Atmosphäre. Die Jungs sind sehr diszipliniert und ordentlicher, als ich das manchmal aus ihren Hotelzimmern bei Turnieren kenne. Jeder nimmt hier Rücksicht auf den anderen, auf seine Eigenheiten, zum Beispiel wenn einer von ihnen morgens gerne länger schläft. Geschlafen habe ich in der Nacht zum Mittwoch übrigens wenig. Um 3.15 Uhr hat mein Wecker zum ersten Mal geklingelt. Ich wollte sichergehen, dass Timo rechtzeitig loskommt und pünktlich den Shuttle zum Flughafen nimmt. Er ist direkt mit der Frühmaschine zurück nach Deutschland geflogen, um seine Lebensmittelvergiftung auszukurieren. Ein zweites Mal klingelte mein Wecker dann um sieben, damit ich rechtzeitig bei der Teilmannschaftsleiter-Sitzung sein konnte.

Neben meinen organisatorischen Aufgaben hier läuft mein Job im DTTB-Generalsekretariat in Neu-Isenburg ja auch noch weiter. Ich muss mich aber in diesen Tagen darauf beschränken, die Mails zu lesen und nur die wichtigsten zu beantworten. Der Rest muss zu Hause warten, bis ich zurück bin - mit den üblichen Turnieren vor der Tür, aber auch den Weltmeisterschaften 2017 in Düsseldorf.“ Apropos warten: Ich kann es - trotz aller tollen Erlebnisse hier - nach (dann) fast zwei Wochen bei den European Games kaum erwarten die Baku-Familie wieder gegen meine eigene einzutauschen."

 

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