Bamberg. Ob Bastian Steger am Montag einen Tag frei bekomme, wollten die Journalisten wissen. Am Tag nach den Deutschen Meisterschaften in Bamberg beginnt schließlich der erste WM-Vorbereitungslehrgang der DTTB-Herren für die Individual-Weltmeisterschaften in Rotterdam im Mai. Die Antwort des Bundestrainers auf die Anfrage per SMS war unmissverständlich: "Warum? Hat er Geburtstag? Er hat morgen eine Einheit Konditionstraining und eine Tischtennis."
Als Bastian Steger nach seinem verwandelten Matchball zum 11:8 im siebten Satz im Endspiel gegen Dimitrij Ovtcharov zu Boden sank, war dies eine Mischung aus Glück und Erschöpfung. Er ist am Ziel seiner, wenn es so etwas gibt, nationalen Träume. Das Bundesranglistenfinale, die zweitwichtigste deutsche Veranstaltung, hatte er 2003 schon gewonnen. Bei Deutschen Meisterschaften hatte er 2003 Titel im Doppel und Gemischten Doppel gewonnen, aber im Einzel, da hatte er zweimal im Finale gestanden und jeweils gegen Timo Boll den Kürzeren gezogen. Gegen seinen fast gleichaltrigen Dauerrivalen seit Jugendzeiten. Als Elke Schall 2009 im Alter von 35 Jahren endlich ihre erste Einzelmeisterschaft gewonnen hatte, sagte sie, sie habe „diesen Rucksack endlich abgelegt“. So etwas fühlt wohl jeder, der immer nah dran war, dem es viele gegönnt haben, es aber lange nicht geschafft hat. Einer, wie Steger wohl auch einer war.
Meister der "minis" 1990
An Tischtennistischen in Hobbykellern von Ein-Familien-Häusern haben schon viele Karrieren begonnen. Auch die von Bastian Steger. Schon als er kaum über den Tisch gucken konnte, spielte er unter Anleitung seines Vaters Johann seine ersten Bälle im heimischen Oberviechtach. 1990 wurde er Bundessieger bei der erfolgreichsten Breitensportveranstaltung im deutschen Sport, den mini-Meisterschaften, an denen pro Jahr über 40.000 Kinder teilnehmen. Seine ersten Vereinsstationen waren ASV Fronberg, TSV Kareth-Lappersdorf und DJK SB Regensburg. Sein Vater, selbst ehemaliger Akteur in den oberen Spielklassen, förderte ihn intensiv, suchte die passenden Vereine aus, selbst wenn dies lange Anfahrtswege bedeutete.
Steger war talentiert und ehrgeizig. Er trainierte intensiv, absolvierte als Kadermitglied Lehrgänge auf bayerischer und später auf Bundesebene. „Sein Talent hat jeder sofort erkannt“, bestätigt Claus Wagner, Präsident des Bayerischen Tischtennis-Verbands, der die Karriere seines „Landsmanns“ von Beginn an verfolgt hat. Schließlich war Wagner zu seinen eigenen Uni-Zeiten bei Bayerischen Hochschulmeisterschaften gegen Papa Steger angetreten und seitdem mit der Familie bekannt. „Wir freuen uns riesig für ihn. Sein Doppel-Sieg lässt unsere Herzen hier in Bayern höher schlagen. Schließlich ist er hier groß geworden“, sagt Wagner.
Erst Abitur, dann Profilaufbahn
Bastians Eltern „Hans“ und Gertrud, beide Lehrer von Beruf, legten jedoch auch Wert auf eine richtige Ausbildung. „Schließlich können nur die wenigsten vom Tischtennis leben“, war die Devise. So machte „Basti“ zunächst sein Abitur. Im Jahr 2000 wechselte der Sportfan und wohl rasanteste Autofahrer des Nationalteams zu Borussia Düsseldorf und startete so richtig durch.
Heute zählt er längst zu den „Big Five“, den fünf besten Deutschen in der Weltrangliste, die vier Europameistertitel gewonnen haben, bei der Mannschafts-WM 2010 in Moskau Silber errangen und 2012 bei den Heim-Weltmeisterschaften in Dortmund die Chinesen vom Thron stoßen wollen. Beim Pro-Tour-Finale zu Beginn des Jahres gelang ihm sein bisher größter internationaler Coup. Er besiegte den Olympiasieger von 2004, Ryu Seung Min, vor dessen heimischer Kulisse in Südkorea und Dimitrij Ovtcharov. Erst Japans Nummer eins, Jun Mizutani, konnte ihn im Finale stoppen. Durch diesen Erfolg kletterte er in der Weltrangliste weiter nach oben, ist aktuell die Nummer 22. Seine höchste Platzierung war die Position 20 im Februar vergangenen Jahres.
Seine Eltern hätten den Triumph fast verpasst
Im Finale vor über 3000 begeisterten Zuschauern in der Stechert Arena war Bastian Steger ganz auf sich gestellt. Bei Kontrahent Dimitrij Ovtcharov saß Vater Mikhail als Coach an der Box. Stegers Eltern hatten auf der Tribüne Platz genommen. Beinahe wären sie gar nicht da gewesen. „Ich war bei den German Open in Dortmund und bei zwei Bundesligaspielen. Weil meine Frau in der vergangenen Woche krank war, haben wir überlegt, ob wir überhaupt nach Bamberg fahren sollen“, verrät Hans Steger. Gut, dass sie es sich dann doch überlegt haben. Eine gemeinsame Familienfeier ist allerdings trotzdem nicht drin. Noch am Abend fuhr Bastian Steger mit Doppelpartner und Kumpel Lars Hielscher nach Frankfurt, wo am Montag der erste WM-Vorbereitungslehrgang der DTTB-Herren für die Individual-Weltmeisterschaften in Rotterdam im Mai beginnt.
Dass die Freunde in Bamberg auch gemeinsam den Doppel-Titel gewannen, macht den Erfolg gleich zweimal so schön. Nach ihrem ersten Erfolg in Minden 2006 gingen sie - auf beiden Seiten verletzungsbedingt - für einige Jahre getrennte Doppel-Wege. Im vergangenen Jahr unterlagen sie Patrick Baum und Dimitrij Ovtcharov im Finale knapp in sieben Sätzen. In Bamberg besiegten sie das Youngster-Duo Patrick Franziska/Philipp Floritz im Endspiel ebenso mit 4:3.
"Großer Kämpfer, feiner Charakter"
„Wir haben nie aufgegeben und immer weiter gekämpft“, erklärt Lars Hielscher. Schon im zweiten Spiel, gegen die gebürtigen Chinesen Lei Yang/Mu Hao, standen die an Position zwei gesetzten Hielscher/Steger kurz vor dem Aus. Keine der Runden war ein Spaziergang, so wurde das Doppel neben dem Einzelwettbewerb zu einer echten Doppelbelastung für Bastian Steger. Seine hervorragende Athletik half ihm, die Marathonveranstaltung zu überstehen.
Ein weiteres Plus: „Neben seinem hohen spielerischen Niveau ist Basti ein echter Kämpfer“, beschreibt Lars Hielscher. „Er lässt nie locker, egal wie es steht. Er entscheidet viele enge Spiele für sich oder gewinnt noch nach hohen Rückständen, weil er taktisch so stark ist und einen so guten Kopf hat.“ Nach außen wird der "gute Kopf" schon mal genau andersherum ausgelegt: "Ich wurde schon oft darauf angesprochen, ob ich es vorziehe, in Rückstand zu liegen", so Steger selbst. "Aber das kann ich von Herzen verneinen. Angenehm ist es für mich sicher nicht, hinten zu liegen."
Auch fernab des Tisches ist Hielscher voll des Lobes: „Viele haben ihm diesen Einzeltitel gegönnt. Er wirkt nach außen ruhig, ist aber ein lustiger Kerl, ein sehr feiner Charakter.“ Der EM-Dritte im Doppel von 2000 muss es wissen, schließlich haben die beiden kürzlich ein knappes halbes Jahr lang als Wohngemeinschaft zusammengelebt. Weil Bastian Stegers Wohnung in Düsseldorf noch nicht fertig war, war er kurzfristig bei Lars Hielscher eingezogen. Bastian Stegers Wohnung ist nun fertig. Seinen perfekten Tag in Bamberg kann er trotzdem nicht dort feiern - schließlich ist erst mal der WM-Lehrgang.