Frankfurt/Main. Timo Boll war im #EverydayLeadershipTALK der DFB-Akademie zu Gast. Im 40-minütigen Gespräch mit Thorsten Hermes spricht der Rekord-Europameister u.a. darüber, was eine Führungspersönlichkeit auszeichnet, wie er zum Vorbild für Fairness wurde und wie er kritische Spielphasen übersteht.
Fairness
Timo Boll: "Ich war als Schüler und Jugendlicher nicht immer so fair wie heute. Wenn es mal passiert ist, dass ich einen Punkt mitgenommen habe, der mir nicht zustand, habe ich mich danach schlecht gefühlt. Ich kann nur einen verdienten Sieg 100-prozentig genießen. So hat sich das bei mir etabliert. Gerade wenn Topspieler mit gutem Beispiel vorangehen, kann sich das durch die ganze Sportart ziehen. Das würde ich mir im Fußball auch wünschen."
Wandel vom bequemen Talent zum akribischen Perfektionisten
"Gerade zu Beginn meiner Karriere war ich bequem und habe immer mal einen Push gebraucht. Ich hatte gute Vorbilder wie Jörg Roßkopf, die mir gezeigt haben, wie hart ich arbeiten muss. Ich hatte in gutes Umfeld. Das große Talent allein hat leider nicht ausreicht. Es war viel Plackerei und Disziplin. Am Ende gewöhnt man sich daran und kann sich auch komplett umstellen. Auch wenn man der bequeme Typ war, kann man trotzdem zum disziplinierten Perfektionisten werden, der versucht alles herauszuholen. Das bin ich mittlerweile geworden. Das ist auch eines der Geheimnisse, warum ich mich im hohen Sportleralter immer noch weiterentwickeln konnte, diese Akribie und dieser Perfektionismus."
Sein Mantra für kritische Spielphasen
"Wenn ich überpace und merke, dass es gar nicht läuft und ich innerlich wahnsinnig werde, sage ich mir ein, zwei Sätze als Mantra auf: „Ich atme ein, ich atme aus“ und achte nur auf meine Atmung. Das hilft mir enorm, um alles aus dem Kopf zu bekommen und klar Schiff zu machen. Das ein, zwei Mal gesagt und auf die Atmung geachtet hilft mir schon, um alles Negative zu vergessen. Dann fängt man wieder bei null an. So versuche ich, diese schlechten Phasen zu überbrücken und ein Spiel zu drehen. Das habe ich echt lange trainiert. Es hat aber auch von Anfang an ein bisschen geholfen. Es ist wichtig, dass man dabei schnell Erfolgserlebnisse hat. Dann kann man das perfektionieren."
Gewinnen ist gut, Verlieren ist wichtiger
"Das Gewinnen ist natürlich wichtig, um Selbstvertrauen zu tanken, und es ist einfach ein angenehmeres Gefühl. Um aber ein besserer Spieler zu werden, war mir das Verlieren aber viel, viel wichtiger. Mein Trainer Helmut Hampl hat immer extrem darauf geachtet, dass ich gegen Bessere trainiere und dass ich im Training häufig auf die Ohren bekomme. So habe ich viel besseres Feedback dazu bekommen, was mir noch fehlt. Nach einer Niederlage überlegt man viel konsequenter, was nicht gestimmt hat, wo man sich verbessern kann. Wenn man nur noch gewinnt, neigt man schnell dazu, selbstzufrieden zu werden. Es war mir wichtig, Niederlagen zu spüren, daran aber nicht zu verzweifeln, sondern einen Weg zu finden, Fehler auszumerzen."
Auf jeden Ballwechsel folgt die Analyse
"Analytik ist ein sehr wichtiges Stichwort. Man muss ehrlich zu sich sein, um sich zu verbessern. Man kann nicht immer glauben, wenn etwas schlecht gelaufen ist, dass man nicht selbst daran Schuld ist. Das muss man erst einmal begreifen. Man muss das Gespür entwickeln, woran es gelegen hat. Das macht die guten Sportler aus. Ein Gefühl dafür zu haben, wo der Fehler liegt und woran am arbeiten muss. Das mache ich immer noch so - jeden Schlag zu analysieren, nach jedem Ballwechsel noch mal kurz zu überlegen, ob die Platzierung gut war, war der Handgelenkseinsatz passend, war der Schlägerwinkel richtig. Dieser Perfektionismus ist sehr wichtig, um ganz nach oben zu kommen."
„Everyday leadership“ bedeutet für mich…
"Das bedeutet für mich, mit gutem Beispiel voranzugehen. Ich muss das nicht jedem auf die Nase binden. Wenn man selbst mit gutem Beispiel vorangeht, ist das das wichtigste Zeichen, um eine Mannschaft zu führen und Vorbild zu sein."
Über die DFB-Akademie
Die Akademie des Deutschen Fußball-Bundes soll alle Akteure im nationalen Fußball miteinander vernetzen, um die Qualität in verschiedenen Alters- und Leistungsklassen zu verbessern – von Athletik, Training und Coaching bis hin zur Ernährung. In den regelmäßig veröffentlichten langen Interviews als Video- und Audio-Podcast kommen Fußballpersönlichkeiten vor, aber auch Personen aus anderen Bereichen wie ESA-Astronaut Alexander Gerst, die mexikanische Dirigentin Alondra de la Parra Borja und Iron-Man Jan Frodeno.