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Erleichterter Jubel: Timo Boll nach dem 4:3-Auftakterfolg (Foto: ITTF)

Boll zittert sich, Han Ying rast ins Achtelfinale

FL 07.08.2016

Rio de Janeiro. Welch eine Dramatik in seinem Auftakteinzel in Rio: Timo Boll hat das frühe Olympia-Aus abgewendet und sich nach hartem Kampf gegen den Russen Shibaev ins Achtelfinale gespielt. Boll war zwischendurch schon auf der Verliererstraße gewesen, gewann am Ende in sieben Sätzen. Han Ying zog dagegen im Schnelldurchgang in die Runde der letzten 16 ein. Die Abwehrspielerin und Nummer sieben der Welt gab gegen die Thailänderin Nanthana Komwong nur 13 Punkte in vier Sätzen ab. Am Montag steigen Petrissa Solja und Dimitrij Ovtcharov in den Wettbewerb ein. Außerdem finden die Achtelfinal-Partien statt.


Durchatmen, ganz tief durchatmen hieß es für die deutschen Tischtennis-Fans im Riocentro 3, für die Nachtschwärmer in Deutschland und auch für den Protagonisten selber. „Ich wollte es nicht so spannend machen, aber mir blieb keine andere Wahl“, sagte Timo Boll nach dem 4:3-Erfolg in seinem Rio-Auftakteinzel gegen den Russen Alexander Shibaev (RUS). Boll musste gegen den über weite Strecken sehr aggressiv und fehlerfrei agierenden Weltranglisten-23. über die volle Distanz gehen – und war nicht weit von einem frühen Ausscheiden entfernt; etwa beim 1:4 im sechsten Satz, als Bundestrainer Jörg Roßkopf ein Time-Out nahm, dass die Wende bringen sollte. Später bei 9:9 war Shibaev nur zwei Punkte von einem 4:2-Erfolg und der Überraschung weg. Doch mit Klasse und auch etwas Fortune rettete sich der Deutsche in den Entscheidungssatz, der relativ glatt zu Gunsten Bolls ausfiel.


„Shibaev hat auf einem sehr hohen Niveau gespielt, mit der Vorhand sowieso, aber er war auch mit der Rückhand sehr stabil. Wir wussten aber, dass er das nicht konstant so durchziehen kann. Im siebten Satz hat man das deutlich gesehen. Ich hatte keine Zweifel, dass Timo noch gewinnt. Shibaev hat bei 3:3 zwei Rückschläge ins Netz gesetzt und die Rückhand kam nicht mehr so. Auf solche Situationen hat Timo gewartet“, analysierte Bundestrainer Jörg Roßkopf. Der Rekordnationalspieler ist an und neben der Box oft die Ruhe selbst, aber bei 1:4 im sechsten Satz und der anschließenden Auszeit habe auch er einen erhöhten Puls gehabt. Dennoch: „Timo hat die Qualität dranzubleiben, das ist seine große Stärke.“


Boll: Ich wusste, was auf mich zukommt


„Für das erste Spiel war Shibaev ein schwerer Gegner, den viele fürchten. Er hat auch schon Spieler wie Xu Xin in Bedrängnis gebracht, nicht ohne Grund“, sagte ein erleichterter Boll. Vor Rio hatte sich der Russe mit der deutschen Mannschaft vorbereitet. „Er war auch schon im Training sehr gut, er ist ein Spieler mit einem starken Vorhandzug. Ich wusste, was auf mich zukommt. In dem Spiel ging es viel um Feinheiten, um Platzierung und Wechsel“, so Boll.

Sein Achtelfinalgegner am Montag ist nicht – wie von vielen erwartet – der Taiwanese Chuang Chih-Yuan, sondern der Nigerianer Quadri Aruna, der zum Staunen aller den Olympia-Vierten von London 2012 mit 4:0 aus der Box fegte. „Aruna ist brandgefährlich, einer, der die Füße in die Hand nimmt. Ich kenne ihn gut von einigen Showturnieren, morgen wird er natürlich ganz anders antreten“, sagt Boll.


Jörg Roßkopf sieht einige Vorteile für seinen Schützling. „Gegen Rechtshänder ist Aruna besonders gut, gegen Linkshänder weniger. Vor allem im Aufschlag-Rückschlag-Bereich kann Timo etwas machen.“ Der Nigerianer Aruna ist in Deutschland unter Tischtennis-Fans gut bekannt, avancierte er 2014 in Düsseldorf beim Men’s World Cup als Viertelfinalist zum Publikumsliebling.


Roßkopf glaubt außerdem an einen positiven Effekt durch die Fahnenträgerwahl. „Timo hat ein gutes Spiel gemacht, auch wenn es sehr knapp war. Ich denke, die Wahl zum Fahnenträger hat ihn noch ein Stück mehr Leichtigkeit gegeben, das war eine riesen Sache für ihn. Und in Form ist er sowieso.“


Ovtcharov am Montag ebenfalls gegen Trainingskollegen


Wie Boll bestreitet Dimitrij Ovtcharov sein Auftakteinzel gegen einen bekannten Trainingspartner Der Chinese Li Ping, der für Katar an den Start geht, machte weite Teile der Rio-Vorbereitung mit dem DTTB-Team mit. Einen Vergleich der beiden gab es erst kürzlich beim Olympia-Vorbereitungsturnier in Hamm, dass der Weltranglisten-Fünfte Ovtcharov gegen den Weltranglisten-28 mit 3:1 gewann. „Der Einstieg in die Runde der letzten 32 ist für die Topspieler nicht einfach. Die Gegner gehen mit einem Erfolgserlebnis in das Spiel, sind gut drauf, während man selbst noch nicht so weiß, wo man steht. Das hat man heute auch gesehen. Da kommt Chuang hierher und nach 20 bis 30 Minuten kann er die Tasche wieder packen“, sagt Jörg Roßkopf.


Petrissa Solja hat bei ihrem Olympia-Debüt mit der nordkoreanischen Abwehrspielerin Ri Myong Sun (WR: 37) die vermeintlich schwierigste Hürde des DTTB-Quartetts in der Runde der letzten 32 zu nehmen. Die 22-jährige Weltranglisten-15. nahm ihr Kontrahentin am Vormittag im Riocentro 3 schon mal unter die Lupe. Die letzten beiden Begegnunen hatte Solja gegen die Asiatin verloren. „Peti ist keine, die vorher aufgibt. Sie hat sich gegen Abwehr verbessert, auch wenn sie da noch nicht die Stärken aufweist wie gegen Angriff. Aber sie wird richtig stark kämpfen“, sagt Bundestrainerin Jie Schöpp.


Han Ying: Erstes Spiel, erster Sieg bei Olympischen Spielen


Im Gegensatz zu Timo Boll zog Han Ying im Schnelldurchgang in die Runde der letzten 16 ein. Die Abwehrspielerin und Nummer sieben der Welt gab gegen die Thailänderin Nanthana Komwong nur 13 Punkte in vier Sätzen ab. Gerade einmal 19 Minuten dauerte die erfolgreiche Olympia-Premiere von Han gegen die fast schon bemitleidenswerte Thailänderin. "Ich dachte, ich sei sehr nervös, der Sieg fühlt sich toll an. Meine Gegnerin lag mir. Es war leichter als erwartet", sagte die 33-jährige Han, die seit 2013 Nationalspielerin ist und mit Team-Deutschland drei EM-Titel in Serie feierte. Auf die Frage, ob das erste Spiel vielleicht zu deutlich ausging, antwortete Han Ying: "Klar ist immer besser." Vor einigen Jahren hatten sich die beiden einmal in der Bundesliga duelliert - ebenfalls mit dem besseren Ende für das in China geborene Abwehrass.


Albtraum wegen Tochter


Olympische Spiele seien mit anderen Turnieren nicht vergleichbar. "Die Zuschauer fiebern mehr mit, die Stimmung ist eine ganz andere", sagt die in Rio an Position fünf Gesetzte. An ein mögliches Viertelfinale mit der topgesetzten Ding Ning bescheren Han Ying ("Am Anfang war ich etwas traurig über die Auslosung, jetzt schaue ich einfach von Runde zu Runde") keine Albträume. Dafür allerdings ihre vierjährige Tochter Leonie, die weit weg bei den Großeltern ist. "Ich hatte einen Albtraum, dass sie plötzlich ganz groß geworden und kein Kind mehr ist. Es ist schon schwer für mich, sie nicht bei mir zu haben", erzählt Han. Ein schlechter Traum im Riocentro 3 blieb am Sonntagabend aus ihrer Sicht glücklicherweise aus. Im Achtelfinale trifft Han am Montag, 21 Uhr deutscher Zeit, in einem Abwehr-Abwehr-Duell auf Li Xue aus Frankreich, die durchaus überraschend Li Jie (Niederlande) nach einem 70-Minuten-Marathonmatch aus dem Turnier warf.


Überraschungen: Calderano verzückt Brasilien, Ishikawa fliegt raus


Am zweiten Tag der Tischtennis-Einzel-Wettbewerbe gab es die eine oder andere Überraschung. Neben dem Sieg von Aruna über Chuang konnte sich Lokalmatador Hugo Calderano vom TTBL-Club Ochsenhausen gegen den Weltranglisten-15. Tang Peng (Hongkong) durchsetzen – getragen von den brasilianischen Anhängern und frenetischem Jubel. Eine ganz bittere Stunde erlebte Japans Medaillenhoffnung Kasumi Ishikawa, die nach einer 2:0-Satzführung noch gegen die Nordkoreanische Abwehrerin Kim Song I verlor und am Ende von Krämpfen geplagt war. „Ich hatte noch nie Krämpfe während eines Spiels. Das ist eine Schande, dass ich das Level körperlich nicht halten konnte“, sagte eine enttäuschte Ishikawa. „Heute ist der Geburtstag meiner Mutter, eigentlich wollte ich meinen Sieg mit ihr feiern.“


Locker weiter kamen dagegen die Topfavoriten Ma Long und Ding Ning aus China. Ma Long könnte der Viertelfinalgegner von Timo Boll werden. „So amateurhaft bin ich nicht, dass ich denke, ich stehe schon im Viertelfinale. Das habe ich aus Respekt vor den Gegnern noch nie gemacht. Erst mal muss ich am Montag gewinnen. Ma Long ist spielerisch derzeit sicher das Maß aller Dinge“, so Boll.

 

Herren-Einzel

Letzte 32

Timo Boll – Alexander Shibaev RUS 4:3 (-12,4,-7,7,-10,10,6)

Dimitrij Ovtcharov – Li Ping QAT (Montag, 17 Uhr*)


Achtelfinale

Timo Boll – Quadri Aruna NGR (Montag, 22 Uhr)

evt. Dimitrij Ovtcharov – Tiago Apolonia POR/Bojan Tokic SLO (Dienstag, 2.30 Uhr)

 

Damen-Einzel

Letzte 32

Han Ying – Nanthana Komwong THA 4:0 (2,4,4,3)

Petrissa Solja – Ri Myong Sun PRK (Montag, 16 Uhr)


Achtelfinale

Han Ying – Li Xue FRA (Montag, 21 Uhr)

evt. Petrissa Solja – Ai Fukuhara JPN/Daniela Dodean-Monteiro (Dienstag, 1.30 Uhr)


*deutsche Zeit

Zu den Ergebnissen und Ansetzungen

 

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