Fehlheim/Frankfurt. Anastasia Bondareva ist 19 Jahre alt, spielt in der Damen-Bundesliga, war Jugendeuropameisterin im Team und hat auf nationaler Ebene zahlreiche Medaillen gewonnen. Doch im Moment spielt Tischtennis nur eine Nebenrolle für sie. Ihr Vater kommt ursprünglich aus Russland, ihre Mutter aus der Ukraine. Dort lebt auch ein Großteil ihrer Verwandtschaft. Wir haben mit „Nastja“ gesprochen, wie sie den Konflikt in ihrem Heimatland erlebt – innerhalb Tischtennisszene, aber vor allem auch abseits des Tisches.
Anastasia, wie erlebt ihr als Familie gerade diesen schlimmen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine?
Die Situation ist eine sehr verwirrende im Moment. Mein Vater kommt aus Russland und meine Mutter aus der Ukraine. Das ist glaube ich nicht normal und manch einer fragt schon, ob sie sich jetzt scheiden lassen. Das ist natürlich nicht der Fall! Bei uns ist ziemlich viel los, weil wir hier in der Stadt einige Flüchtlinge unterstützen und betreuen und auch bei uns unterbringen.
Kannst du das alles überhaupt verarbeiten?
Mir geht es soweit gut. Aber es tut schon etwas weh, meine Familie zu sehen, wie sie so etwas durchmachen müssen, vor allem in der Ukraine. Meine ganze Verwandtschaft lebt dort, in Russland wohnt nur meine Oma väterlicherseits in Deutschland sogar nur wir. Ich war oft in der Ukraine und fühle mich sehr verbunden mit diesem Land. Und dann zu sehen, was diesem Land und meiner Familie angetan wird, ist eine schwierige Situation. Ich mache mir schon Sorgen und Gedanken und wir telefonieren im Sekundentakt unsere Freunde und Verwandten dort ab. Wir versuchen einfach das Beste daraus zu machen und zu helfen, wo wir können. Da bin ich auch sehr froh, dass meine Eltern direkt alles stehen und liegen lassen haben, damit sie den Menschen hier helfen können. Das ist schön zu sehen und daran versuche ich anzuknüpfen.
Wie wirkt sich der Krieg auf dein Tischtennisumfeld aus?
Ich hatte viel Kontakt zu ukrainischen Spielern vom VFR Fehlheim - da spielt auch mein Vater – ich habe mit ihnen trainiert und sie waren auch öfters bei uns. Es war schon eine schwierige Situation, als sie dann nicht mehr da waren und man im Hinterkopf hat, dass sie im Krieg kämpfen müssen. Ich finde das sehr beängstigend und hoffe, dass es ihnen gut geht und sie irgendwann wieder hierherkommen und Tischtennis bei uns spielen.
Es wird viel gesprochen über die Bedeutung des Sports in dieser Krise…
Ich finde, die Macht des Sports ist sehr groß und kann viel bewirken. Das sieht man ja an den Schweigeminuten und den vielen solidarischen Aktionen im Sport. Dennoch rückt der Sport in den Hintergrund – 9:9 im fünften Satz spielt einfach keine Rolle mehr, wenn es in der Ukraine um Leben und Tod geht. Es sind auch schon ein paar Leistungssportler gestorben und das hat mir unfassbar weh getan, als ich das gesehen habe. Man kann sich das hier in dem friedlichen Deutschland gar nicht vorstellen.
Im Tischtennis dürfen russische Athleten nicht mehr an internationalen Wettbewerben teilnehmen. Ist das der richtige Weg aus deiner Sicht?
Natürlich sagen die russischen Spieler, dass es unfair ist aufgrund der Politik bestraft zu werden. Ich sehe das etwas anders. Das sind Schritte die getan werden müssen, um auf die Situation aufmerksam zu machen. Wir haben bei meinem Vater auch überlegt, ob er sich an die Platte stellen soll oder nicht. Er ist zwar in klarer Opposition zu Putin, aber dennoch sind das Gespräche, die wir in unserer Familie führen müssen. Der Sport muss was tun, damit das Thema präsent bleibt. Es ist auch wichtig, dass sich der Sport und seine Verbände hier klar positionieren.
Hast du überhaupt noch einen Kopf für Tischtennis aktuell?
Nein, für mich tritt Tischtennis aktuell schon in Hintergrund. Es hat nicht die Priorität, wie die Jahre zuvor und ich merke einfach aktuell, was wirklich wichtig im Leben ist. Und das ist nicht Gewinnen und Verlieren beim Tischtennis - das ist aktuell das Helfen für mich. Und das mache ich auch gerne.
Wie kann die Tischtennisfamilie am besten helfen?
Die beste Hilfe ist, nicht darüber hinwegzusehen und wenn man die Möglichkeit hat, jemanden aufzunehmen – dann tut es! Ich finde es schön zu helfen und die meisten Flüchtlinge brauchen einfach nur eine Bleibe. Ich muss aber auch sagen, dass ich das Engagement in Deutschland an allen Ecken und Enden sehr schätze. Vielleicht ist nicht alles perfekt, aber das kam auch alles sehr plötzlich. Dafür bin ich sehr dankbar. Auf TT-Ebene wäre es schön, wenn den ukrainischen Profis in Europa die Möglichkeit gegeben wird, auch weiter zu trainieren und ihren Beruf auszuüben. Und sich von den Ereignissen daheim auch etwas abzulenken. Ich habe Kontakt mit einigen Spielerinnen und da gibt es sicherlich noch Nachholbedarf.
Was wünscht du dir denn in der aktuellen Situation am meisten?
Ich wünsche mir, dass sich die Ukrainer hier wohl fühlen. Wenn ich in der Ukraine war, haben sie mir immer ein Gefühl der Heimat gegeben und das möchte ich ihnen auch hier geben. Wenn man einen Flüchtling trifft, würde ich mir ein Lächeln wünschen und dass man sagt: ‚Es ist ok, wir freuen uns, dass du da bist.‘ Ansonsten wünsche ich mir natürlich, dass alle bestmöglich davonkommen, dass meine Familie kein Leid mehr ertragen muss und dass sich die Lage bald wieder normalisiert.
Vielen Dank und alles Gute!