Warschau. "Ich bin Europameisterin, ich kann es noch gar nicht glauben!" Vor Glück hätte Petrissa Solja die ganze Welt umarmen können. Doch die war erstmal gar nicht da. Nachdem ihre Nationalteamkollegin und Doppelpartnerin Shan Xiaona sie nach ihrem Sieg im Einzel bei den Europameisterschaften von Warschau kurz in den Arm genommen hatte, war dort niemand an der Box, um ihr direkt zum Sieg zu gratulieren. Weil es sich um ein deutsches Finale handelte, bei dem das Bundestrainer-Team traditionell nicht coacht, war der Platz auf der Bank leer. Und unter Pandemie-Bedingungen darf ohnehin niemand von außen auf den Court stürmen. So war es Dimitrij Ovtcharov, der sich für das Herren-Finale gegen Timo Boll bereit machte, der erste, der Peti Solja nach ihrem 4:1-Sieg und zu ihrem ersten EM-Titel im Einzel beglückwünschte. Was genau die beiden miteinander sprachen, ist nicht überliefert.
So lange war sie dieser Medaille schon hinterhergelaufen, von extern betrachtet zumindest. Obwohl erst 27 Jahre alt ist Petrissa Solja schon seit vielen Jahren die heiße Kandidatin auf das Einzel-Gold bei Europameisterschaften. Im März 2017 war sie als Nummer 13 der Weltrangliste, ihre bislang höchste Einstufung im Ranking, mal wieder beste Europäerin, gewann 2015 Bronze beim traditionsreichen World Cup. 2019 holte sie erstmals den Titel beim europäischen Ranglistenturnier Europe Top 16 und konnte ihren Erfolg im Jahr darauf wiederholen. „Meinen Traum, einen europäischen Einzeltitel zu gewinnen, konnte ich ja schon 2019 und 2020 verwirklichen“, hatte sie vor der EM klargestellt. „Für mich fühlen sich die beiden Siege beim Europe Top 16 wie Erfolge bei Europameisterschaften an.“ Jetzt weiß die gebürtige Pfälzerin in Diensten des hessischen Erstligisten TSV Langstadt, dass es da doch einen Unterschied gibt: „Der EM-Sieg ist doch etwas anderes als das Europe Top 16, auch wenn man da genauso gegen die Besten Europas spielt.“
Auch wenn Petrissa Solja in diesem Finale Satz drei gegen Shan Xiaona verlor: Es war ein eher einseitiges Match der beiden, die sich aus dem Nationalteam und als Doppelpartnerinnen so gut kennen, das Solja mit 11:7, 11:3, 11:9, 4:11 und 11:2 für sich entschied. "Ich habe erst ein- oder zweimal gegen 'Nana' gewonnen. Ich wusste, dass ich etwas ändern muss, und das ist mir sehr gut gelungen. Ich war gleich von Anfang des Spiels fokussiert und habe mich gut bewegt. Ich konnte aggressiv spielen und war klar im Kopf und wusste, welche Taktik ich spielen will", analysierte Solja. Ein Knackpunkt sei auch gewesen, so die Pfälzerin, dass sie am Ende wahrscheinlich noch einen Tick frischer war. Shan Xiaona stand nach 2013 zum zweiten Mal im Einzel-Finale, musste sich nach einem erfolgreichen Turnier nicht grämen: "Peti hat heute sehr gut gespielt, und ich konnte meine Konzentration nach den langen Tagen hier in Warschau im Finale nicht hochhalten. Insgesamt bin ich mit meiner Leistung bei der EM sehr zufrieden, aber natürlich wäre ich auch gerne Europameisterin geworden."
Immerhin konnten beide kurz zuvor im Doppel gemeinsam einen EM-Titel feiern. Petrissa Solja nimmt eine große Portion Selbstvertrauen mit und wird Warschau in bester Erinnerung behalten: "Mit den zwei Goldmedaillen würde ich mich schon trauen zu sagen, dass diese EM für mich perfekt war."
Damen-Einzel, Finale
Petrissa Solja - Shan Xiaona 4:1 (7,3,9,-4,2)
Halbfinale
Shan Xiaona - Margaryta Pesotska UKR 4:0 (6,9,7,4)
Petrissa Solja - Elizabeta Samara ROU 4:2 (4,11,-9,-7,8,6)
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