Tokio. Deutschlands Herren-Mannschaft steht zum zweiten Mal im Mannschafts-Finale der Olympischen Spiele! Mit einem 3:2-Erfolg über Gastgeber Japan erreichte die DTTB-Auswahl einen Tag nach dem knappen Sieg über Taiwan in einem weiteren Olympia-Krimi das Endspiel und spielt am Freitag (12.30 Uhr MESZ) um Gold. Gegner von Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll und Patrick Franziska im Finale ist wie 2008 in Peking das bisher bei Olympischen Spielen im Team-Wettbewerb ungeschlagene China.
Die DTTB-Auswahl hatte sich genau auf diesen Moment fokussiert und rief im entscheidenden Moment ihr bestes Tischtennis ab. Der Europameister und WM-Zweite ließ sich auf dem steinigen Weg in das Endspiel auch von der schwerstmöglichen Auslosung nicht beeindrucken und besiegte nach dem an Position neun gesetzten Ex-Europameister Portugal (3:0) und dem an Nummer fünf gesetzten Taiwan (3:2) auch Japan dank einer erneut brillanten und nervenstarken Mannschaftsleistung mit 3:2 und beendete damit die Olympia-Träume der Gastgeber. Bundestrainer Jörg Roßkopf lobte die Mannschaftsleistung: "Wir sind hier trotz unserer sehr schweren Auslosung in das Finale eingezogen, genau darauf haben wir hingearbeitet. Wir waren heiß auf das Finale gegen China und glauben definitiv auch unseren Sieg. Natürlich wissen wir auch, wie schwer das wird, denn die Chinesen präsentieren sich hier in absoluter Topform. Aber wenn man im Finale steht, hat man auch die Chance auf den Sieg, und die wollen wir nutzen. Wir haben jetzt einen Tag Zeit, werden ein bisschen ausruhen und dann versuchen wir, die Chinesen anzugreifen.“ Timo Boll freut sich bereits auf das Duell mit der Tischtennis-Macht Nummer eins: "Auch wenn China Favorit ist, verspüren wir natürlich auch wir Druck. So oft hat man nicht die Chance, in einem olympischen Finale anzutreten, bei mir könnte es ja das letzte Mal sein. Aber ich glaube, es ist eine gute Balance zwischen Druck und Siegeswillen."
Dimitrij Ovtcharov macht Finaleinzug in erneutem Duell mit Niwa perfekt
11:9, 11:7, 11:8 - nachdem Dimitrij Ovtcharovs seinen dritten Matchball verwandelt hatte, riss die deutsche Bank die Arme hoch. Denn nach dem 3:0 in der Neuauflage des Olympia-Einzel-Achtelfinals gegen Koki Niwa hat Deutschland, das bei den Damen morgen gegen Hongkong noch Bronze gewinnen kann (Donnerstag ab 4 Uhr MESZ), mit mindestens Silber seine zweite Medaillengewinn in Tokio bereits sicher. Mentalmonster Dimitrij Ovtcharov ließ sich nach umkämpftem ersten Durchgang im entscheidenden fünften Einzel die Chance nicht nehmen und erdrückte den stark aufspielenden Niwa mit seiner Dominanz und Präsenz am Tisch. Der Jubel über den Finaleinzug, er fiel nur aus einem Grund nicht größer aus: Dimitrij Ovtcharovs letzter Punkt gegen Koki Niwa war ein hauchdünner Kantenball; der Japaner gab den Punktgewinn für den Deutschen sofort zu. Nach dem Match gestand ein sichtlich müder Ovtcharov gegenüber den Medienvertretern in der Mixed-Zone: "Ich bin total ausgelaugt und mental leer. Es sind sehr anstrengende Olympia-Tage für mich, aber im Team kämpft hier jeden für jeden und holt alles aus sich heraus. Das ist der Schlüssel für unseren Erfolg. Es ist sehr gut, dass wir morgen einen Tag frei haben, um die Batterien wieder aufzuladen und um uns auf das Finale zu fokussieren. Wir haben in der Vergangenheit schon ein paar Mal bewiesen, dass wir auch die besten Chinesen schlagen können. Mein Match gegen Ma Long hat das ja auch gezeigt. Wenn wir im Finale alle unsere beste Form abrufen, ist alles möglich. Wir werden sicherlich alle drei an unser Limit gehen um zu beweisen, dass es unser Tag ist."
Patrick Franziska fehlen gegen Harimoto nur zwei Punkte zum Sieg
Zuvor hatte Patrick Franziska bei einer 2:1-Führung für das Team von Jörg Roßkopf bereits den Sieg auf dem Schläger. Der Saarbrücker zeigte in einer dramatischen Partie gegen den Weltranglistenvierten Tomokazu Harimoto seine beste Leistung seit langer Zeit, machte aber nach einer 9:7-Führung im Entscheidungssatz keinen Punkt mehr. Der EM-Dritte von 2018 hatte mit 11:5 und 11:9, die beiden ersten Sätze gewonnen und war im fünften Durchgang mit 2:6 in Rückstand geraten, den er dann mit einer ganzen Serie an Weltklasseschläge in eine 9:7-Führung umwandelte. Patrick Franziska schildert seine Gefühlslage nach der Niederlage: "Ich war erst einmal wie versteinert. Glücklicherweise wusste ich, dass nach mir noch Dima an der Reihe ist. Etwas Besseres kann einem bei 2:2 nicht passieren. Die Enttäschung direkt nach meiner Niederlage war zwar groß, als ich kurz in die Kabine ging. Als ich zurückkam, lag Dima schon in Führung. Da ging es mir gleich viel besser. Im Endeffekt ist ein Mannschaftsspiel, da ist es egal, wie wir die drei Punkte machen."
Harimoto gewinnt Duell gegen Bronzemedaillengewinner Ovtcharov
Harimoto hatte sich zuvor bereits bei seinem 3:1 im Duell der Spitzenspieler gegen Dimitrij Ovtcharov in bestechender Form präsentiert, nachdem zunächst der Deutsche eineinhalb Sätze lang das Match diktiert hatte, dann den zweiten Durchgang aber knapp in der Verlängerung mit 11:13 verlor. Das Einser-Duell zwischen dem Bronzemedaillengewinner und Tomokazu Harimoto war der erwartete Hochgeschwindigkeits-Schlagabtausch auf Weltklasseniveau, in dem Ovtcharov in den Sätzen drei und vier immer einem Rückstand nachjagte. Jörg Roßkopf: "Dima hat unglaublich stark angefangen und 1:0 und 6:1 geführt, aber dann ging der Satz weg und dann kipppt so ein Spiel auch einmal."
Boll bringt Deutschland gegen Mizutani in Führung
Anschließend markierte Timo Boll in einer hochklassigen Partie gegen Jun Mizutani die deutsche 2:1-Führung. Nach verlorenem ersten Durchgang fand der ehemalige Weltranglistenerste im 19. Duell mit dem Japaner immer besser ins Match und verwandelte im vierten Satz bei 10:7 seinen ersten Matchball zum 17. Sieg. Ein Schlüsselmoment in dem wie immer sehenswerten Linkshänder-Duell zweier Supertechniker war der zweite Satz, als Boll mit 13:11 die 2:0-Führung des Japaners verhinderte. Die Durchgänge drei und vier kontrollierte der Rekordeuropameister dann mit jeweils 11:7. Timo Boll schmunzelte nach dem deutschen Match: "Das Zuschauen in den beiden letzten Spielen war fast anstrengender als das Spielen. Das Aufspringen, Anfeuern und Jubeln war ein richtiges Workout, ich habe gar keine Stimme mehr. Es war anstrengend, aber es auch ein tolles Gefühl, meine Teamkollegen auf einem so hohen Level spielen zu sehen. Ich hatte viel Vertrauen in Patrick und Dima, dass einer der beiden schon noch unseren dritten Punkt machen wird."
Boll/Franziska mit starken Nerven gegen Linkshänder-Duo
Den Grundstein zum Sieg hatte gleich zu Beginn der Halbfinalpartie die Weltklasse-Vorstellung von Timo Boll und Patrick Franziska gelegt. Deutschlands Parade-Doppel musste allerdings gegen Jun Mizutani/Koki Niwa durch ein Wellental der Gefühle. Japans Trainer Yosuke Kurashima hatte nach einem Wechsel im Viertelfinale gegen Schweden für die Deutschland-Partie wieder auf die im Tischtennis ungewöhnliche Kombination zweier Linkshänder vertraut. Timo Boll sagte anschließend: "Wir haben es als offen angesehen, mit welcher Kombination sie gegen uns spielen. Wir haben uns vor dem Match deshalb nur auf uns und unsere eigenen Stärken fokussiert."
Mit 11:2 und 11:3 beherrschten Boll/Franziska mit nahezu fehlerlosem und taktisch klugem Spiel ihre Gegner, die erst ab dem dritten Satz die Deutschen immer mehr in lange Ballwechsel aus der Halbdistanz zwangen und begannen, ihre Stärken auszuspielen. Nach der verpassten Chance der China-Open-Gewinner, bei einer 8:6- und 9:7-Führung den dritten Satz bereits zuzumachen, sicherten sich Mizutani/Niwa auch den vierten Durchgang nach ausgeglichenem Verlauf mit 11:8. Timo Boll: "In den beiden ersten Sätzen hatten wir eine super Taktik, die auch voll aufgegangen ist. Aber Jun und Koki sind intelligente Spieler und hatten sich natürlich ab dem dritten Satz darauf eingestellt. Es war dann für uns gar nicht so einfach, wieder kreativ zu sein und uns noch einmal etwas einfallen zu lassen, aber es ist uns gelungen."
Den Entscheidungssatz diktierten dann jedoch wieder Boll/Franziska, die nun entschlossener und schneller den Punktgewinn suchten. Die Japaner egalisierten zwar noch einmal die deutsche 5:1-Führung, den Rhyhtmus der Deutschen konnten sie jedoch nicht mehr unterbrechen, die gleich ihren ersten Matchball mit einer krachenden Vorhand von Patrick Franziska zum 11:7 und zur deutschen Führung nutzten. Patrick Franziska sagte: "Das Doppel ist so wichtig für die Mannschaft, um in Führung zu gehen. Das wussten wir und die Japaner, deshalb war ganz schön viel Druck auf dem fünften Satz, in dem es wichtig war, am Anfang in Führung zu gehen.
Ovtcharov erster Tischtennisspieler mit sechs Medaillengewinnen
Übrigens: Für Ovtcharov bedeutet der Einzug in das Finale eine neue Bestmarke. Egal ob Gold oder Silber, es ist bereits die sechste olympische Medaille seiner Karriere, die ihn damit an die Spitze der häufigsten Medaillengewinner katapultiert. Das ist eine mehr als die Chinesen Ma Long und Wang Hao, die auf fünfmal Edelmetall kommen.
Herren-Mannschaft, Halbfinale
Deutschland – Japan 3:2
Timo Boll/Patrick Franziska – Jun Mizutani/Koki Niwa 3:2 (2,3,-9,8,7)
Dimitrij Ovtcharov – Tomokazu Harimoto 1:3 (7,-11,-5,-9)
Timo Boll – Jun Mizutani 3:1 (-7,11,7,7)
Patrick Franziska – Tomokazu Harimoto 2:3 (5,9,-5,-9,-9)
Dimitrij Ovtcharov – Koki Niwa 3:0 (9,7,8)
China - Südkorea 3:0
Spiel um Gold am 6. August (12.30 Uhr MESZ)
Deutschland - China
Spiel um Bronze am 6. August
Japan - Hongkong
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Herren-Team: Dimitrij Ovtcharov (Fakel Gazprom Orenburg, Russland), Timo Boll (Borussia Düsseldorf), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT), Ergänzungsspieler: Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt)
Damen-Team: Petrissa Solja (TSV Langstadt), Han Ying (KTS Enea Siarka Tarnobrzeg, Polen), Shan Xiaona (ttc berlin eastside), Ergänzungsspielerin: Nina Mittelham (ttc berlin eastside)
Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll
Damen-Einzel: Petrissa Solja, Han Ying
Gemischtes Doppel: Patrick Franziska/Petrissa Solja
Teilmannschaftsleiter: Richard Prause (Sportdirektor)
Trainer-Team: Jörg Roßkopf (Bundestrainer Herren), Jie Schöpp (Bundestrainerin Damen), Lars Hielscher (Assistenztrainer)
Physiotherapeut: Peter Heckert (OSP Hessen)
Arzt: Dr. Antonius Kass (Düsseldorf)
Schiedsrichterin: Anja Gersdorf (Düsseldorf)
Öffentlichkeitsarbeit: Benedikt Probst (Frankfurt/Main)