Pünktlich zu Heilig Abend haben wir zum fünften Mal unsere Tischtennis-Weihnachtsgeschichte für euch. Heute nimmt uns Andrè König mit auf die Reise vom Ballwart Charlie, der, obwohl er schon erwachsen ist, immernoch an das Christkind glaubt.
Charlie und die Ballfabrik
Von André König
Charlie glaubte an das Christkind. Charlie war erwachsen und glaubte allen Ernstes an das Christkind.
Oft hatten ihm die Leute gesagt: „Ach Charlie, das Christkind gibt es doch gar nicht!“ Aber dann hatte Charlie vehement widersprochen. Eines Tages jedoch, es muss an einem sehr kalten Dezembertag gewesen sein, denn der Ofen in Charlies Wohnung brannte unaufhörlich, bekam Charlies Überzeugung Risse.
Man muss wissen, dass Charlie leidenschaftlich gerne Tischtennis spielte. Er war sogar der Ballwart seines Vereins und so etwas gibt es eigentlich fast nirgendwo. Jedenfalls öffnete er an diesem Dezembertag, wie schon hunderte Male vorher, eine Packung mit Bällen, die er später ins Jugendtraining bringen wollte. Da bemerkte er, dass ein Ball sich von den anderen unterschied. Er war zwar genauso groß und hatte auch die selbe Farbe, aber etwas an diesem Ball schien nicht zu stimmen. Charlie nahm den auffälligen Ball in die Hand und stellte erstaunt fest, dass sich etwas darin befand. Eine Art Zettel. Er schüttelte den Ball und tatsächlich bewegte sich etwas darin. Charlie zögerte nicht lange und schnitt ihn auf. Er staunte nicht schlecht, als er eine kleine Nachricht in den Händen hielt. Ganz offenbar handelte es sich hierbei nicht um eine Flaschen-, sondern um eine Ballpost. Er faltete den kleinen Zettel auf. Nur ein Satz stand da mit Großbuchstaben geschrieben:
DAS CHRISTKIND GIBT ES NICHT!
Charlie musste sich setzen. Er schüttelte seinen Kopf, als wollte er eine lästige Fliege loswerden und las den Satz erneut. Das Christkind gibt es nicht! Was hatte das zu bedeuten? Und wer hatte ihm diese Ballpost geschickt. Am Abend legte sich Charlie mit tausend Fragen ins Bett, die in seinem Kopf herumschwirrten wie ein Bienenschwarm um seine Beute.
Am nächsten Morgen stand er auf, zog sich an, stieg ins Auto und fuhr los. Charlie fuhr den ganzen Tag und die ganze Nacht und als die Sonne wieder aufging hielt er an, denn er hatte sein Ziel erreicht. Er befand sich in einer kleinen Stadt am Rande einer ihm unbekannten Gegend. Und dort, am Ende der Straße in der er angehalten hatte, befand sich eine große Fabrik. Aus den schmalen Türmen dampfte es und große weiße Wolken stiegen in den Himmel. Weil es so kalt war, fielen große Teile des Dampfes wieder als Schneekristalle zu Boden, sodass alles rundherum in ein sanftes weißes Kleid gehüllt war.
„Ich möchte den Inhaber der Ballfabrik gerne sprechen!“, rief Charlie, als er die Eingangstür betrat.
„Warum schreien sie denn so?“, antwortete eine hohe und irgendwie boshafte Stimme direkt hinter ihm. Charlie drehte sich um und schaute in das runde Gesicht eines Mannes, der wie ein Zirkusdirektor aussah. Die Morgensonne, welche sich ihren Weg durch die kleinen Fenster der Fabrik bahn brach, funkelte auf seinem glitzernden Gewandt. „Was wollen sie denn von mir?“, fragte der kleine kräftige Mann. „Sind sie etwa der Chef?“, antwortete Charlie ungläubig. „Ja, der bin ich in der Tat“, erwiderte der Zirkusdirektor, der sich nun als Fabrikdirektor herausstellte. Ein schneller Aufstieg. „Sie sind sicher gekommen, um mit mir über meine Ballpost zu sprechen oder warum hätten sie sonst den weiten Weg auf sich nehmen sollen?“, fuhr er fort.
Charlie blieb die Spucke weg. Noch ehe sich Charlie richtig sammeln konnte, fragte ihn der offenbar belustigte Mann: „Was glauben sie, wieso ich ihnen diese Nachricht geschickt habe?“ Charlie versuchte etwas zu sagen, aber sein Mund blieb geschlossen, als hätte ihn jemand mit Zuckerglasur zugeklebt. „Wissen Sie: Was ich da geschrieben habe ist, nun sagen wir, nicht unbedingt die Wahrheit. Ich habe in Wirklichkeit keine Ahnung, ob es das Christkind gibt oder nicht. Es ist mir im Grunde auch völlig egal. Das Einzige was ich tue, ist deine Ansichten zu hinterfragen. Weißt du Charlie: Mit dem Christkind ist es ein bisschen wie mit allen Dingen die wir tun. So lange du daran glaubst, dass dir etwas gelingt, bleibt auch die Hoffnung am Leben, dass es tatsächlich so sein könnte. Denkst du die deutsche Tischtennis - Nationalmannschaft hätte in Tokio Silber geholt, wenn sie nicht an sich geglaubt hätte? Wohl kaum. Genauso ist es mit dem Christkind. So lange an das Christkind geglaubt wird, kann man auch guter Hoffnung sein, dass es existiert. Was ich mit meiner Ballpost bezwecke ist also, den Glauben der Menschen an sich und an ihre Überzeugungen zu festigen. Oder meinst du nicht, dass dein Besuch bei mir nicht selbiges bewirkt hätte?“ Charlie, dessen Mund nun wieder aus seinem Winterschlaf erwachte, antwortete fast schon andächtig: „Sie meinen, wenn wir nur fest daran glauben, dann können wir die Chinesen irgendwann bezwingen und olympisches Gold holen?“ „In diesem Fall“, antwortete der Direktor ungeniert, „ist es dann doch besser an das Christkind zu glauben.“
Charlie machte sich auf den Heimweg. Er war froh, dass es das Christkind tatsächlich gibt, schließlich glaubte er nach dem Besuch in der Fabrik noch fester daran. Und er war sich sicher, dass irgendwo in Deutschland auch Menschen fest an olympisches Gold in Tischtennis glaubten.