Suzhou. Um Timo Boll mussten die mitgereisten deutschen Fans im Suzhou International Expo Centre am meisten zittern. In der erneut ausverkauften Abend-Session standen auch die chinesischen Gastgeber hörbar auf der Seite des Rekord-Europameisters, der immer wieder lautstark mit „Timo“ oder „Boll, jia you“-Rufen angefeuert wurde.
Die Partie gegen den Portugiesen Joao Monteiro war ein Auf und Ab. Nach glatt gewonnenem ersten Durchgang ging der zweite fast ebenso schnell verloren. Im dritten Satz brachte Boll 8:4- und 10:7-Führungen nicht durch, erkämpfte sich nach 1:2-Satzrückstand ein 3:2, verlor den Sechsten überdeutlich und brillierte dann in den Rallyes der Verlängerung des Entscheidungsdurchgangs zum 12:10.
Boll: "Nicht verdient, aber auch nicht durch zu viel Glück gewonnen"
„Ein verdienter Sieg war es heute nicht, aber auch kein glücklicher. Es war einfach eine enge Partie, und ich habe sie halt gewonnen“, befand der Düsseldorfer. Er fühlte sich körperlich nicht auf Höhe, und diese Gewissheit stahl ihm die Gelassenheit. Ihm fehlte die Beweglichkeit, hatte Probleme mit seinem eigenen Aufschlag, produzierte sogar mehrere Fehlaufschläge in einem Satz, was ihn nur noch mehr verunsicherte. „Das ganze Spiel war schwierig. Punkt für Punkt war eine richtige Quälerei für Timo“, beschrieb Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf die Situation.
„Ich musste mich ganz schön quälen und gegen meinen Körper ankämpfen“, bestätigte Timo Boll, ohne Roßkopfs Worte zuvor gehört zu haben. „Ich hatte Probleme, mich so richtig in Wallung zu bringen. Zwischendurch war ich froh, wenn ich einfach nur den Ball auf den Tisch gebracht habe. Ich hatte Konzentrationslöcher und habe mich aus hohen Führungen unnötig selbst in Stress gebracht, nur weil er mal zwei Punkte hintereinander gemacht hat. Glücklicherweise war ich am Ende ruhig und habe mit dem Selbstvertrauen gespielt, das mir fehlte, als ich geführt habe.“
Weniger Kraft verlieren am „Tag der Arbeit“
Sein Kontrahent am Freitag ist der Hongkong-Chinese Wong Chun Ting. Beide bisherigen Aufeinandertreffen hat Boll für sich entschieden, bei den Japan Open 2010 und der Team-WM in Tokio jeweils ohne Satzverlust gewonnen, doch gerade die Partie vom vergangenen Jahr ist Boll noch gut im Gedächtnis. „Schon da habe ich gemerkt, dass er richtig gut geworden ist. Ich muss von Anfang an giftiger, spritziger sein. Wong ist brandgefährlich.“ Coach Roßkopf hofft, dass das Duell am „Tag der Arbeit“ Timo Boll weniger Kraft kostet als die vorangegangen beiden Runden. „Es waren hier bisher lange Tage für ihn mit schweren Spielen gegen Dyjas und Monteiro.“
Kraft und Mühe gespart hat Bolls Düsseldorfer Teamkollege Patrick Franziska. Der Weltranglisten-56. setzte sich gegen Monteiros Team-Europameister-Kollegen Marcos Freitas in beeindruckender Manier in fünf Sätzen durch. Zuvor hatte er noch nie gegen ihn gewonnen, sondern im Gegenteil zum Teil herbe Niederlagen kassiert. Doch in Suzhou riss er die Spielführung ab dem Beginn an sich, spielte druckvoll, leichtfüßig, taktisch klug, nervenstark und, wie Jörg Roßkopf fand, einfach „sensationell gut“. Im dritten Satz punktete er bei 8:10 aus seiner Sicht vier Mal hintereinander. Nur in Satz vier leistete er sich eine kleine Auszeit und verlor diesen Durchgang mit 5:11.
Franziska im Achtelfinale gegen Steger-Bezwinger Kou Lei
„Es ist schwer zu sagen, ob es mein bestes Spiel überhaupt war, aber es war definitiv eins meiner besten“, freute sich der Team-WM-Zweite von Tokio. „Es hat alles gepasst. Ich habe mich gut bewegt, so gut wie noch nie. Ich hatte keine großen Konzentrationslöcher, außer vielleicht im Vierten, war immer präsent am Tisch.“ Diese Leistung will er am Freitag gegen Bastian-Steger-Bezwinger Kou Lei aus der Ukraine erneut abrufen. Kou, eigentlich nicht gerade als Spezialist gegen Defensivsysteme bekannt, hatte Ungarns Abwehrcrack Adam Pattantyus in vier Sätzen abgefertigt.
Ivancans Schlüssel zum Erfolg: krumm spielen
Ebenfalls im ersten WM-Achtelfinale ihrer Karriere steht Irene Ivancan. Mit einer starken kämpferischen und taktischen Leistung besiegte die 31-jährige Champions-League-Siegerin vom türkischen Topklub Fenerbahce Istanbul die Südkoreanerin Park Youngsook in sieben Sätzen. Ein schön anzusehendes Spiel sei es nicht gewesen, erklärte die EM-Finalistin von 2011. Spielerisch ist nach Irene Ivancans Geschmack Luft nach oben. "Ein richtiges Spiel würde ich das nicht unbedingt nennen. Sie war tierisch aufgeregt, und ich war auch unglaublich aufgeregt", beschrieb die Nummer 41 der Welt die Ausgangslage.
"Vieles lief über das Aufschlag-Rückschlag-Spiel. Wer besser returniert hat, hat den Punkt gemacht. Am Ende habe ich gewonnen, weil ich krummer gespielt habe." Soll heißen: Irene Ivancan beschäftigte die WM-Finalistin von Paris im Mixed mit der großen Bandbreite ihrer Spinvariationen. "Wenn es knapp wird und man sowieso nervös ist, ist es schwieriger, sich darauf einzustellen als bei 0:0", erklärte sie den Schlüssel zum Erfolg.
Am Freitag gegen Chinas Turnierfavoritin Ding Ning
Das Ergebnis dieser auch mentalen Energieleistung wollte sie damit nicht relativiert wissen: "Ich bin total glücklich, dass ich gewonnen habe, aber das ging heute eben nur übers Kämpfen, nicht übers Schönspielen."
Bei ihrer dritten Einzel-WM-Teilnahme ist dies bereits jetzt ihr größter Erfolg. Am Freitag wartet sie allerdings eine noch größere Aufgabe: Dann trifft Irene Ivancan auf die an Position eins gesetzte Chinesin Ding Ning. "Schade, dass es Ding Ning ist. Aber natürlich will ich gewinnen, auch wenn die Chancen sehr gering sind. Ich bin schließlich nicht hierher gekommen, um gegen sie zu verlieren." Einen direkten Vergleich der beiden hat es noch nicht gegeben. "Ich werde mich gegen sie austesten und versuchen zu überraschen", so Ivancan.
Die Ergebnisse am Donnerstag und nächsten Spiele der Deutschen in der Übersicht
Herren-Einzel, 3. Runde (32)
Patrick Franziska - Marcos Freitas POR 4:1 (11,7,10,-5,6)
Timo Boll - Joao Monteiro POR 4:3 (5,-7,-10,12,7,-3,10)
Achtelfinale am Freitag
Franziska - Kou Lei UKR, 7.00 Uhr deutscher Zeit (13.00 Uhr CHN)
Boll - Wong Chun Ting HKG, 10 Uhr (16.00)
Viertelfinale am Samstag
Halbfinale und Finale am Sonntag
3. Runde (32) am Donnerstag
Ivancan - Park Youngsook KOR 4:3 (7,-7,-9,7,9,-8,8)
Achtelfinale am Freitag
Irene Ivancan - Ding Ning CHN, 8 Uhr deutscher Zeit (14.00 Uhr CHN)
Viertelfinale am Freitag um 12.45/13.45 Uhr (18.45/19.45 CHN)
Halbfinale und Finale am Samstag