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Auf Wiedersehen! Ein großes Dankeschön an die Tischtennis-Familie (Foto: MS)
Petrissa Solja verkündet das Ende ihrer Laufbahn

„Für mich war es die perfekte Karriere“

SH / PS 21.12.2022

Frankfurt/Main. Mit 28 Jahren hört Petrissa Solja auf mit Tischtennis. Es ist das Ende einer Bilderbuch-Karriere, jedoch wie sie betont, kein Rücktritt im Affekt. Der Schritt ist wohlüberlegt, die Entscheidung viele Wochen gereift. Nach 51 Länderspielen ist Schluss in der Nationalmannschaft und auch in der Bundesliga.

Zehn Jahre lang war „Peti“ Solja unverzichtbarer Teil des deutschen Nationalteams. 2016 gewann sie mit der Mannschaft Olympia-Silber. 2017 und 2019 gab es WM-Bronze im Mixed. Beim renommierten World Cup wurde sie 2015 in Japan Dritte. Dreimal Gold brachte sie von den European Games mit, gewann zweimal das Europe Top 16 und stand zwei weitere Male im Finale. Unter ihren acht EM-Medaillen sind sechs aus Gold. Den verdienten Einzeltitel holte sie bei den kontinentalen Titelkämpfen 2020/21 in Warschau. Deutsche Einzel-Meisterin war sie schon 2015 geworden und hatte zuvor in der Jugend alles in Deutschland und Europa abgeräumt, was es gab.

Phantastisches Ballgefühl, sehr gute Spielübersicht, großes Kämpferherz

Sie gehörte zu den wenigen Europäerinnen, die sogar den führenden Chinesinnen gefährlich werden konnten. Die Fans verzückte die Linkshänderin mit ihrem phantastischen Ballgefühl, der sehr guten Spielübersicht und blitzsauberer Technik, gepaart mit einem großen Kämpferherz und echten Steher-Qualitäten. 2015 etwa rannte „die Rückhand-Chefin“ bei den German Open wortwörtlich von Tisch zu Tisch, stand in drei Konkurrenzen im Endspiel – U21-Einzel, Damen-Doppel und -Einzel. Am Ende holte sie in drei Wettbewerben zwei Titel. Insgesamt 15 Spiele hat sie bei diesem World-Tour-Turnier in der Bremer Arena absolviert und 14 gewonnen.  

Das WTT-Champions-Turnier im Juli in Ungarn sollte ihr letzter internationaler Auftritt werden. Ihren Start bei der Heim-EM in München im August musste sie absagen, weil eine alte Verletzung an der Bandscheibe wieder aufgebrochen war. In der Zwangspause habe sie viel Zeit zum Nachdenken gehabt, erzählt sie. Und stellte nach 25 Jahren mit dem schnellsten Rückschlagspiel der Welt zum ersten Mal fest, dass „mir das Tischtennis gar nicht mehr gefehlt hat. Ich bin jetzt bereit für etwas Neues“. Auf tischtennis.de erklärt die Pfälzerin ausführlich ihre Beweggründe:

 

Petrissa Solja:

„Ich beende meine Karriere. Ich bin sehr erleichtert und freue mich auf meinen nächsten Lebensabschnitt.

Es war ein langer Prozess, bis ich diesen Entschluss gefasst hatte. Es war definitiv keine Entscheidung im Affekt. Tischtennis war mein Leben, solange ich denken kann. Auf dem ältesten Tischtennisfoto bin ich anderthalb Jahre alt. Mit drei habe ich auf Zehenspitzen gestanden, um über den Tisch schauen zu können. Mit fünf war ich dann endlich groß genug. Mit zwölf Jahren bin ich zum ersten Mal Deutsche Schüler-Meisterin im Einzel geworden und das ohne Satzverlust. Mit 14 habe ich angefangen, in der 1. Bundesliga zu spielen. Es ging immer weiter nach oben.

Ich habe all meine Aufgaben immer gewissenhaft erledigt und war mit vollem Herzen dabei. Aber jetzt habe ich lange in mich hineingehört und festgestellt: Ich brauche einen radikalen Schnitt. Ich spiele nicht mehr in der Nationalmannschaft und nicht mehr in der Bundesliga. Ich war schon immer konsequent. Entweder mache ich eine Sache zu 100 Prozent oder gar nicht.

Ich habe sportlich alles erreicht, was ich erreichen kann, zum Teil auch Unmögliches geschafft. Ich habe Medaillen bei den Olympischen Spielen, European Games, Weltmeisterschaften, beim World Cup, beim Europe Top 16, den Deutschen-Meister-Titel bei den Damen gewonnen und wurde zuletzt auch Einzel-Europameisterin. Auch auf Vereinsebene bin ich mehrfache Deutsche Meisterin und dreifache Champions-League-Siegerin. Meine Sammlung ist komplett. Was jetzt noch kommen könnte, wären Wiederholungen.

Erfolge für die Ewigkeit

Meine Karriere ging seit meiner Kindheit Schritt für Schritt voran und zwar in kleinen Schritten. Natürlich hatte ich große Träume, habe aber versucht, die Umsetzung realistisch anzugehen. Ich habe verstanden, dass ich großes Potenzial habe und für große Erfolge sorgen kann. Aber alles beginnt mit dem ersten kleinen Schritt.

Was war der Moment, den ich nie vergessen werde? Es gab so viele schöne Momente. Es werden viele ungewöhnlich finden, aber: In meinen Kopf kommt bei dieser Frage sofort der Tag, als ich Deutsche Einzel-Meisterin bei den Damen wurde.

Als kleines Mädchen habe ich nicht daran gedacht, Olympiasiegerin oder Weltmeisterin zu werden. Als junge Spielerin waren die Deutschen Meisterschaften viel greifbarer für mich.

Es ist schwierig, diesen Titel zu gewinnen. Da muss an einem Wochenende alles stimmen. Es war ein toller Moment, dort zu gewinnen. Auf den richtig großen und echt schweren Pokal als Deutsche Schüler-Meisterin war ich übrigens ebenfalls richtig stolz. Er hat in meiner Trophäensammlung bis heute einen Ehrenplatz.

Auch als Team, im Doppel und Mixed, hatte ich viele schöne Erlebnisse. Ich habe immer gerne Mannschafts-Weltmeisterschaften gespielt. Das war mein Lieblingsturnier, weil es super viel Spaß gemacht hat. Ich habe gerne mit meinem Team zusammen gekämpft. Wir haben immer auf eine Medaille gehofft, waren aber nie der Favorit. Bei der Team-WM habe ich richtig gute Leistungen bringen können und erinnere mich zum Beispiel gerne an die WM in Kuala Lumpur 2016 zurück. Dort haben wir sensationell Japan und Südkorea geschlagen.

Die Europameisterschaften 2013 in Schwechat sind mir im Kopf. Ich habe schon richtig gut spielen können, war aber noch jung und musste viel lernen. Trotzdem haben Sabine Winter und ich es geschafft, zusätzlich zum Mannschaftsgold noch den Titel im Doppel zu holen. Schon im Jahr zuvor 2012 bei den German Open im Bremen hatten wir den Doppel-Titel gewonnen; da hat die Halle gebebt. Ich habe so gerne vor deutschen Zuschauern gespielt. Vor heimischem Publikum habe ich definitiv meine besten Leistungen zeigen können. Da habe ich immer um mein Leben gekämpft und wie in Bremen 2015 sogar ab und zu ein paar Chinesinnen geschlagen. Ich hoffe für die aktuellen Spieler, dass sie solche Momente erleben können wie ich früher bei den German Open. Das war magisch. German Open waren immer toll!

Der Gewinn der Bronzemedaille im Mixed mit Patrick Franziska bei der WM 2019 war etwas ganz Besonderes. Ein weiterer schöner Moment war der Gewinn der Goldmedaille bei den European Games. Dadurch konnten wir uns einen der wenigen Startplätze bei den Olympischen Spielen im Mixed-Wettbewerb sichern.

Der Einzel-Europameister-Titel in Warschau von 2020 war ein Erfolg, der mir noch in meiner Sammlung gefehlt hatte. Im Doppel und mit der Mannschaft hatte ich schon ein paar Goldene gewonnen. Bei meinem Verein in Langstadt haben sie ein Riesenplakat drucken lassen. Wenn ich das sehe, macht mich das immer noch stolz und glücklich.

„Silber in Rio – 17 Jahre Vorarbeit“

Natürlich denke ich bei meinen größten Erfolgen an die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro zurück, als wir mit der Mannschaft Silber gewonnen haben. Die Erleichterung, als der letzte Ball gegen Japan im Halbfinale gespielt war, werde ich nie vergessen.

2016 nach der olympischen Silbermedaille in Rio habe ich in einem Interview gesagt: „Heute stehe ich hier mit der Silbermedaille. Davor lagen 17 Jahre Vorarbeit.

Der Leistungssport ist sehr intensiv. Man verzichtet auf vieles, schon in der Schulzeit. Die Erste, die ich an meinem 18. Geburtstag gesehen habe, war früh morgens die Dopingkontrolleurin. Für mich war es trotzdem genau richtig so. Ich habe zwar nicht dieselben Erfahrungen in jungen Jahren wie Gleichaltrige gesammelt, aber ich habe dafür vieles andere bekommen.

„Ich habe die für mich perfekte Karriere gehabt“

Ich war immer eine leidenschaftliche Tischtennisspielerin, doch ich habe zuletzt immer mehr gemerkt, dass Tischtennis bei mir nicht mehr Priorität A hat, nicht mehr das Allerwichtigste ist. Tischtennis stand für mich sonst immer an erster Stelle. Dem Sport habe ich alles untergeordnet. Ich hatte meine Ziele und wollte immer viel erreichen. Irgendwann habe ich kennengerlernt, dass es im Leben weitere schöne Dinge gibt.

Mit dem Abstand einiger Monate weiß ich: Ich habe die für mich perfekte Karriere gehabt. Es ist Zeit für eine Veränderung!

Viele Menschen gehen beruflich irgendwann einmal einen neuen Schritt. Ich kenne nur Tischtennis und bin damit aufgewachsen. Tischtennis wird immer ein Teil von mir bleiben. Der Leistungssport war für mich ganz klar der richtige Weg.

2018 habe ich ein Fernstudium in Wirtschaftspsychologie begonnen. Psychologie interessiert mich sehr. Der Fokus lag natürlich immer auf meiner sportlichen Tischtennis-Karriere, dennoch habe ich bereits ein Drittel meines Studiums absolviert. Es macht Spaß, neue Dinge kennenzulernen, auch wenn es nicht so toll ist, für eine Hausarbeit 30 Seiten schreiben zu müssen. Ich werde weiter meine Credit Points sammeln und dann meinen Abschluss machen.

Ich freue mich besonders auf die Zeit, wo ich bei den Geburtstagen meiner Freunde anwesend sein kann und nicht stattdessen im Flugzeug sitze oder irgendwo auf der Welt Bälle ausdrehe. Auf diese kleinen Dinge freue ich mich mit am Meisten.

„Wertschätzung für meine Entscheidung“

Ich hatte großen Respekt davor, die Entscheidung meinem Umfeld mitzuteilen. Es war schön für mich zu sehen und zu spüren, dass ich bisher von allen Seiten durchweg positive Reaktionen erhalten habe. Alle waren sehr überrascht, aber sehr wertschätzend.

Andere Rückmeldungen hätten zwar nichts an meiner Entscheidung geändert, aber ich bin ein sehr harmoniebedürftiger Mensch. Daher war es wichtig für mich, dass ich meine Karriere gegenüber den Leuten, die ich sehr schätze, im Guten beende. Wenn wir uns irgendwo noch mal treffen, ob Verband, Verein, Bundeswehr oder Sponsor, will ich, dass wir uns aufeinander freuen. Das ist mir persönlich ganz wichtig.

Ich werde mit Sicherheit mit der einen oder dem anderen Kontakt halten. Bestimmt werde ich mal wieder mit meinem Wohnmobil und meinem Hund Balu nach Düsseldorf fahren und wie immer vor der Halle parken. Meine Tischtennis-Familie war schließlich auch ein Grund, weshalb mir der Abschied nicht so leichtfiel. Ich habe während meiner Pause die Leute mehr vermisst als den Sport. Wir hatten schöne Momente zusammen und sind gemeinsam gewachsen. Ich bin froh, dass ich über den Sport so viele tolle Menschen kennengelernt habe.

„Ich freue mich auf das Leben nach dem Leistungssport“

Ich mache mir nichts vor: Es dauert bestimmt noch einige Tage, bis ich so richtig realisiere, welchen Schritt ich gegangen bin. Ich habe durch den Sport auch gelernt, dass ich mit schwierigen Situationen gut umgehen kann. Wir lernen eben nicht nur, den Vorhand- und Rückhand-Topspin zu spielen, sondern auch mit solchen Momenten umzugehen. Ich kann sicher sagen: Für mich war es die perfekte Karriere. Ich bin sehr stolz auf mich.

Ich freue mich auf das Leben nach dem Leistungssport und darauf, neue Erfahrungen zu sammeln. Durch meinen Sport habe ich mir ein sehr gutes Fundament aufbauen können. Ich kann vieles ausprobieren. Natürlich habe ich einen Plan, aber wie es dann kommen wird, wird sich zeigen. Ich freue mich sehr auf meinen neuen Lebensabschnitt.

Ich möchte mich bei allen von ganzem Herzen bedanken, die mich auf meiner Reise begleitet haben.

Eure Petrissa“

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