Baku. Geschichte geschrieben, Gold gewonnen, Olympia-Ticket für Rio gelöst: Dimitrij Ovtcharov hat sich den Traum von Baku erfüllt. Im Duell der Klubkollegen in der russischen Liga bei Fakel Orenburg, dem Duell der Kumpel und der Dauerrivalen auf internationaler Ebene besiegte der Deutsche Vladimir Samsonov im Einzel-Finale der European Games mit 4:3. Er egalisierte einen 0:2-Satzrückstand, sein Kontrahent steckte jedoch nicht auf. Der siebte Satz, in dem beide Spieler körperlich sichtlich angeschlagen waren, war dann eine reine Nervenschlacht, in der bis zum Ende keiner der beiden eine deutliche Führung herausspielen konnte. Beim Stand von 8:8 gelang Ovtcharov das „Break“ bei Aufschlag Samsonov zum 10:8 durch mutige Rückschläge. Durch den Vorteil seines eigenen Aufschlags gut ins Spiel gekommen, sicherte er sich dann den Satz-, Match- und Turniersieg mit 11:8.
Mit dem Baku-Triumph ist die 26-jährige Nummer sechs der Weltrangliste nicht nur der erste Goldmedaillen-Gewinner bei der Premiere der Europaspiele, der setzte gleichzeitig die Bestmarke des Triple-Siegers auf kontinentaler Ebene: amtierender Einzel-Europameister, Sieger beim Europe Top 16 und jetzt Games-Gewinner. „Ich bin stolz, der erste Spieler zu sein, der die Europaspiele und gleichzeitig alle drei kontinentalen Titelkämpfe gewonnen hat“, sagte er. Eine weitere wichtige Begleiterscheinung seines Einzel-Sieges ist der Direkt-Startplatz für die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro, den es nur für den Gold-Gewinner von Baku gab.
Endlich Urlaub
Der Schlüssel zum Erfolg gegen Samsonov waren am Ende vor allem Dimitrij Ovtcharovs Kämpferqualitäten und sein unbändiger Siegeswille. Denn seine Vorbereitung auf Baku war nicht gerade optimal. Im Anschluss an die Einzel-WM in Suzhou war er für russische Liga, Champions League und den Beginn der chinesischen Superliga zwischen Europa und Asien hin- und hergereist, hatte viel gespielt, aber auf den Formaufbau verzichten müssen. Zusätzlich hatten ihn an den ersten Turniertagen im Team-Wettbewerb heftige Schmerzen im unteren Rücken geplagt, die das deutsche Ärzte- und Physiotherapeuten-Team jedoch in den Griff bekam.
Entsprechend froh ist Ovtcharov nun über den wohlverdienten Urlaub. Mit Ehefrau Jenny geht es noch am Samstagvormittag nach der Ankunft am Frankfurter Flughafen aus Baku direkt weiter nach Mallorca. Ursprünglich war eine knappe Ferienwoche geplant, „ich versuche aber, auf zehn Tage zu verlängern“. Im Anschluss stehen einige Trainingstage auf dem Programm, danach wieder China, die Fortsetzung seines Super-League-Engagements für seinen Verein Jiangsu, „wenn die Gesundheit mitmacht“, schränkt Ovtcharov ein, „im Moment gehe ich nämlich auf dem Zahnfleisch“.
Die Stimmen zum Spiel
Dimitrij Ovtcharov
Über den Stellenwert dieses Titels bei den European Teams
„Ich freue mich in erster Linie, dass ich die European Games gewonnen habe, die Premiere dieses Events. Ich bin stolz, der erste Spieler zu sein, der die Europaspiele und gleichzeitig alle drei kontinentalen Titelkämpfe gewonnen hat. Das ist auch der Beweis dafür, dass sich die harte Arbeit von mir und dem Trainerteam in den vergangenen Wochen und Monaten gelohnt hat. Ich freue mich darüber auch sehr nach dem harten Dämpfer bei der WM.“
(Erklärung: Bei der Einzel-WM im chinesischen Suzhou Anfang Mai war er vorzeitig in Runde zwei ausgeschieden.)
Über die Wichtigkeit der gelungenen Olympia-Qualifikation
„Das Olympia-Ticket ist eher ein schöner Bonus. Hätte ich hier nicht gewonnen, hätte ich mir keine Sorgen darüber gemacht, dass ich es nicht bei der Quali und über die Weltrangliste schaffe. Auch bei Timo mache ich mir darum keine Sorgen.
Jetzt hoffe ich, dass das Rio-Ticket auch für die richtige Klasse gilt.“
Über Klubkollege Vladimir Samsonov im Finale
„Mein guter Freund Vladi hätte den Sieg hier heute genauso verdient gehabt wie ich.“
Über seine Motivation nach Platz vier mit der Mannschaft
„Ich habe mir die Goldmedaille unserer Mädels genau angeguckt und war traurig, dass wir sie mit der Mannschaft nicht gewonnen haben. Dann habe ich gesagt, dass ich nun im Einzel noch einmal angreifen will.“
Über den Verlauf des Endspiels
„Ich bin katastrophal mit 0:8 im ersten Satz gestartet und habe 0:2 in Sätzen zurückgelegen. Dann habe ich ausgeglichen und war im fünften Satz eigentlich am Drücker. Nach zehn schwachen Sekunden habe ich den Satz plötzlich noch verloren. Im Sechsten und Siebten war es ein Spiel auf Messers Schneide.“
„Vladi ist ein unglaublich guter Taktiker. Er hat mich immer überrascht, zuerst mit seinen Rückhand-Aufschlägen. Etwas, was bei mir dann zwischendurch mal gut lief, funktionierte nach gar nicht mehr. Er hat immer etwas Neues probiert.“
Über seine Rückenprobleme
„Bis zuletzt hatte ich mit mir gerungen, ob ich wegen meines Rückens überhaupt Einzel spielen könnte. Im Mannschaftswettbewerb konnte ich mich gegen Spanien kaum bewegen. Die letzten Tage hier sind kein Vergleich zu den Schmerzen im Teamwettbewerb. Die Ärzte und Physios haben einen super Job gemacht. Ich war immer mehrere Stunden in Behandlung. In meinen Tagesablauf haben nicht mal mehr Telefonate mit meiner Frau oder meinen Eltern hineingepasst.“
Über die Zukunft der European Games und die Terminschwierigkeiten
„Es ist natürlich schwierig, einen Termin für die European Games zu finden, der allen 20 Sportarten passt, in Zukunft vielleicht sogar noch mehr Sportarten. Jedes Turnier muss erst einmal seinen Gang gehen und in eine gewisse Routine finden. Ich freue mich, dass auch Europa den Weg dieser Spiele eingeschlagen hat, die auf den anderen Kontinenten inzwischen schon eine lange Tradition und teilweise sogar eine höhere Wertigkeit als Weltmeisterschaften haben.“
Jörg Roßkopf
Über die Bilanz des deutschen Aufgebots in Baku
„Ich bin sehr zufrieden mit dem, was unsere Spieler hier gezeigt haben. Auch der Titel der Damen war ein schöner Erfolg für die ganze Mannschaft bei diesem tollen Event. Für die Herren war es in der Mannschaft eine schwere Situation durch den Ausfall Timos. Schon bei der EM hatten wir damit zu kämpfen, dass wir nicht komplett waren. Es wird Zeit, dass wir mal wieder ein Turnier durchspielen können, spätestens bei den Olympischen Spielen in Rio. Patrick Baum hat sich gut zurückgekämpft. Dimitrij hat nach Problemen im Mannschaftswettbewerb ein gutes Einzelturnier gespielt. Timo ist hier in guter Form angereist, aber gegen die Magen-Darm-Probleme konnte er nichts machen. Nicht zuletzt wegen Olympia 2016 wollten wir auch kein Risiko eingehen.“
Über den Vorteil des gelösten Olympia-Tickets
„Es ist gut für Dima, dass er sich die Olympia-Qualifikation in Istanbul nun sparen kann. Die Zeit kann er für hartes Training nutzen. Ein großes Turnier im vollen Wettkampfkalender weniger ist sehr wertvoll für einen Spieler.“
Über Taktiker Samsonov und seine eigene spezielle Rolle als Coach im Finale
„Schon bei den Qatar Open dieses Jahr hat Vladi im Finale gegen Dima sehr, sehr gut gespielt. Vladi ist ein perfekter Taktiker, der in seinem Spielerleben schon alles erlebt und mitgemacht hat. Tischtennis wird oft mit Schach verglichen. So war es heute auch zwischen Dima und Vladi. Wie in Katar hat Vladi sehr gut angefangen, aber dann ist Dima zurückgekommen. Meine Aufgabe ist es neben der taktischen Einstellung, vor allem Ruhe auszustrahlen, wenn Dima hektisch wird.
Schon heute Morgen gegen Drinkhall war es mental ein schweres Spiel. In den ersten beiden Sätzen gegen Vladi war er weit weg von dem, was er für einen Sieg gebraucht hätte.
Auch dass Dima früh bei der WM verloren hat, hat ihn lange beschäftigt.“
Vladimir Samsonov
Über das Finale und seine Taktik gegen Ovtcharov
„Wir waren beide etwas müde. Vielleicht war ich heute ein bisschen müder als Dima. Zwei Aufschlagfehler sind bei mir eigentlich nicht normal.
Ich hatte meine Chancen, auch am Ende des siebten Satzes wieder, habe sie aber nicht genutzt. Gegen Dima ist es nicht einfach für mich. Ich muss meine Konzentration über das komplette Spiel oben halten und ihm keine Chance geben, aggressiv zu spielen. Ich musste die Bälle entweder kurz legen oder weit nach außen spielen, damit er nicht so fest eröffnen kann. Bei jedem seiner Topspins musste ich direkt gegenziehen.“
Zu den Videos aus der Baku Sports Hall
Zu den Ergebnissen im Herren-Einzel auf Baku2015.com (Klick auf die jeweilige Partie)
Herren-Einzel, Spiel um Gold
Dimitrij Ovtcharov - Vladimir Samsonov BLR 4:3 (-10,-7,9,3,-9,7,8)
Spiel um Bronze
Kou Lei UKR - Paul Drinkhall GBR 4:2 (-5,7,7,5,-5,20)
Halbfinale
Dimitrij Ovtcharov - Paul Drinkhall GBR 4:2 (-2,4,-6,6,7,3)
Vladimir Samsonov BLR - Kou Lei UKR 4:1 (-10,10,4,8,4)
Damen-Einzel, Halbfinale
Li Jie NED - Eva Odorova SVK 4:0 (4,5,10,7)
Li Jiao NED - Hu Melek TUR 4:2 (7,-11,9,10,-8,9)
Spiel um Bronze
Odorova - Hu
Spiel um Gold
Li Jiao - Li Jie
Zu Live-Ticker und Ergebnissen im Damen-Einzel auf Baku2015.com (Klick auf die jeweilige Partie)
Das deutsche Aufgebot in Baku
Herren-Mannschaft: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll, Patrick Baum
Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, <strike>Timo Boll</strike>
Damen-Mannschaft: Han Ying, Petrissa Solja, Shan Xiaona
Damen-Einzel: Han Ying, Petrissa Solja
Betreuer: Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf und Assistent Zhu Xiaoyong, Damen-Bundestrainerin Jie Schöpp, Teilmannschaftsleiter Rainer Kruschel, Dr. Rainer Eckhardt (Mannschaftsarzt, Ulm), Annette Zischka (Physiotherapeutin Olympiastützpunkt Hessen in Frankfurt am Main)
Für das ETTU-Präsidium nur bei den Team-Wettbewerben vor Ort: Heike Ahlert (DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport)
Deutsches Schiedsrichter-Team in Baku: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Gerhard Schnabel (Schläger-Tester, Karlsfeld), Gert Selig (Hannover), Klaus Seipold (Meerbusch)