Düsseldorf. Es ist ein ganz neuer Lebensabschnitt, der im Sommer für Shan Xiaona begonnen hat: Am 18. Juli 2018 brachte sie ihre Tochter Mia zur Welt. Für die Team-Silbermedaillengewinnerin von Rio wurde ihr Leben damit vollkommen. Und vollkommen anders. Ganz einfach ist es nicht, ihre neue Rolle als Mutter und den Alltag als Tischtennisprofi unter einen Hut zu bekommen. Die kleine Mia hat „Nanas“ Leben ziemlich auf den Kopf gestellt.
„Früher habe ich alleine gelebt, konnte morgens länger schlafen, shoppen oder ins Kino gehen, wenn ich Lust dazu hatte oder auswärts essen – das geht jetzt alles nicht mehr“, erzählt die 35-Jährige. „Trotzdem bin ich total zufrieden mit meinem jetzigen Leben.“ Drei bis vier Stunden Schlaf bekommt die Spitzenspielerin des ttc berlin eastside im Durchschnitt pro Nacht, manchmal auch gar keinen. Anfang Oktober ist sie wieder ins Training eingestiegen; bereits am 27. Oktober hat sie ihr Comeback in der Bundesliga gegeben, mit zwei Einzelsiegen gegen Busenbach.
Hilfe aus der Familie
Ohne die Unterstützung der Familie wäre so ein schnelles Comeback nicht möglich gewesen. Shan wohnt alleine in Düsseldorf, ihr Mann Zhang Yong kommt nur alle drei Monate aus China. Diese ungewöhnliche Art der Beziehung ist für die deutsche Nationalspielerin normal: „Ich kenne es nicht anders. Das läuft schon so, seit wir uns kennengelernt haben“, sagt sie. „Er kam immer für drei Monate nach Deutschland, dann fuhr ich für drei Monate nach China.“
Um Shan zu helfen, ist schon seit September ihre Tante in Düsseldorf, die im Januar dann von „Nanas“ Mann und ihrer Mutter abgelöst. „Das ist wirklich eine große Hilfe. So kann ich trainieren und zu meinen Spielen fahren.“ Da sie stillt, kann sie niemals allzu lange von ihrer Tochter entfernt sein. „Vor ein paar Wochen haben wir in Frankreich Champions League gespielt, und ich habe meinen Flug verpasst“, berichtet die EM-Finalistin im Einzel von 2013. „Da stand ich in Frankreich am Flughafen und habe geheult. Schließlich bin ich mit dem Zug zurückgefahren und war morgens um 6.30 Uhr zurück.“ Nachdem sie ihre Tochter versorgt hatte, musste sie gleich zum los zum Bundesliga-Spiel nach Anröchte – ohne Schlaf. Dennoch gewann sie immerhin ein Einzel und ihr Doppel an der Seite von Nina Mittelham.
Eine Einheit Training pro Tag
Im Allgemeinen fühlt Shan sich am Tisch schon wieder sehr wohl, „nur körperlich bin ich noch ein bisschen langsam“, sagt sie. „Im Oktober habe ich mit nur einer halben Stunde Tischtennis angefangen und mich dann langsam gesteigert, so dass ich jetzt eine Einheit am Tag durchhalte.“ Ab und zu absolviert sie eine Fitness- oder Ausdauereinheit zusätzlich. „Ich habe nach Rio vor meiner Schwangerschaft auch nur einmal am Tag Tischtennis gespielt, von daher ist es jetzt kein großer Unterschied. Die Fitness muss ich allerdings erst wiederaufbauen“, räumt sie ein.
Sehr viel Zeit für Zusatztraining bleibt im Alltag dennoch nicht übrig. Durch die räumliche Distanz zu ihrer Familie fallen täglich noch ein bis zwei Stunden Skype-Gespräche mit China an. „Meine Eltern wollen die Kleine sehen, und mein Mann natürlich auch. Er vermisst sie sehr.“ Zhang Yong hatte seine Frau gebeten, mit der kleinen Mia für drei Monate nach China zu kommen, aber diese Reisestrapazen wollte Shan ihrer Tochter noch nicht zumuten. Auch Shans Eltern hätten die Enkelin gerne bei sich aufgenommen. „Meine Mutter hatte vorgeschlagen, Mia zu nehmen, damit sie in China aufwachsen kann. Aber wozu bekomme ich denn ein Kind, wenn ich es nie sehe?“, fragt die junge Mutter. „In China sind die Familienstrukturen ganz anders als in Deutschland“, erklärt sie. Dort kümmern sich neben den Eltern auch die Großeltern und die erweiterte Großfamilie um den Nachwuchs.
Ein weiterer Nebeneffekt, den viele Mütter kennen dürften, ist auch bei der zweifachen Deutschen Einzel-Meisterin eingetreten: „Seit Mia da ist, bin ich nicht mehr die Prinzessin meines Vaters, sondern sie“, sagt Shan augenzwinkernd.
Großer Respekt vor Freundin und Mutter-Kollegin Kristin Lang
Vor ihrer Nationalmannschaftskollegin und beste Freundin Kristian Lang, die im Januar Mutter einer Tochter wurde, hat sie vollsten Respekt: „Kristin arbeitet, ihr Mann auch, und sie hat niemanden wie ich meine Tante, der den ganzen Tag zu Hause ist. Ich finde es schon toll, wie sie das alles hinbekommt. Zudem spielt sie, seit Carolin auf der Welt ist, besser als vorher.“ Den Grund dafür vermutet Shan in einer größeren Entspanntheit, die das Muttersein im Hinblick auf andere Dinge des Lebens mit sich bringt.
Diese Entspanntheit ist auch ihr bereits anzumerken: „Tischtennis ist mein Beruf, und ich liebe Tischtennis. Ich werde auf jeden Fall weiterspielen, und mein Ziel ist es schon, mich für Tokio zu qualifizieren. Aber wenn es nicht klappen sollte, ist es auch kein Weltuntergang. Früher war Tischtennis das Wichtigste in meinem Leben. Jetzt gibt es da eine neue Nummer eins.“
Erstes internationales Turnier im Januar: Hungarian Open
Bis zu den Olympischen Spielen in Japans Hauptstadt 2020 ist es noch ein weiter weg. Shans erstes internationales Turnier seit Mias Geburt werden die Hungarian Open vom 15. bis 20. Januar sein. Dorthin wird sie ihre kleine Tochter mitnehmen. Ihr Mann wird auch in Budapest sein und sie bei der Betreuung unterstützen.