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"Die Abwehr boomt" - und Irene Ivancan auch (Foto: Manfred Schillings)

Ivancan hat verstanden, und sechs Deutsche stehen im EM-Viertelfinale

SH/FL 14.10.2011

Danzig. Oft ist es für den Laien ein wenig kryptisch, wenn Spitzensportler über ihre Entwicklung in ihrer Sportart sprechen. „Ich bin reifer geworden, und ich habe angefangen, das Spiel zu verstehen“, sagt Irene Ivancan. Von einer Profi-Tischtennisspielerin kann man schon erwarten, dass sie etwas von ihrem Beruf versteht, sollte man denken. Doch die 28-jährige gebürtige Stuttgarterin kann gut erklären, was genau sie damit meint. „Ein Spiel lesen zu lernen ist so, als würde man laufen lernen. Am Anfang bekommt man es gezeigt, man braucht viel Übung und irgendwann kann man es selbst. Wenn man sich dann intensiv damit befasst, läuft man irgendwann erfolgreich Marathon.“ Dieses Bild passt perfekt. Irene Ivancan ist eine moderne Abwehrspielerin. Ihre Defensivkünste sind ebenso gefürchtet wie ihr mächtiger Vorhand-Topspin. Sie leistet Schwerstarbeit am Tisch, vor allem weit dahinter. Gäbe es Kilometergeld im Tischtennis, wäre sie eine der Topverdienerinnen.

Bei Europameisterschaften gibt es kein Geld zu gewinnen, aber Medaillen. Und Irene Ivancan steht kurz davor. Bei ihrem Comeback nach über sechs Jahren Länderspielpause – ihr erstes und bis Danzig einziges Länderspiel hatte sie bei der EM 2005 absolviert – ist sie am Freitag ins Viertelfinale eingezogen. Mit einer taktischen und spielerischen Glanzleistung hat sie im Achtelfinale die gebürtige Chinesin Hu Melek mit 4:2 niedergerungen. Sie stand in der Defensive sicher und glänzte mit spektakulären Angriffsbällen. Mit ein bisschen Fortune hätte der Sieg auch deutlicher ausfallen können. „Die Abwehr boomt“, freut sich die Bundesligaakteurin vom ttc berlin eastside. „Ich spiele ein relativ modernes System, mit dem ich gegen jede Spielerin etwas machen kann.“ Für ihre Gegnerinnen ist ein Match gegen sie meist nicht so lustig, für die Zuschauer jedoch hat ihre Kunst Entertainer-Qualitäten: „Ich merke, dass die Leute Spaß daran haben, bei meinem Spiel zuzuschauen. Es macht mir Freude, ihnen etwas zu bieten", sagte Ivancan. Das tut sie am Samstag um 13:45 Uhr erneut. Dann geht es gegen die siebenfache Europameisterin Krisztina Toth.

Bundestrainer Bitzigeio: „Eine hervorragend geschlossene Mannschaftsleistung“Den Sprung ins Viertelfinale geschafft: Zhenqi Barthel

In der Runde der letzten Acht steht auch Zhenqi Barthel (Bingen/Münster-Sarmsheim). Die amtierende Deutsche Meisterin gewann das Achtelfinale gegen die Russin Oksana Fadeeva, der sie zuvor im Doppel an der Seite von Kristin Silbereisen im Viertelfinale unterlegen war. Im Einzel unterliefen ihr kaum leichte Fehler, stattdessen ging sie dicht am Tisch ihr gewohnt hohes Tempo. Fadeeva konnte nur im dritten und fünften Durchgang Paroli bieten. Zhenqi Barthel spielte auch nach den verlorenen Sätzen weiter selbstbewusst auf und beendete die Partie mit einer Salve von Vorhand-Schüssen. Im Viertelfinale trifft sie auf Lokalmatadorin Li Qian. Die Nummer sechs Europas aus Polen gewann unter anderem im Jahr 2009 das europäische Ranglistenturnier Europe Top 12 in Düsseldorf. Der letzte Vergleich zwischen ihr und Barthel liegt schon einige Jahre zurück: Bei den U21-Wettbewerben der Pro-Tour-Turniere hatten sich beide regelmäßig gegenüber gestanden. „Damals habe ich maximal einen Satz gewonnen“, erinnert sich Barthel. „Jetzt spiele ich aber viel besser gegen Abwehr. Ich brauche mich nicht zu verstecken.“

Ausgeschieden sind dagegen die Kroppacherinnen Wu Jiaduo und Kristin Silbereisen. Die Weltranglisten-17. Wu verlor gegen die Rumänin Samara in sieben Durchgängen, hatte im Doppel zusammen mit Ivancan zuvor ein deutliches 1:4 im Viertelfinale gegen Samara und ihrer rumänischen Landsfrau Daniela Dodean kassiert. Silbereisen unterlag der topgesetzten niederländischen Nationalspielerin Li Jiao in fünf Sätzen. "Alle vier waren knackige Matches. Mit einer hervorragend geschlossenen Mannschaftsleistung sind wir hier mit vier Spielerinnen ins Achtelfinale eingezogen. Das ist à la bonheur“, lobte Bundestrainer Jörg Bitzigeio die Einzelleistungen seiner Damen. „Morgen werden wir zwei Chancen suchen, uns in die Medaillenränge zu spielen.“

Dimitrij Ovtcharov sprintet unter die besten AchtBei den Herren: „Deutschland gegen Europa“

Irene Ivancan und Zhenqi Barthel sind nicht allein am Vorschlusstag in Polen; natürlich nicht. Timo Boll, Patrick Baum (beide Düsseldorf), Dimitrij Ovtcharov (Orenburg, Russland), Bastian Steger (Saarbrücken) und - von den acht Spielern im Herren-Viertelfinale sind vier Deutsche. Dirk Schimmelpfennig, Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes, fasst es treffend zusammen: "Bei den Herren heißt es morgen Deutschland gegen Europa." Vier deutsche Herren im Viertelfinale hatte es bislang noch nie gegeben in der 53-jährigen EM-Geschichte.

Für Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov ging es schneller als gedacht, aber so schnell wie erhofft. Im Gleichschritt - an benachbarten Tischen und beide mit 4:0-Erfolgen gegen Spieler aus Österreich. Nur noch ein Sieg trennt sie vom Halbfinale, in dem sie aufeinander treffen würden. Von Beginn an bestimmte der 14-fache Europameister die Partie gegen Daniel Habesohn, spielte variabel und bewegte sich gut. Zu keiner Zeit kam die Nummer 106 der Weltrangliste auch nur in die Nähe eines Satzgewinns. Heute war er leichte Beute für Boll, der wird aber die Achtung vor ihm behalten, denn er ist von Habesohn anderes gewöhnt: "Er ist auch weiterhin ein unangenehmer Gegner für mich", sagt der WM-Dritte von Rotterdam. "Heute war er ein bisschen hektisch, nicht so locker wie sonst. Es ist eben etwas anderes, ob man bei einer EM im Achtelfinale steht oder in der Champions League oder auf der Pro Tour gegeneinander spielt."

Boll macht Mattenet keine Geburtstagsgeschenke

In der Runde der besten Acht trifft Timo Boll auf Frankreichs Hoffnung Adrien Mattenet. "Ich habe viel Respekt vor ihm. Er hat sich gut entwickelt und ist einer der Europäer, vor dem man sich in acht nehmen muss." Der Nummer 26 der Weltrangliste will Boll zu dessen 24. Geburtstag am Samstag jedoch keine Geschenke machen.

Dimitrij Ovtcharov liegt das Spiel von Robert Gardos, wichtig war Deutschlands Nummer zwei diesmal in der ERGO Arena jedoch vor allem, nach einem Auf und Ab in Durchgang eins den Satz doch noch zu gewinnen. "Das war entscheidend nach einer 4:0-Führung und einem 5:9-Rückstand", sagt Ovtcharov. Danach lief eigentlich fast alles wie immer: "Ich habe schon öfters hoch gegen ihn gewonnen, obwohl er ein sehr guter Spieler ist." Die Sätze zwei, drei und vier und damit den Einzug in die Runde der besten Acht sicherte er sich relativ gefahrlos. Dort trifft er auf den Slowenen Bojan Tokic, einen der nahezu ständigen Trainingspartner der Deutschen. Weiter als an die Partie am Samstagabend gehen seine Gedanken jedoch nicht, wie er beschreibt: "An ein Halbfinale gegen Timo denke ich noch lange nicht. Morgen steht erst mal ein schweres Viertelfinale an. Es geht erst einmal darum, überhaupt eine Medaille zu holen."

Immer der letzte, bevor es aus der Halle geht: Patrick BaumBaum schließt wieder die Halle ab

Bastian Steger besiegte Schwedens 45-jährigen Altmeister Jörgen Persson einmal mehr ohne Satzverlust, aber in einem sehenswerten Match mit vielen langes Rallyes aus der Halbdistanz. "Bei den China Open habe ich auch mit 4:0 gewonnen. Ich habe aber nicht gedacht, dass es heute wieder so gut laufen würde“, sagte Steger über die Partie gegen den Einzel-Weltmeister von 1991. „Ich bin sehr froh, es auch diesmal so gut geschafft zu haben." Im Viertelfinale trifft der amtierende zweifache Deutsche Meister auf den Serben Aleksandar Karakasevic: "Gegen Kara ist alles offen, bei ihm ist immer alles möglich. Wenn er gut drauf ist, kann er die besten Spieler der Welt schlagen."

Nach Patrick Baums starkem Beginn wurde das Achtelfinale gegen Zoran Primorac doch noch zu einer kleinen Zitterpartie. "Bei meiner 2:0- und 6:2-Führung hatte ich ein richtiges Konzentrationsloch. Dann habe ich mich wieder aufgerappelt“, so Baum. Das athletische Spiel des Kroaten liege ihm eigentlich, bereits dreimal hatte er ihn schlagen können. Heute hat sich der Weltranglisten-23. das Leben selbst etwas schwer gemacht. „Es ist wieder das Nachtprogramm geworden. Ich bin wohl immer der Letzte hier, habe schon gestern die Halle abgeschlossen“, flachste Baum. Das Viertelfinale gegen Europas Nummer zwei, den Weißrussen Vladimir Samsonov, ist exakt die Neuauflage aus dem Vorjahr: "Der Ausgang des Spiels völlig offen. Es ist wieder das Abendspiel, aber wenigstens habe ich vorher frei."

Die deutschen Spiele von Freitag in der Übersicht

Damen-Doppel, Achtelfinale

Barthel/Silbereisen - Hu Melek/Zhu Fang TUR/ESP 3:0 (11, 6, 10)

Irene Ivancan/Wu Jiaduo - Iveta Vacenovska/Renata Strbikova CZE 3:0 (7, 8, 3)

Viertelfinale

Barthel/Silbereisen - Oksana Fadeeva/Ruta Paskauskiene RUS/LTU 1:4 (-8, 8, -6, -11, -7)

Ivancan/Wu - Daniela Dodean/Elizabeta Samara ROU 1:4 (10, -5, -7, -5, -3)

Damen-Einzel, Runde 3 (32)

Kristin Silbereisen - Ruta Paskauskiene LTU 4:1 (6, 7, 7, -5, 11)

Zhenqi Barthel - Veronika Pavlovich BLR 4:1 (-10, 6, 8, 6, 12)

Wu Jiaduo - Elena Timina NED 4:0 (8, 9, 9, 5)

Irene Ivancan - Carole Grundisch FRA 4:2 (-4, 8, 9, -7, 9, 10)

Achtelfinale

Kristin Silbereisen - Li Jiao NED 1:4 (-5, 9, -8, -6, -6)

Zhenqi Barthel - Oksana Fadeeva RUS 4:2 (8, 4, -6, 5, -10, 8)

Wu Jiaduo - Elizabeta Samara ROU 3:4 (-6, 3, 7, 7 -7, -5, -7)

Irene Ivancan - Hu Melek TUR 4:2 (8, -10, 6, 10, -7, 6)

Herren-Einzel, Runde 3 (32)

Timo Boll - Joao Monteiro POR 4:1 (-7, 9, 8, 3, 8)

Dimitrij Ovtcharov - Jens Lundqvist SWE 4:0 (7, 7, 4, 6)

Bastian Steger - Fedor Kuzmin RUS 4:2 (9, -10, 3, 3, -8, 8)

Patrick Baum - Alexander Shibaev RUS 4:2 (9, 5, -11, -8, 7, 7)


Herren-Einzel, Achtelfinale

Timo Boll - Daniel Habesohn AUT 4:0 (6, 6, 7, 6)

Dimitrij Ovtcharov - Robert Gardos AUT 4:0 (10, 5, 6, 9)

Bastian Steger - Jörgen Persson SWE 4:0 (6, 9, 9, 4)

Patrick Baum - Zoran Primorac HRV 4:2 (8, 7, -6, -7, 6, 8)

Die deutschen Spiele am Samstag in der Übersicht

Damen-Einzel, Viertelfinale

Irene Ivancan - Krisztina Toth HUN, 13:45 Uhr

Zhenqi Barthel - Li Qian POL, 15:15 Uhr


Herren-Einzel, Viertelfinale

Timo Boll - Adrien Mattenet FRA, 18:15 Uhr

Dimitrij Ovtcharov - Bojan Tokic SVN, 19:10 Uhr

Bastian Steger - Aleksandar Karakasevic SRB, 20:05 Uhr

Patrick Baum - Vladimir Samsonov BLR, 21 Uhr

 

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