London. Li Xiaoxia hat sich im chinesischen Duell des Damen-Einzel-Finals von London durchgesetzt. In der mit 6000 Zuschauern voll besetzten ExCel-Arena besiegte sie Weltmeisterin Ding Ning mit 4:1 und hat sich damit ihre erste olympische Goldmedaille gesichert. Zusammen mit ihrer Finalgegnerin und Ex-Weltmeisterin Guo Yue hat sie zudem beste Aussichten auf den Gewinn des am Freitag beginnenden Team-Wettbewerbs.
Ding Ning verzweifelte nicht nur an ihrer taktisch perfekt eingestellten Gegnerin, sondern auch am eigenen Service. Ihre sonst eigentlich für die Kontrahentin und nicht für sie selbst gefährlichen Stip-Aufschläge waren von der italienischen Schiedsrichterin Paola Bongelli aus Italien moniert worden, die Weltranglistenerste werfe den Ball dabei nicht senkrecht nach oben, sondern zu stark nach hinten. Gleich im ersten Durchgang bekam sie dafür eine Verwarnung. In Durchgang vier sprach Bongelli dann ihrer Gegnerin den Punkt zu. Ding Ning beschwerte sich intensiv darüber und griff in dieser Situation beim Spielstand von 7:2 auch noch nicht regelkonform zum Handtuch. Da sie zuvor schon einmal die gelbe Karte gesehen hatte (aus der Satzpause nach dem ersten Durchgang war sie zu spät erschienen), hatte die Schiedsrichterin keine andere Wahl, als gelb-rot zu ziehen und Li Xiaoxia den nächsten Punkt zuzusprechen. 8:2 für Li. Ding Ning war den Tränen nahe.
Ding: "Ich hätte mich auf die Situation einstellen müssen"
Der deutsche Olympia-Oberschiedsrichter, Michael Zwipp aus Langen, ließ zur Sicherheit der völlig konsternierten 22-jährigen World-Cup-Siegerin mit Hilfe von Chinas Organisationsleiter He Xiao in der nächsten Satzpause den Sachverhalt auf Chinesisch erklären. "Die Schiedsrichterin hatte ihr auf Englisch gesagt und per Handzeichen deutlich gemacht, was das Problem war, aber das war wohl nicht genug", sagte Zwipp nach der Partie. "Als wir es ihr in der Pause dann noch einmal auf Chinesisch erklärt haben, war die Situation schon ziemlich hektisch."
Ding Ning, ohnehin schon im Satzrückstand, fand nicht mehr ins Spiel. Li Xiaoxia blieb von der Situation unbeeindruckt und sicherte sich mit 11:4 im fünften Satz den Titel. "Ich habe nicht gut gespielt", räumte Ding Ning in ihrem ersten Frust ein, "aber ich hatte nicht nur meine Gegnerin als hohe Hürde, sondern auch noch die Schiedsrichterin." Sie relativierte die Aussage etwas später: "Ich hätte mich auf die Situation einstellen müssen, denn so etwas kann im Spiel jederzeit passieren. Das habe ich nicht geschafft. Ich bin sehr enttäuscht." Der Publikumsliebling hat heute sein Lachen verloren, ihr Blick richtete sich dagegen schon bald nach vorn: "Ich bin jetzt nicht so wichtig", schloss sie an, als die Tränen fast getrocknet waren. "Ich muss meine Gefühle unter Kontrolle bekommen und das Ganze bis zum Beginn der Teamwettbewerbe vergessen. Schließlich haben wir da alle zusammen die Chance auf Gold."
Ewige Zweite nutzt ihre Chance
Li Xiaoxia, die bis dahin ewige Zweite, nutzte ihre Chance an diesem Tag. "Ich war lange genug die Nummer zwei und habe schon so oft gegen Ding Ning verloren", erklärte sie. "Ich habe viel darüber nachgedacht und musste mir immer sagen, dass ich trotzdem mit viel Selbstvertrauen spielen würde. Jetzt bin ich überglücklich." Nach einer ganzen Reihe von Niederlagen im internen Dauerduell hatte Li Xiaoxia immerhin bei den diesjährigen China Open ihre Rivalin besiegen können. Die wichtigen Titel jedoch gingen immer an Ding, wenn sich die beiden in einem Finale gegenüber standen: die Asien-Meisterschaft 2009, der World Cup und die Einzel-WM 2011. Zudem ist Ding die Dauer-Nummer-eins in der Weltrangliste seit November 2011. "Ich wünschte, ich hätte ihr Selbstbewusstsein", sagte Li, die aktuelle Weltranglistendritte und Gewinnerin der Asian Games 2010. "Ich weiß, wie sie sich jetzt fühlen muss. Schließlich habe ich selbst oft genug in einem Finale verloren."
Ob die Medaille ihr Leben verändern werde, wollte ein amerikanischer Journalist wissen: "Keine Ahnung, ich habe sie ja gerade erst bekommen", antwortete Li Xiaoxia. "Ich glaube aber nicht. Ich denke, dass ich mir selbst treu bleiben werde."
Bronze ging an Singapur
Ein uneingeschränktes Strahlen im Gesicht hatte nach der Siegerehrung Wu-Jiaduo-Bezwingerin Feng Tianwei aus Singapur. Fast im Vorbeigehen hatte sie die Bronzemedaille gewonnen. Gegen Japans Youngster Kasumi Ishikawa gab es bei deren Olympia-Debüt ein glattes 4:0. "Ich wollte diese Medaille so sehr, war aber in keiner guten Form, als ich nach London gereist bin", freute sich Feng, die für ihr Land bei der Eröffnungsfeier Fahnenträgerin gewesen war. "Der Tag heute hat mir gezeigt, dass ich einfach an mich glauben muss. Dann kann ich es schaffen."
Damen-Einzel, Halbfinale
Ding Ning CHN - Feng Tianwei SIN 4:2 (7,4,-9,10,-6,6)
Li Xiaoxia CHN - Kasumi Ishikawa JPN 4:1 (5,4,-11,6,7)
Finale am Mittwoch
Li Xiaoxia CHN - Ding Ning CHN 4:1 (8,12,-8,6,4)
Spiel um Bronze
Feng Tianwei SIN - Kasumi Ishikawa JPN, 4:0 (9,6,6,5)