Kaarst. Seit 94 Jahren wartet Deutschland auf einen Tischtennis-Weltmeister im Herren-Einzel, und in 55 Endspielen war nur Abwehrkünstler Eberhard Schöler einmal dabei. Die Frage, ob er stolz darauf sei, als einziger deutscher Spieler ein WM-Finale erreicht zu haben, bereitet dem Jubilar einiges Kopfzerbrechen. „Das kann man von verschiedenen Seiten betrachten. Dass Timo Boll es nicht geschafft hat, finde ich schade“, antwortete Schöler, der am Dienstag, 22. Dezember, bei guter Gesundheit, aber eingeschränkt durch die Corona-Pandemie, seinen 80. Geburtstag feiern kann.
An ein größeres Fest mit Verwandten, Freunden und Bekannten ist nicht zu denken. „Nur der engste Familienkreis wird erwartet“, erklärte der gebürtige Westpreuße, der mit seiner aus England stammenden Frau Diane seit Jahrzehnten in der Nähe von Düsseldorf lebt. Im Haus der Tischtennis-Legende in Kaarst-Holzbüttgen werden am Geburtstag zahlreiche Glückwünsche per Telefon, E-Mail oder WhatsApp eintreffen. Auch der Briefkasten dürfte voller als sonst sein. „Meine Frau hat eine große Verwandtschaft in England. Dort werden noch viele Briefe und Karten verschickt. Früher kamen 60 oder 70 Weihnachtskarten an, jetzt sind es noch 40“, berichtete der WM-Zweite von 1969 mit einem lachenden und weinenden Auge.
Kein Tag ohne Tischtennis als Thema bei den Schölers
Ein Tag ohne ein Tischtennis-Thema ist für Eberhard Schöler auch im vorgerückten Alter kaum vorstellbar. Der neunmalige deutsche Einzelmeister und 155malige Nationalspieler hat weiterhin gute Kontakte, auch wenn er das Finalturnier der Champions League mit seinem Klub Borussia Düsseldorf nicht in der Halle, sondern nur in den Medien verfolgen konnte. „Bis vor zehn Jahre habe ich noch im Seniorenteam der Borussia gespielt. Dann haben wir damit Schluss gemacht und angefangen, Skat zu spielen“, erzählte Schöler mit einem Schmunzeln.
Diese Prise Humor hätten sich seine Gegner zwischen 1960 und 1974 auch gerne mal von ihm gewünscht. Doch der Defensivspieler stand zumeist weit hinter dem Tisch, wehrte die Bälle mit variablem Unterschnitt ab und blieb dabei stoisch gelassen. Das brachte ihm den Spitznamen „Mister Pokerface“ ein. Hin und wieder, wenn sein Gegenüber ihn mit einem Stoppball überraschen wollte, stürmte er blitzschnell an den Tisch und punktete mit einem harten Schuss aus dem Handgelenk. Auch wenn er kein Patent anmeldete, dieser besondere Schlag ging als „Schöler-Peitsche“ in die Sportgeschichte ein.
WM-Finale gegen Shigeo Ito 1969: subtropische Temperaturen in München
Viele Partien des Jubilars sind bis heute unvergessen. Etwa das Endspiel um die deutsche Meisterschaft im Januar 1969 in Hagen, als Schöler im Entscheidungssatz einen 15:20-Rückstand gegen den damals 19 Jahre alten Bernt Jansen aufholte und in der Verlängerung noch gewann. Als Spiel seines Lebens kann aber das WM-Finale am 27. April 1969 in der Münchner Eislaufhalle bezeichnet werden. Der Düsseldorfer führte gegen den Japaner Shigeo Ito bereits mit 2:0-Sätzen, baute dann aber bei fast subtropischen Temperaturen in der offenen Halle ab und verlor die nächsten Durchgänge mit 19:21, 15:21 und 9:21. Einen Matchball hatte er nicht.
„Mit zunehmenden Alter verwischen sich manchmal die Erinnerungen, aber an dieses Spiel kann ich mich gut erinnern. Die Zuschauer waren wie euphorisiert und haben mich mit rhythmischem Klatschen unterstützt. Einige sind wegen der Hitze umgefallen. An den ersten WM-Tagen war es extrem kalt, die Organisatoren hatten extra Heizstrahler an die Decke gehängt. Dann änderte sich aber das Wetter abrupt“, erzählte Schöler.
Erster Tischtennisspieler in der „Hall of Fame des deutschen Sports“
Das ZDF hatte sich live in den ersten Satz eingeblendet - mit Schwarz-Weiß-Bildern. Nach dem Match waren beide Spieler fix und fertig. Ito wurde von Weinkrämpfen, Schöler von einem Oberschenkelkrampf geplagt. Die knappe Niederlage schmälerte die Popularität des Ausnahmespielers nicht. Deutschlands Sportjournalisten wählten ihn bei der Abstimmung zum Sportler des Jahres 1969 auf Platz zwei hinter dem Freistil-Weltrekordler Hans Fassnacht, und 2011 wurde Schöler in die „Hall of Fame des deutschen Sports“ aufgenommen.
Das legendäre Endspiel wirkt regeltechnisch bis in die Jetzt-Zeit nach. Das WM-Turnier wurde damals auf einem weißen Hallenboden gespielt. Für das Abwehrass und Brillenträger Schöler erwies sich das als Nachteil. „Zu 90 Prozent stand ich bei den Ballwechseln drei Meter hinter dem Tisch. Der weiße Ball war beim weißen Boden kaum für mich zu sehen. Deshalb haben Hans Wilhelm Gäb und ich dafür gekämpft, bei der Weltmeisterschaft 1989 in Dortmund einen roten Hallenboden zu verlegen. Das hat sich bis heute durchgesetzt“, erläuterte Schöler.
Sportfunktionär bei DTTB, ETTU und ITTF
Nach dem Ende seiner Sportlerkarriere engagierte sich der Geschäftsmann aus der Glasbranche als ehrenamtlicher Sportfunktionär beim DTTB, bei der ETTU und beim Weltverband ITTF. Einige Entwicklungen der Neuzeit - zum Beispiel laute Hallenmusik, obwohl an einigen Tischen noch gespielt wird - gefallen ihm zwar nicht. Dennoch will er auch in Zukunft große Turniere wie Weltmeisterschaften besuchen, falls das möglich ist. Olympia 2021 in Tokio gehört aber nicht zu seinen Reiseplänen.
Bei WM-Turnieren traf Schöler in der Vergangenheit manchmal seinen fünf Jahre jüngeren Widersacher Shigeo Ito. „Er ist ein netter Kerl, der aber kein Englisch spricht. Wir trinken dann immer ein Bier; am liebsten mag er deutsches Bier“, erzählte Schöler. Die deutsche Tischtennis-Familie wünscht ihrem einzigen WM-Finalisten zum Ehrentag einen guten Tropfen sowie viel Gesundheit und Glück in den nächsten Lebensjahren.