Böblingen. Im April 1991 war es, als die SV Böblingen, damals schon mit Abteilungsleiter Frank Tartsch, mit He Qianhong einen Neuzugang aus dem Reich der Mitte präsentierte. Die 22-jährige Chinesin sorgte schnell mit ihren Abwehrkünsten für Furore. Seitdem ist viel passiert – und irgendwie ist doch alles beim Alten. Das Böblinger Urgestein Qianhong „Hongi“ Gotsch hat am 7. September ihren 50. Geburtstag gefeiert und geht in die mittlerweile 23. Saison mit dem Bundesligateam der SVB.
„Ich erinnere mich noch recht gut“, sagt Frank Tartsch, der nach wie vor in Managerfunktion für das Böblinger Bundesligateam verantwortlich ist, „die junge Chinesin Hongi absolvierte unter den Augen unseres Trainers Sönke Geil ein Probetraining bei uns. Nachdem sie zuvor zwei Jahre pausiert hatte, war es um ihre Kondition nicht allzu gut bestellt. Kaum waren zwei Trainingsminuten vergangen, musste sie schon ziemlich schwitzen. Doch schnell wurde uns allen bewusst, dass wir hier ein Juwel in unseren Reihen hatten.“
Der Beginn einer Erfolgsgeschichte
Was danach folgte, war eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Die chinesische Einzelmeisterin und Studenten-Weltmeisterin legte mit einer beeindruckenden Einzelbilanz von 51:1 Spielen in der Bundesliga gleich mächtig los. Abgesehen von den fünf Spielzeiten (1998 bis 2003), in denen sie in Betzingen agierte und unter anderem den Europapokal gewann, ist sie seit jeher die unangefochtene Nummer eins im Team der SV Böblingen, wo sie Mitte der Neunziger mit Rang drei die beste Teamplatzierung im Oberhaus erreichte.
Auch im Einzelsport reihten sich Titel und Triumphe aneinander. Bis auf Weltranglistenposition vier arbeitete sich die Defensivkünstlerin hoch, bei den Olympischen Spielen in Sydney (2000) schaffte sie es bis ins Viertelfinale, zwei Mal (1999, 2000) gewann sie das hochkarätige Europe-Top-12-Turnier. In Bremen gelang ihr dann im Jahr 2000 der große Coup in Form des Einzeltitels bei den Europameisterschaften. „Das waren natürlich alles sehr schöne und erfolgreiche Zeiten, vor allem natürlich auch bei der SVB, wo wir immer viel Spaß und auch Erfolg hatten“, erinnert sich die Protagonistin heute.
Ehrgeiz und Siegeswille sind ungebrochen
Der Ehrgeiz und der Siegeswille bei der noch 49-jährigen Gärtringerin sind ungebrochen. Was wohl auch das Geheimnis ihres langjährigen Erfolgs ist. Die harte chinesische Tischtennisschule sorgte in jungen Jahren für die Basis, doch in all den Jahren waren es auch der Trainingsfleiß, ein außerordentlicher Kampfgeist und die notwendige Disziplin, die dafür sorgten, dass Qianhong Gotsch bis heute zu den besten Spielerinnen der Bundesliga gehört. Auch in der letzten Saison ließ sich Gotsch nur selten bezwingen, mit einer 20:3-Quote landete sie zum wiederholten Male ganz vorne im Bundesliga-Klassement. Aktuelle deutsche Nationalspielerinnen müssen immer wieder gratulieren, nur wenige Bundesligaspielerinnen wissen, wie sie das Abwehrbollwerk der Böblinger Nummer eins knacken können.
Frank Tartsch: „Zwar ist die Liga über die Jahre etwas schwächer geworden, aber am Spitzenpaarkreuz tummeln sich immer noch zahlreiche Weltklassespielerinnen. Dank ihres variantenreichen Spiels mit den Abwehrkünsten und ihren unnachahmlichen Konterattacken tun sich die meisten Kontrahentinnen gegen Hongi aber immer noch sehr schwer.“ Man kann es allerdings auch in Gotschs Worten ausdrücken: „Es ist eigentlich einen Mischmasch, den ich spiele.“
Imponierende Einzelbilanz in Böblingen: 678:130
Qianhong Gotsch weiß, dass sie im gereiften Alter etwas mehr tun muss, um den spielerischen Level zu halten. Da sich Ehemann Ingo zuletzt eine Fußverletzung zuzog, fiel der Urlaub ins Wasser, dementsprechend trainierte Gotsch auch in der Sommerpause fortwährend. Im Böblinger Tischtenniszentrum spielt sie unter anderem mit der Japanerin Mitsuki Yoshida, mit ihrer langjährigen Freundin Xu Yanhua, die aus Sindelfingen wieder zur SVB zurückkehrte und mit zahlreichen Männern aus den höheren Ligen.
„Zwei bis drei Mal trainiere ich derzeit schon pro Woche“, sagt Gotsch, „neulich haben wir sogar mal morgens um halb acht angefangen.“ Ohne Zweifel, die zweifache Mutter will es auch diesmal wieder wissen. Laut der Statistik, die Böblingens Pressewart Manfred Schneider akribisch führt, bringt es Gotsch bei Pflichtspielen der SV Böblingen auf eine imponierende Bilanz von 678:130 Spielen. „Da wird sie doch auch noch die tausend Einzel schaffen“, sagt Schneider augenzwinkernd. Auf dieses Ziel angesprochen, gibt sich Qianhong Gotsch ähnlich humorvoll. „Wenn es die Gesundheit zulässt, spiele ich vielleicht noch mit 80. Dann gibt es wieder einen Grund zum Feiern“, sagt die Jubilarin, die den runden Geburtstag im Kreise zahlreicher Verwandten sowie Freunden und Kollegen aus der Tischtennisszene und der lokalen Politik gefeiert hat.
Steckenpferd Kommunalpolitik
Seit 2014, als Qianhong Gotsch in den Gärtringer Gemeinderat gewählt wurde, stellt die Kommunalpolitik ein weiteres Steckenpferd in ihrem Privatleben dar. Wie man sich denken kann, arbeitet Gotsch auch in diesem Tätigkeitsfeld sehr akribisch und pflichtbewusst. Und bringt viel Zeit für das Ehrenamt auf. „Manchmal ist es schon anstrengend“, sagt Gotsch und verweist auf mehrstündige Sitzungen, die ihr einiges an Konzentration abverlangen. Zudem fallen diverse Außentermine wie Baustellenbesichtigungen an, und es gilt oftmals komplexe Schriftstücke zu studieren, was der gebürtigen Chinesin in der Vergangenheit sicherlich auch nicht immer leicht fiel. „Für mich ist Hongi ein echter Sonnenschein“, sagt Elke Groß, die Vorsitzende des Gärtringer CDU-Gemeindeverbands, „sie hat eine enorme Energie und ist immer gut gelaunt.“
Zurück zum Tischtennis. SVB-Manager Frank Tartsch kann die stets positive Haltung von Gotsch nur bestätigen. „Hongi war und ist ein absoluter Glücksfall für unsere Abteilung, eine phänomenale Frau. Es ist eine Freude, mit ihr zusammenzuarbeiten. Mit ihrer positiven Ausstrahlung steckt sie alle Teammitglieder an. Ich bin froh, dass wir eine weitere Saison auf sie zählen können.“ Wie immer in den letzten Jahren wurde die „Vertragsverlängerung“ kurz und bündig per Handschlag vorgenommen.
Bundesliga-Auftakt am 15. September in Langstadt
Die Chemie zwischen Verein und Gotsch stimmt weiterhin – wie am ersten Tag. „Hongi will spielen, wir wollen in der Bundesliga weiter spielen, es passt also alles“, so Tartsch weiter. Ein Vereinswechsel kommt für Qianhong Gotsch im „gesetzten“ Alter sowieso nicht mehr in Frage, wenngleich laut Tartsch der eine oder andere Ligakonkurrent zuletzt immer noch Interesse bekundete. „Interessant wäre es vielleicht, wenn eines Tages die Damen auch in höheren Männerligen einsatzberechtigt wären“, sagt Ehemann Ingo Gotsch, „eine derartige Regeländerung steht allerdings nicht im Raum, das ist blanke Theorie.“ Diesbezüglich muss sich in Böblingen sicherlich niemand Sorgen machen.
Am vergangenen Wochenende spielte Qianhong Gotsch mit der SVB beim Qualifikationsturnier zum deutschen Pokal, dem Final Four, in Seligenstadt. Zwar steuerte sie drei Einzelsiege bei, für das Weiterkommen ihres Teams reichte es jedoch nicht. Bundesligaauftakt ist am 15. September bei Aufsteiger TSV Langstadt. Die erste Gelegenheit, den SVB-Oldie im heimischen Tischtenniszentrum zu bewundern, besteht am 14. Oktober, wenn es gegen den TuS Bad Driburg geht.
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