Durban/Langen. Bei den am Sonntag mit einem ‚clean sweep‘, dem Gewinn aller fünf möglichen Titel, für China zu Ende gegangenen Individual-Weltmeisterschaften in Südafrika standen auch diesmal wieder die Athleten im Mittelpunkt des Geschehens. Im ICC Durban waren an den neun Wettkampftagen jedoch nicht nur die weltweit stärksten Spielerinnen und Spieler, sondern auch viele der besten Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter in vier WM-Hallen im Einsatz. Deutschland war bei der WM in Durban gleich mit zwei seiner Regelkoryphäen vertreten: Mit Kerstin Duchatz aus Herne als eine der Unparteiischen für die Spielleitung sowie mit Michael Zwipp: Der Langener leitete als Oberschiedsrichter ein internationales Team, bestehend aus vier stellvertretenden Oberschiedsrichtern, 18 Unparteiischen des gastgebenden afrikanischen Kontinents und weiteren 17 von der ITTF nominierten Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, darunter Kerstin Duchatz.
Michael Zwipp: „Die Anforderungen bei einer WM sind deutlich gestiegen“
Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die Michael Zwipp wie stets mit der ihm eigenen inneren Ruhe und großer Routine souverän bewältigte. Der studierte Betriebswirt mit Schwerpunkt Informationstechnik zählt im Alter von 70 Jahren zu den erfahrensten Oberschiedsrichtern weltweit. 2012 hatte der gebürtige Frankfurter sogar die Leitung der Olympischen Spiele in London in seinen Händen, auch bei zahlreichen anderen Top-Events profitierten die von ihm betreuten Kolleginnen und Kollegen von seiner Erfahrung, Kompetenz und unaufgeregten Art.
Die WM in Durban ging aus Sicht des obersten Regelhüters reibungslos über die Bühne. Michael Zwipp bilanziert: „Die Weltmeisterschaft in Südafrika war eine besondere Veranstaltung und ein unvergessliches Erlebnis, auch aus Sicht der Organisation, denn die Anforderungen sind insgesamt deutlich gestiegen.“ Laut Zwipp beginnt dies im besonders umfangreichen Bereich der Medien sowie der Präsentation und setzt sich bis in den Schiedsrichterbereich hinein fort. Er erläutert: „Es gibt beispielsweise keine manuellen Zähltafeln mehr. Selbst beim Tablet, mit dem die Schiedsrichter die elektronischen Eingaben vornehmen, haben sich aufgrund der Echtzeitübermittlung der Eingabe die Bedienformen geändert und sind sehr viel komplexer geworden. Hier wurde sehr viel Arbeit hineingesteckt. Ich muss meinem Team hier ein Riesenkompliment machen. Es gab so gut wie keine Fehler, es wurde bei dieser WM Fantastisches geleistet.“
Die WM auf Netzhöhe miterleben
Zwipp war von der WM in Südafrika angetan, sie wird ihm im Gedächtnis bleiben: „Ich hatte in meiner langen Schiedsrichter-Laufbahn das Glück, schon viele interessante Stationen erleben zu dürfen. Die Olympischen Spiele in London mit all seinen Herausforderungen steht bis heute an der Spitze, aber auch die EM 2009 in Stuttgart, die WM 2006 in Bremen und weitere Berufungen als Oberschiedsrichter für Veranstaltungen in Kairo, Moskau und Kasachstan haben bei mir unvergessliche Momente und Erfahrungen hinterlassen, die ich nicht missen möchte. Auch Südafrika wird einen besonderen Platz in dieser Reihe einnehmen: Der Spitzensport bei diesem Turnier war absolut herausragend. Es gab traumhafte Ballwechsel im Herren-Finale gestern zwischen Fan Zhendong und Wang Chuqin. Oder das Erlebnis des Damen-Viertelfinalspiels zwischen Wang Yidi und Hina Hayata: Nach neun vergebenen Matchbällen von Wang endete es mit 21:19 im siebten Satz für Hayata. Das macht mir jetzt noch Gänsehaut, wenn ich nur daran denke. Aufgrund meiner Empfehlung und der von Competition Manager Karl Jindrak hat Wang Yidi wegen ihres tollen Verhaltens in der Niederlage später auch die Richard-Bergmann-Trophy für Fair Play erhalten.“ Zwipp betont die Faszination des Schiedsrichterwesens: „Es war eine sportlich herausragende WM. Als Referee darf man dabei die Spiele sozusagen auf Netzhöhe miterleben und mit darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden. Das ist eine großartige Kombination.“
Michael Zwipp ist einer von nur 16 Advanced International Referees
Als Oberschiedsrichter bei den weltweit wichtigsten Events fungieren darf Michael Zwipp, da er der kleinen, aber feinen Gruppe von weltweit insgesamt nur 16 Advanced International Referees, kurz AIR, gehört. Nur mit dieser Qualifikation überhaupt können die Unparteiischen auch bei Olympischen Spielen und beispielsweise Weltmeisterschaften als Oberschiedsrichter eingesetzt werden. Zwipp, der als Schiedsrichter auf Bezirks- und Verbandsebene in Hessen begann, später eine Zeit im Präsidium des Hessischen TTV tätig war und für den DTTB das Ressort Schiedsrichter von 2006 bis 2014 leitete, schloss seine damalige Ausbildung zum AIR des Weltverbandes ITTF im Jahr 2001 unter Colin Clemett und dem ehemaligen DTTB-Präsidenten Hans Giesecke ab.
Im Moment hat Zwipp kein offizielles Ehrenamt inne, es bliebe auch kaum Zeit dazu. Er liebt es jedoch, sein Wissen und seine Erfahrung an junge Kollegen weiterzugeben und ist in jeder freien Minute dafür in der Welt unterwegs: „Als Schiedsrichter-Trainer bin ich für den Weltverband ITTF bereits viele Jahre im Einsatz. Seit 2009 beispielsweise bilde ich unter anderem die International Referees aus, gestalte die Inhalte der Ausbildung. Auch durfte ich bereits mehrere Male in verschiedene Länder reisen, insbesondere in Afrika, um Ausbildungen für Schiedsrichter und Referees im Anfängerbereich und auf nationaler Ebene durchzuführen. Es ist mir einfach ein Bedürfnis, junge Menschen an das Schiedsrichterwesen heranzuführen und meine Erfahrungen weiterzugeben. Deshalb bin ich auch einer der Mentoren im Mentorship-Programm der ITTF.“
Tischtennis als Hobby ist mein Leben
Michael Zwipp ist erfüllt von seinem Engagement im Sport: „Tischtennis ist, als Hobby, sozusagen mein Leben. Ich habe sehr viel dafür investiert, aber es hat sich gelohnt: Viel von dem, was ich gebe, bekomme ich durch intensive Erfahrungen, unvergessliche Momente und tiefe Freundschaften zurück.“ Nach der WM ist für Michael Zwipp schon vor dem nächsten Einsatz, denn an Berufungen fehlt es dem Experten Zwipp nicht. In drei Wochen wird der Hessen bei den mit 26 Sportarten durchgeführten Special Olympics Berlin Verantwortung übernehmen: „Ich bin dort als sogenannter Assistance Technical Delegate in die Organisation eingebunden, aber koordiniere und leite beim Tischtennis auch den Einsatz von 30 Schiedsrichtern und 30 Volunteers. Mitte August geht es dann als Oberschiedsrichter zum WTT Contender nach Rio de Janeiro, auch das wird sicherlich wieder sehr interessant. Ich freue mich auch noch auf viele weitere Erlebnisse dieser Art.“
Vielen Tischtennis-Fans ist Michael Zwipp übrigens auch aus dem Unterhaltungs-Fernsehen bekannt. Der humorvolle Hesse fungierte in der Vergangenheit bereits als Tisch-Schiedsrichter bei der Pro-7-Sendung ‚Schlag den Star‘, ‚Schlag den Raab‘ und ‚TV Total‘. Zwipp sagt: „Das ist nun schon einige Jahre her und hatte 2006 angefangen mit ‚Schlag den Raab‘. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich bei solchen Sendungen dabei war. Im Fernsehen ist Tischtennis und das Schiedsen noch einmal etwas ganz anderes, weil die Regeln etwas gebogen werden, um es für die Zuschauer interessanter zu machen. Bei Stefan Raab wurde übrigens immer alles wirklich live gesendet. Das war eine großartige Erfahrung, die ich machen durfte.“
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Vom Einstieg bis zum internationalen Niveau: Schiedsrichter werden
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