Paris. Für Kerstin Duchatz ist in Paris ein Traum in Erfüllung gegangen. Die deutsche Schiedsrichterin, dekoriert mit der höchsten Auszeichnung “Gold Badge”, war eine von 20 Unparteiischen aus der ganzen Welt, die bei den Olympischen Spielen im Einsatz waren. Am Ende durfte sie sogar das Team-Finale der Damen mit leiten.
“Ich muss mich erst einmal sammeln. Was da die letzten zwei Wochen passiert...”, beginnt die 35-jährige Hernerin ihre Antwort auf die Frage, wie ihre Zeit im Einsatz bei den Sommerspielen war. “Für mich war es großartig, gestern für das letzte Match des Turniers als Schiedsrichterin einzulaufen und nochmal die große, ausverkaufte Halle in bester Stimmung zu erleben”, erzählt Duchatz. Dass der Weltverband ITTF ausgerechnet sie für das finale Highlight des olympischen Tischtennis-Turniers ausgewählt hatte, war kein Zufall. Schließlich war sie erst im Februar zur ersten “Weltschiedsrichterin des Jahres” gekürt worden. Diese Auszeichnung war eine große Ehre, sicher, aber das Ziel eines jeden ambitionierten Schiedsrichters seien die Olympischen Spiele, stellt die Vorsitzende des DTTB-Schiedsrichter-Ressorts klar.
Mit 17 Jahren Bezirksschiedsrichterin, mit 35 bei Olympia
Der Weg zu diesem Ziel ist steinig, lang, erfordert viel Zeit und auch Geld. Nur die Wenigsten schaffen es dorthin. Denn jeder beginnt zunächst als Schiedsrichter im Verein und muss den Weg über den Verbands-, nationalen und internationalen Schiedsrichter gehen, bevor dort mit den höchsten Qualifikationsstufen "Blue-" und "Gold Badge" die letzten Hürden warten. Im Alter von 17 Jahren legte sie ihre Bezirksschiedsrichterinnenprüfung ab. Bereits 2016 ist die als Veranstaltungsmanagerin an der Hochschule Bochum tätige Duchatz Inhaberin des "Blue Badge", der zu der Zeit für die internationalen Unparteiischen am Tisch - Oberschiedsrichter nehmen einen anderen Ausbildungsweg - die höchste Qualifikationsstufe ist. 2022 wurde der "International Umpire Gold Badge" eingeführt, um erneut eine Gruppe besonders qualifizierter Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter zu selektieren. Auch diesen Schritt schaffte Duchatz. Sie genießt nicht nur in Schiedsrichterkreisen hohes Ansehen. "Natürlich sprechen wir manchmal auch über Schiedsrichter. Kerstin gehört zu denen, die sehr klar und souverän in ihren Anweisungen sind und viel Respekt unter den Spielern genießen", sagt etwa Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf.
Im europäischen Tischtennis-Verband ETTU ist sie Mentorin für Nachwuchsschiedsrichterinnen und -schiedsrichter. Die Nachwuchsarbeit liegt ihr national und international am Herzen. Ihre eigenen Partien leitet sie hochkonzentriert, souverän und freundlich - egal ob bei nationalen Meisterschaften oder Welttitelkämpfen. Unter anderem saß sie 2021 bei den Weltmeisterschaften in Houston am Zähltisch, als Kristian Karlsson und Mattias Falck Gold für Schweden gewannen. Dies war ihr persönliches Highlight als Unparteiische bis Paris. Bereits zwei Jahre zuvor in Budapest hatte sie ihre ersten WM-Endspiel-Einsätze. Im Mixed- und Herren-Doppel war das. Damals sagte sie, natürlich träume sie davon, irgendwann einen Einsatz bei Olympischen Spielen zu bekommen. "Aber es gibt viele sehr qualifizierte Kolleginnen und Kollegen, so dass ich in den nächsten zehn, 20 Jahren noch nicht damit rechne." Im September 2023 kam dann die Mitteilung des Weltverbands per E-Mail. Kerstin Duchatz war für die Olympischen Spiele ausgewählt worden als einzige Deutsche und eine von nur sechs Europäern. Ihre Düsseldorfer Kollegin Anja Gersdorf, Olympia-Schiedsrichterin in Tokio, wird Partien bei den Paralympics leiten, die in 17 Tagen in Frankreichs Hauptstadt beginnen.
Eröffnungsfeier an der Seine: "Es ist die Wahrheit: Ich sitze hier wirklich und bin dabei"
Duchatz' Traum ist im Eiltempo wahr geworden. “Wir waren bei der Eröffnungsfeier und da sitzt man dann an der Seine, das deutsche Boot fährt vorbei und man denkt sich: ‘Es ist die Wahrheit: Ich sitze hier wirklich und bin dabei’.“ Während der zwei Wochen dauernden Wettbewerbe hatte sie zahlreiche Einsätze. Für die Finals der Individualwettbewerbe wurde Duchatz jedoch noch nicht eingeplant. Dann aber eben für das allerletzte Duell der Olympischen Spiele: Das Endspiel der Damen im Team zwischen China und Japan. "Es war ein deutliches Spiel. Aber da zu sitzen, bei Olympia, wo es um eine Goldmedaille geht – das war einfach ein Traum und ein schöner Abschluss von dem, was ich die letzten zweieinhalb Wochen erlebt habe.”
Andere Sportarten der Olympischen Spiele konnte sie sich nicht anschauen. Zu kurzfristig wurden die täglichen Einsatzpläne bekanntgegeben, als dass sich die "Match Officials", wie sie international heißen, noch rechtzeitig Tickets hätten besorgen können. Aber für Sightseeing blieb genug Zeit und auch für ein Kaltgetränk auf dem Eiffelturm. Die Organisation des Turniers war “erste Sahne – absolute Laborbedingungen", lobt sie. Dazu war ihr Hotel direkt neben der Halle und bot die Möglichkeit, auch zwischendrin mal eine kurze Pause im eigenen Zimmer einzulegen.
Nach zweieinhalb langen Wochen sei sie jetzt aber schon erschöpft und erleichtert, endlich nach Hause zu können. Aber es bleibt eine Erinnerung, ein Erlebnis, das die Ehrenamtlerin für immer behalten wird: “Ich bin einfach nur happy. Ich weiß sehr wohl, dass es für mich die einzigen Olympischen Spiele in meinem Leben waren und ich so hart darauf hingearbeitet habe. Jetzt ist es vorbei, ich stehe hier am Bahnsteig und warte auf meinen Zug nach Hause. Es ist einfach nur schön.”
Die Ergebnisse der letzten Entscheidungen von Paris in der Übersicht
Damen, Spiel um Gold
China - Japan 3:0
Chen Meng/Wang Manyu - Hina Hayata/Miwa Harimoto 3:2 (-9,6,-6,6,10)
Sun Yingsha - Miu Hirano 3:0 (11,6,6)
Wang Manyu - Miwa Harimoto 3:1 (-12,10,7,6)
Damen, Spiel um Bronze
Deutschland - Südkorea 0:3
Xiaona Shan/Yuan Wan - Jeon Jihee/Shin Yubin 2:3 (-6,-8,8,10,-8)
Annett Kaufmann - Lee Eunhye 0:3 (-8,-6,-2)
Xiaona Shan - Jeon Jihee 0:3 (-6,-6,-6)
Herren-Mannschaft, Spiel um Gold
China - Schweden 3:0
Ma Long/Wang Chuqin - Källberg/Karlsson 3:2 (-8,4,3,-6,7)
Fan Zhendong - Truls Möregardh 3:2 (-10,8,9,-10,5)
Wang Chuqin - Kristian Karlsson 3:2 (9,5,-10,-10,2)
Spiel um Bronze
Frankreich - Japan 3:2
Simon Gauzy/Alexis Lebrun - Hiroto Shinozuka/Shunsuke Togami 3:1 (5,7,-5,6)
Felix Lebrun - Tomokazu Harimoto 3:2 (-11,4,-9,6,10)
Alexis Lebrun - Shunsuke Togami 1:3 (-8,-9,9,-9)
Simon Gauzy - Tomokazu Harimoto 1:3 (-8,8,-8,-12)
Felix Lebrun - Hiroto Shinozuka 3:1 (7,7,-12,11)
Alle Ergebnisse
Weitere Infos
Damen-Team: Nina Mittelham (ttc berlin eastside / WR: 17, Olympia-Teilnahmen: -), Shan Xiaona (ttc berlin eastside / WR: 40, OT: 2016, 2020), Annett Kaufmann (SV DJK Kolbermoor / WR: 100, OT: -), Ergänzungsspielerin: Yuan Wan (TTC Weinheim / WR: 96, OT: -)
Herren-Team: Dang Qiu (Borussia Düsseldorf / Weltrangliste: 12, Olympia-Teilnahmen: -), Dimitrij Ovtcharov (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell / WR: 15, OT: 2008, 2012, 2016, 2020), Timo Boll (Borussia Düsseldorf / WR: 23, OT: 2000, 2004, 2008, 2012, 2016, 2020), Ergänzungsspieler: Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken-TT / WR: 11, OT: 2020).
Herren-Einzel: Dang Qiu, Dimitrij Ovtcharov
Damen-Einzel: Nina Mittelham, Xiaona Shan
Gemischtes Doppel: Dang Qiu/Nina Mittelham
ITTF-Nominierung Schiedsrichter
Olympia: Kerstin Duchatz (Herne)
Paralympics: Anja Gersdorf (Düsseldorf)
Die bisherigen 9 Medaillengewinne Deutschlands im Tischtennis
Gold: -
Silber: 4
Bronze: 5
1992, Barcelona
Silber Herren-Doppel: Steffen Fetzner/Jörg Roßkopf
1996, Atlanta
Bronze Herren-Einzel: Jörg Roßkopf
2008, Peking
Silber Herren-Mannschaft: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Christian Süß
2012, London
Bronze Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov
Bronze Herren-Mannschaft: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Bastian Steger
2016, Rio de Janeiro
Silber Damen-Mannschaft: Ying Han, Xiaona Shan, Petrissa Solja
Bronze Herren-Mannschaft: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Bastian Steger
2020, Tokio
Bronze Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov
Silber Herren-Mannschaft: Timo Boll, Patrick Franziska, Dimitrij Ovtcharov