Düsseldorf. Wie schwer die vergangenen Wochen für Dimitrij Ovtcharov waren, hat der sechsfache Olympiamedaillengewinner jetzt in großen Interviews mit der Süddeutschen Zeitung und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung berichtet. Der 33-jährige Wahl-Düsseldorf wurde in Kiew geboren, kam als kleines Kind mit seinen Eltern nach Deutschland und hat Freunde und Verwandte in der Ukraine. Seit 2010 spielte Ovtcharov für den russischen Topklub Fakel Gazprom Orenburg. Der Krieg veränderte nun auch für den World-Cup-Sieger von 2017 und seine Familie alles, wie er in den Interviews beschreibt.
„Ich habe mich zu Beginn (Anmerkung: „des Krieges“) gar nicht mit Tischtennis beschäftigt, sondern nur daran gedacht, wie ich meine Oma aus Kiew bringen kann“, erzählt er in der FAZ. „Erst als das gelungen war, habe ich mit meinem Vater gesprochen, und wir waren uns gleich einig darin, dass es unmöglich ist, weiter für Orenburg zu spielen.“ Vater Mikhail, ebenfalls in Kiew geboren und ehemaliger nationaler Meister und Nationalspieler für die Sowjetunion, ist Dimitrij Ovtcharovs wichtigster Berater und Trainer seit dem ersten Ballwechsel. Mithilfe eines alten Freundes Mikhails gelang dessen 85-jähriger Mutter, die noch den 2. Weltkrieg miterlebt hatte, die Flucht aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland.
Hilfe bei der Zufluchtssuche
Als „aktiven Flüchtlingshelfer“ betrachtet sich Dimitrij Ovtcharov nicht, half und hilft aber auch weiterhin Freunden und Bekannten aus der Ukraine, die in Deutschland Zuflucht suchen. Er habe in den ersten zwei Kriegswochen sehr viel telefoniert, viel über die deutschen Einreisebestimmungen gelernt und vor allem auch eine wunderbare Hilfsbereitschaft erfahren, so Ovtcharov gegenüber der FAZ. Eine Düsseldorfer Immobilienfirma stellte Freunden und Bekannten kurzfristig und unbürokratisch mehrere Wohnungen zur Verfügung. Auch viele Freunde und Bekannte von Deutschlands Nummer eins hätten Wohnraum vermittelt. Borussia Düsseldorf etwa war so ein Helfer der ersten Stunde. Auch den DTTB schaltete Ovtcharov ein.
Sein Verein in Orenburg legte ihm bei der fristlosen Kündigung beim Spitzenklub keine Steine in den Weg. Die persönliche Verbundenheit nach zwölf erfolgreichen Jahren ist groß. „Ich habe ihnen gesagt: Ich weiß, dass ihr nichts damit zu tun habt, aber ich kann jetzt nicht mehr in Russland spielen. Dafür haben sie Verständnis gezeigt“, sagte der Familienvater gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Sport sollte ein Symbol sein, dass jeder mit jedem spielen kann, egal woher man kommt.
Vier Stunden Training täglich, davon zwei am Tisch
Für seinen Wechsel nach Neu-Ulm hatte er Angebote aus Japan ausgeschlagen und den Vereinsboss und Verleger Florian Ebner persönlich angerufen. Ovtcharov: „Er war extrem begeistert und wollte gleich ein großes Projekt daraus machen. Innerhalb von einer Woche haben wir das Team dann gemeinsam zusammengestellt.“ Neben der Champions League wird der aktuelle Weltranglistensiebte Einsätze im Pokal und gegebenenfalls – abhängig vom WTT-Kalender – in der Bundesliga haben.
Nach seiner Fußverletzung und Operation im Herbst sowie einem Rückfall im Februar plant er sein Comeback für Anfang Juli. Zurzeit trainiert er vier Stunden täglich, zwei am Tisch, zwei im Kraftraum. „Ich spiele aus Vorsicht aber noch mit einem Schutz am Fuß und bewege mich auch noch nicht maximal, weil ich einen weiteren Rückschlag unbedingt vermeiden will“, erklärt Dimitrij Ovtcharov. Noch lässt ihm auch der internationale Kalender Zeit für die Rekonvaleszenz.