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Mach's gut, Timo! (Foto: BeLa-Sportfoto)
Timo Boll musste nicht lange darüber nachdenken, was er am meisten nach seinem Karriereende vermissen würde: seine Mannschaft

Timo Boll im Interview: "Wie eine kleine Familie, die ich heute verliere"

Aufgezeichnet von SH 07.08.2024

Paris. So viele aufnahmebereite Handys hatten sich ihm noch nie entgegen gestreckt wie in der Mixed Zone von Paris nach seinem Abschiedsspiel, wo die Spieler und Trainer auf die Journalisten treffen. "Darf ich mir eins aussuchen?", scherzte Timo Boll als Einstieg, nachdem ihm 6.400 Menschen in der einmal mehr ausverkauften Arena Paris Süd 4 mit "Ti-mo, Ti-mo"-Sprechchören einen emotionalen Abschied von seiner internationalen Karriere bereitet hatten.

Kurz vorher war seine Mannschaft vor den Augen von Basketball-Legende Dirk Nowitzki sowie des schwedischen Königspaars Carl Gustaf und Silvia im Viertelfinale gegen Schweden mit 0:3 ausgeschieden. Dies war der Schlusspunkt hinter einer einzigartige Tischtennis- und Sportkarriere: Nach mehr als zweieinhalb Jahrzehnten betrat Timo Boll letztmalig bei den Olympischen Spielen die internationale Tischtennisbühne. Ein Abschied, bei dem die Journalistinnen und Journalisten viele Fragen an den Rekord-Europameister hatten.

Wie geht es dir jetzt nach dem Spielende?
Timo Boll:
Es war schon hart: Die Enttäuschung direkt nach dem Spiel, ausgeschieden zu sein, mit dem eigenen Spiel nicht ganz zufrieden zu sein und dass sich die harte Arbeit nicht wie erhofft ausgezahlt hat. Auf der anderen Seite war gleich in meinem Kopf, dass mit der Nationalmannschaft jetzt wirklich Schluss ist. Bei den Sprechchören hat es mich brutal übermannt. Auch wenn es natürlich sehr schön war, so viel Feedback vom Publikum zu bekommen.

Womit bei deinen Spielen warst du nicht zufrieden?
Boll: Mit dem Doppel war ich überhaupt nicht zufrieden. Ich bin ein Spielertyp, der immer ein bisschen braucht. Gegen Anton wurde es besser und besser, wobei er gut gespielt hat. Das ganze schwedische Team war sehr stark. Für müssen respektieren, dass die anderen auch hart arbeiten, brutal aufgeholt und uns sogar überholt haben. Die Jungs müssen ohne mich noch eine Schippe drauflegen.

Wie wird es für dein Team weitergehen?
Boll:
Wir haben gute Jungs und ich kann jetzt ohne schlechtes Gewissen abtreten. Ich bin froh, dass Patrick nun hineinrutscht. Er hat hier viel mitmachen müssen und hat mir super leid getan. Er hat es mit sehr viel Achtung und Stolz ertragen. Ich habe großen Respekt vor ihm. Hoffentlich ist er jetzt die nächsten Jahre zusammen mit Dima und Dang die Stütze. Aber wir brauchen Nachwuchs.

Hast du während des Einzels gegen Anton Källberg schon an dein nahendes Karriereende gedacht?
Boll: Bei 7:9 habe ich mal kurz daran gedacht, dass es jetzt dem Ende entgegen gehen könnte. Ich habe trotzdem gekämpft und gebissen und mich nicht kampflos ergeben. Aber auch der Gedanke hat mich das Match leider nicht mehr drehen lassen. Es hat nicht mehr gereicht.

Was dachtest du, als du eine Zeitlang nach Spielende auf dem Stuhl an der Box gesessen hast, bevor die „Timo“-Sprechchöre losgingen?
Boll: Da war erst einmal eine gewisse Leere. Ich wusste gar nicht, wie ich mich verhalten soll. Es war eine neue Situation. Wir hatten verdient verloren, ich war erschöpft, enttäuscht und ratlos. Ich war irgendwie aber auch froh, dass es rum ist. Froh, nicht mehr diesen Druck verspüren zu müssen. Wir hatten uns alle so viel vorgenommen. Das hat mich die ganze Zeit innerlich beschäftigt. Es war eine schwere Nominierung, die ich auch gegenüber Patrick rechtfertigen wollte. Es hat leider nicht so geklappt, wie wir uns das alle vorgestellt hatten.

Wie viel hat es dir bedeutet, dass dein Freund Dirk Nowitzki heute in der Halle war?
Boll:
Es hat mich sehr gefreut, dass es Dirk heute in die Halle geschafft hat. Dass er mein letztes Spiel mitbekommen hat, ist natürlich toll und auch für ihn eine schöne Erinnerung. Er sagt schon, jahrelang: ‚Hör endlich auf!‘ Damit wir ein bisschen mehr zusammen unternehmen können. Ich habe lange widerstanden, aber jetzt ist es so weit.

Am 25. August hat dein Verein Borussia Düsseldorf schon den TTBL-Auftakt. Hast du trotzdem Zeit, jetzt ein bisschen frei zu machen?
Boll:
Eine Woche mache ich jetzt mit der Familie Ferien. Das ist nicht lange, aber das sind wir Tischtennisspieler gewohnt. Ich werde viel frei haben, wenn die Jungs international unterwegs sind. Ich kenne jetzt meinen Terminkalender. Darin ist viel Freizeit, auf die ich mich echt sehr freue. Ich will viel Zeit mit Familie und Freunden verbringen. Das Wohnmobil wird jetzt noch mehr genutzt.

Ein Jahr spielst du noch weiter in der TTBL, danach ist Schluss. Weißt du schon, wo und wie es für dich danach weitergeht?
Boll:
Ich brauche jetzt ein, zwei Jahre Ruhe, um den Kopf freizubekommen und in ein paar Sachen hineinzuschnuppern. Dann werde ich mich entscheiden, was mir Spaß macht, in welche Richtung es geht und wo ich gebraucht werde. Ob das im Tischtennis ist oder irgendwo anders, muss ich für mich selbst erst einmal herausfinden. Während meiner Karriere wollte ich mich darauf nie festlegen und war auch viel zu sehr Sportler. Ich lasse es gemütlich in der Bundesliga ausklingen und werde dann mal schauen.

Hast du, als du anfingst als Tischtennisprofi, jemals daran gedacht, dass du so lange und erfolgreich würdest spielen können?
Boll: Als meine Karriere angefangen hat, habe ich gedacht, dass mit Ende 20 Schluss ist und ich danach eine Ausbildung zum Bankkaufmann mache. Keine Ahnung, ob es dafür zu spät ist (Lacht.).

Du hattest gegen Ende deiner Karriere mit vielen Verletzungen zu kämpfen. Wie geht es dir jetzt eigentlich?
Boll:
Überraschenderweise geht es mir gerade körperlich viel zu gut um aufzuhören. Mein Körper hat wirklich gut durchgehalten, wofür ich ihm sehr, sehr dankbar bin. So konnte ich mich für die Olympischen Spiele brutal quälen. Ich habe sehr gelitten, aber im Nachhinein hat es viel Spaß gemacht, noch einmal mit den Athletiktrainern richtig hart zu arbeiten, auch im Training mit Rossi und mit meinen Jungs, sie zu fordern. Das hat sich bis heute richtig angefühlt. Über das Spiel bin ich natürlich schon ein bisschen enttäuscht, aber im Nachhinein kann ich ganz zufrieden sein, wie die letzten 25 Jahre gelaufen sind.

Weißt du schon, was du am meisten vermissen wirst?
Boll:
Ich werde sehr viel vermissen, vor allem das Miteinander in den Mannschaftswettbewerben. Mit Dima war ich 18 Jahre auf internationaler Tour unterwegs. Patrick Franziska war acht Jahre alt, als er bei mir zu Hause im Keller trainiert hat. Ich kenne die Jungs schon so lange. Sie sind wie eine kleine Familie, die ich heute verliere. Daher ist es auch ein bisschen emotional für mich.

Herren-Mannschaft
Viertelfinale
Deutschland  - Schweden 0:3
Boll/Qiu - Källberg/Karlsson 0:3 (-10,-8,-8)
Dimitrij Ovtcharov - Truls Möregardh 2:3 (-9,8,7,-8,-9)
Timo Boll - Anton Källberg 1:3 (-7,-9,7,-8)

Die weiteren Viertelfinalbegegnungen
Mittwoch, 10 Uhr: China - Südkorea
Mittwoch, 15 Uhr: Frankreich - Brasilien
Dienstag, 15 Uhr: Japan - Taiwan 3:1

Links

Weitere Infos

Damen-Team: Shan Xiaona (ttc berlin eastside / WR: 40, OT: 2016, 2020), Annett Kaufmann (SV DJK Kolbermoor / WR: 92, OT: -), Yuan Wan (TTC Weinheim / WR: 86, OT: -), verletzt ausgestiegen: Nina Mittelham (ttc berlin eastside / WR: 16, Olympia-Teilnahmen: -),
Herren-Team: Dang Qiu (Borussia Düsseldorf / Weltrangliste: 11, Olympia-Teilnahmen: -), Dimitrij Ovtcharov (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell / WR: 14, OT: 2008, 2012, 2016, 2020), Timo Boll (Borussia Düsseldorf / WR: 24, OT: 2000, 2004, 2008, 2012, 2016, 2020), Ergänzungsspieler: Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken-TT / WR: 9, OT: 2020).
Herren-Einzel: Dang Qiu, Dimitrij Ovtcharov
Damen-Einzel: Nina Mittelham, Xiaona Shan
Gemischtes Doppel: Dang Qiu/Nina Mittelham

ITTF-Nominierung Schiedsrichter
Olympia: Kerstin Duchatz (Herne)
Paralympics: Anja Gersdorf (Düsseldorf)

Die bisherigen 9 Medaillengewinne Deutschlands im Tischtennis
Gold: -
Silber: 4
Bronze: 5

1992, Barcelona
Silber Herren-Doppel: Steffen Fetzner/Jörg Roßkopf
1996, Atlanta
Bronze Herren-Einzel: Jörg Roßkopf
2008, Peking
Silber Herren-Mannschaft: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Christian Süß
2012, London
Bronze Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov
Bronze Herren-Mannschaft: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Bastian Steger
2016, Rio de Janeiro
Silber Damen-Mannschaft: Ying Han, Xiaona Shan, Petrissa Solja
Bronze Herren-Mannschaft: Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov, Bastian Steger
2020, Tokio
Bronze Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov
Silber Herren-Mannschaft: Timo Boll, Patrick Franziska, Dimitrij Ovtcharov


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