Halmstad. Das Traumfinale ist perfekt: In einem hochklassigen, an Dramatik kaum zu überbietenden Halbfinalkrimi ist Deutschland am Samstagabend in Halmstad mit einem 3:2-Erfolg über Südkorea in das Endspiel der Team-Weltmeisterschaften eingezogen. Nach 2004, 2010, 2012 und 2014 nimmt die Auswahl des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) zum fünften Male in einem Finale einen Anlauf zum Sieg über den favorisierten Titelverteidiger China, der sich am Vormittag mit 3:0 gegen Gastgeber Schweden durchsetzte. Seine erste Goldmedaille in Halmstad gewann das Reich der Mitte heute mit seinen Damen, die wie vor zwei Jahren in Kuala Lumpur im Endspiel Japan mit 3:1 auf Distanz hielten.
Südkorea fehlten nur zwei Punkte zum Sieg
In einer fast vierstündigen, nervenaufreibenden Partie setzte sich Deutschland in einer Neuauflage des olympischen Duells von Rio de Janeiro um die Bronzemedaille auch diesmal gegen die Auswahl Südkoreas durch. Die Asiaten drängten die Mannschaft von Jörg Roßkopf allerdings an den Rand einer Niederlage. Dem WM-Dritten Lee Sangsu fehlten bei einer 2:1-Führung für Südkorea im Duell der Spitzenspieler mit dem Weltranglistenzweiten Timo Boll sowohl im vierten Satz als auch im fünften Satz jeweils nur zwei Punkte zum Sieg. Doch Boll glich mit einem 13:11 im Entscheidungssatz die deutliche Niederlage Dimitrij Ovtcharovs gegen Jang Woojin zum 2:2 aus, nachdem er zuvor bereits Südkoreas Auftaktsieg von Lee über Patrick Franziska egalisiert hatte.
Dass der zweimalige World-Cup-Sieger, der gestern in der Runde der besten Acht gegen Brasilien wegen starker Probleme mit dem Ischiasnerv pausiert hatte überhaupt im Halbfinale an den Tisch trat, entschied sich erst 75 Minuten vor dem Match. Bundestrainer Jörg Roßkopf erklärte: „„Am Morgen habe ich noch nicht geahnt, dass wir in dieser Aufstellung gegen Korea spielen werden. Bei Patrick hatte es sich abgezeichnet, weil es seinem Oberschenkel besser ging. Bei Timo sah es hingegen schlecht aus mit seinem Ischias. Am Nachmittag kam er dann zu mir und hat gesagt, es ginge etwas besser, er würde es am Nachmittag beim Training vielleicht einmal versuchen. Das hat er dann getan und um 16.45 Uhr, also 75 Minuten vor dem Match, fiel die Entscheidung, dass er spielt.“ Beeindruckt zeigte sich Roßkopf dabei von der positiven Art und Weise, wie Ruwen Filus, der bis dahin mit seinem Einsatz gerechnet hatte, die kurzfristige Änderung aufnahm: „Das zeigt auch die Qualität dieser Mannschaft, die heiß ist, hier gut zu spielen und die unglaublich zusammenhält." Timo Boll ergänzt: „Um 15 Uhr war ich noch nicht in der Aufstellung drin, aber beim Einspielen hatte ich dann das Gefühl, dass es besser geht als vermutet. Für Ruwen hat uns das natürlich leidgetan – er hat uns ja mit seiner tollen Leistung gegen Brasilien auch erst in dieses Halbfinale gebracht. Aber am Ende haben wir alles richtig gemacht.“
Patrick Franziskas wichtigster Sieg
Zu den richtigen Entscheidungen Roßkopfs zählte auch, dem von seinen muskulären Problemen genesenen Patrick Franziska das Vertrauen zu schenken und ihn an Position zwei zu stellen. Gleich im ersten Einzel bot er trotz seiner Niederlage Lee Sangsu ein Match auf Augenhöhe, und bei 2:2 bewies der Saarbrücker, warum er in den vergangenen Monaten bis auf Position 30 in der Welt geklettert und bei den German Open das Halbfinale erreicht hatte. Im Duell mit Jeoung Youngsik, der im Auftaktmatch auch Timo Boll vor Probleme gestellt hatte, gelang dem Saarbrücker mit dem Siegpunkt zum 3:1 sein bislang wichtigster Einzelsieg im Nationaltrikot. Franziska: „Im letzten Match war ich erstaunlicherweise ruhig, gar nicht hektisch. Mein Gegner war anfangs sehr nervös, das legte sich dann aber auch bei ihm. Das war eine große Teamleistung, auch mit Ruwen und Basti auf der Bank. Es springt jeder für jeden ein. Wir sind eine gesamte Einheit und jetzt stehen wir da, wo wir vor dem Turnier auch mindestens stehen wollten.“
Keine Angst vor China
Franziska, der bei den German Open sein Halbfinalduell mit Doppel-Weltmeister Xu Xin nur knapp mit 2:4 verlor, gibt sich nach dem Halbfinalerfolg über Südkorea selbstbewusst: „Wir wollen China angreifen, und wir sind bereit, China anzugreifen. Wir werden versuchen, Druck aufzubauen und wollen den Schwung und das Selbstvertrauen mitnehmen, das wir uns mit vielen guten Ergebnissen in Halmstad und in den Monaten davor erspielt haben.“
Zunächst einmal gilt es aber, bis zum Sonntag zu regenerieren, bevor um 14.30 Uhr das Finale beginnt. Timo Boll: „Erstmal bin ich ganz schön platt aber auch sehr erleichtert. Die Koreaner haben heute wirklich super gespielt, aber morgen geht es weiter gegen China - das haben wir uns hart erarbeitet.“ Fraglich ist nach der Krankengeschichte des DTTB-Teams mit einem gereizten Ischiasnerv (Boll), einer im Match gegen Hongkong verhärteten Oberschenkelmuskulatur (Franziska) und einer hartnäckigen Entzündung des Oberschenkelhalses (Ovtcharov), wer überhaupt das Match gegen die nach der WM-Niederlage 2000 gegen Schweden achtmal erfolgreiche Auswahl Chinas bestreiten wird. „Morgen frühstücken wir, dann machen wir Mannschaftsbesprechung und ich werde fragen: Wer kann noch laufen? Wer dann aufsteht, ist in der Mannschaft“, scherzte Jörg Roßkopf nach dem Südkoreamatch.
China ist der Favorit
China, dessen Aufstellung mit Weltmeister Ma Long, dem Weltranglistenersten Fan Zhendong und Doppel-Weltmeister Xu Xin eindeutig festzustehen scheint, ist im Finale um 14.30 Uhr zweifellos der Favorit. Deutschland war zwar aufgrund der besseren Summe der Einzelspieler bei der WM-Auslosung Ende Februar die Nummer 1 im Nationen-Ranking, seit April bekleidet aber die Auswahlmannschaft aus dem Reich der Mitte wieder Position 1. Nichtsdestotrotz will Deutschland angreifen. Timo Boll: „Aber wir haben hier bislang eine gute WM gespielt und waren in den wichtigen Matches voll da. Wir werden deshalb versuchen, China angreifen. Natürlich sind sie der Favorit und haben bislang hier sehr souverän gespielt. Aber im Herbst 2017 haben wir ja einige Erfolge über chinesische Spieler verbuchen können, vielleicht haben sie das ja noch im Hinterkopf.“ Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf: „Viel besser als Südkorea heute gegen uns gespielt hat wird es auch China nicht gelingen. Wir müssen aber mindestens so gut wie heute spielen oder noch besser, wenn wir sie herausfordern wollen.“
Finale am Sonntag
Deutschland - China, 14:30 Uhr
Herren-Halbfinale
Deutschland - Südkorea 3:2
Patrick Franziska - Lee Sangsu 1:3 (-5,5,-8,-5)
Timo Boll - Jeoung Youngsik 3:1 (10,-10,4,5)
Dimitrij Ovtcharov - Jang Woojin 0:3 (-6,-5,-6)
Timo Boll - Lee Sangsu 3:2 (-9,8,-3,11,10)
Patrick Franziska - Jeoung Youngsik 3:1 (6,8,-4,9)
China - Schweden 3:0
Ma Long - Mattias Karlsson 3:0 (6,5,11)
Fan Zhendong - Kristian Karlsson 3:1 (11,-8,3,2)
Xu Xin - Jon Persson 3:0 (6,11,5)
Damen-Finale
China - Japan 3:1
Liu Shiwen - Mima Ito 2:3 (-9,8,5,-8,10)
Ding Ning - Miu Hirano 3:0 (6,10,11,)
Zhu Yuling - Kasumi Ishikawa 3:0 (4,7,8,)
Liu Shiwen - Miu Hirano 3:0 (6,6,10)
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