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Toller Auftritt der 19-jährigen Mia Griesel, die ihrer erfahrenen Penholder-Gegnerin Fu Yu im Entscheidungssatz keinen Stich mehr ließ (Bild: Dr. Stephan Roscher).
Wahnsinnsspiel des Hauptstadtklubs in Polen - Triumph im Golden Match

ttc berlin eastside stößt Titelverteidiger vom Sockel und zieht ins Champions-League-Finale ein

Dr. Stephan Roscher 26.04.2025

Tarnobrzeg. Nach der 1:3-Hinspiel-Niederlage und dem verletzungsbedingten Ausfall von Nina Mittelham fuhr der ttc berlin eastside als krasser Außenseiter zum Halbfinal-Rückspiel der Champions League nach Polen zum Titelverteidiger Tarnobrzeg. Doch wie heißt es so schön: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! Aufgrund einer sensationellen Leistung hochverdient, gewannen die Hauptstädterinnen das Rückspiel mit 3:0 und das anschließende Golden Match mit 2:0 und haben nun im Finale die große Chance, zum sechsten Mal in der Vereinsgeschichte Europas Thron zu besteigen.

Das Unmögliche möglich gemacht: Klasseleistung von Shan, Surjan und Griesel

Seien wir ehrlich: Fast alles sprach vor dem Rückspiel im Halbfinale der Champions League beim Titelverteidiger gegen den ttc berlin eastside. Eine 1:3-Niederlage in eigener Halle war auszubügeln, zudem der verletzungsbedingte Ausfall von Weltklassespielerin Nina Mittelham irgendwie zu kompensieren. Doch die Hauptstädterinnen präsentierten sich in Polen beim Königsklassen-Gewinner der letzten drei Jahre wie aus einem Guss, mit einer Entschlossenheit und Fokussierung, wie es nur selten gelingt. Anders formuliert: Wer vor der Partie nicht wusste, was das ominöse Sieger-Gen sein soll, wusste es danach zu 100 Prozent, sofern er die denkwürdige Partie live miterlebt hatte.

Dermaßen mit dem Rücken zur Wand zu stehen und dem in noch stärkerer Besetzung als im Hinspiel angetretenen Gegner von fünf Matches nicht ein einziges zu überlassen – das war mehr als nur spektakulär, es war ohne Übertreibung eine grandiose Leistung, ein toller Auftritt, wie er nur ganz, ganz selten gelingt. Zwölf Sterne von zehn möglichen – klingt absurd, doch genau so war es an diesem ereignisreichen Freitagabend in Tarnobrzeg.

Es war genau jene unfassbar starke, geschlossene Teamleistung, die wir im Vorbericht geradezu beschworen haben – im Wissen, dass etwas Außergewöhnliches passieren musste, um das Ding noch zu rocken. Besser kann sich eine Mannschaft nicht präsentieren. Und diesmal traf man, im Gegensatz zum Hinspiel, sogar die Aufstellung des Gegners richtig gut, ja geradezu perfekt.

Shans Auftaktsieg als Türöffner

Das Auftaktmatch von Shan Xiaona gegen ihre Nationalmannschaftskollegin Han Ying passte schon einmal optimal, da Shan sehr gut und sicher gegen Abwehr agiert und das Spiel von Han aus dem Effeff kennt. Dennoch gewinnt man ein solches Match natürlich nicht im Schlaf: Berlins Penholder-Ass konnte eine 2:0-Satzführung vorlegen, ihre Gegnerin kam danach mächtig auf, konnte jedoch den 3:1-Erfolg der Berlinerin nicht verhindern, die heute viel besser aufgelegt war als im Hinspiel. Dieser Sieg war eine Art Türöffner, denn er zeigte dem Gästeteam, dass tatsächlich etwas gehen könnte in der „Höhle des Löwen“.

Surjan verdirbt Samara den Abend

Doch zunächst einmal musste Sabina Surjan gegen die Rumänin Elizabeta Samara bestehen, Tarnobrzegs beste Spielerin beim ersten Duell vor vier Wochen. In der Weltrangliste steht Samara fast 100 Plätze vor Surjan, doch liegt ihr das Spiel der 25-jährigen Linkshänderin aus Serbien nicht sonderlich gut, was sich auch diesmal bestätigte. Zwar ging der erste Satz noch deutlich an Samara, doch dann fand Surjan immer besser ins Match hinein und bog das Spiel mit 3:1 noch recht deutlich zu ihren Gunsten um.

Griesel lässt erfahrenes Penholder-Ass alt aussehen

2:0 für Berlin, nun schien alles möglich, doch die junge Mia Griesel, die sich zu Saisonbeginn gewiss nicht hätte träumen lassen, dass sie einige Monate später im Halbfinale der Champions League spielen würde, musste gegen Tarnobrzegs erfahrenste Spielerin, die portugiesische Penholder-Spezialistin Fu Yu, an den Tisch. In der Theorie eine kaum lösbare Aufgabe. Doch nur in der Theorie. Griesel, die in letzter Zeit zahlreiche Glanzlichter in der Bundesliga gesetzt hatte, spielte einfach ihr Spiel und suchte unbekümmert ihre Chance gegen die in China geborene 46-Jährige. Und die erhielt sie. Zwar ging der Eröffnungssatz mit 7:11 verloren, doch dann war die 19-jährige Jungnationalspielerin des DTTB auf voller Betriebstemperatur und entschied die Durchgänge zwei und drei knapp zu ihren Gunsten. Ihre Gegnerin egalisierte und die polnischen Fans glauben, dass Fu Yu im Entscheidungssatz die junge Deutsche überrollen würde. Doch das Gegenteil war der Fall, die routinierte Favoritin wurde immer nervöser, während Griesel erstaunlich unaufgeregt und hoch fokussiert blieb und ihrer Gegnerin in dem entscheidenden Kurzsatz nur einen einzigen Punkt überließ. Wahnsinn: 3:0, das Golden Match war erreicht!

Auch im Golden Match: Aufstellung perfekt getroffen, eastside-Asse in Galaform

Und dann begann das Pokerspiel um die Aufstellung erneut und abermals traf Berlin voll ins Schwarze. Surjan durfte wieder gegen Samara an den Tisch und Shan erneut gegen Han. Folglich hätte auch Griesel wieder gegen Fu spielen müssen, wenn es zum dritten Match gekommen wäre. Der Tischtennisgott schien an diesem Abend wahrlich Berliner zu sein.

Zunächst einmal war freilich nur die Aufstellung des Gegners zum zweiten Mal perfekt getroffen, doch die Aufstellung ist die eine Sache, es aber in der Drucksituation des Golden Matchs, in dem jeweils ein einziger Satz alles entscheidet, umzusetzen, eine andere. Doch auch das funktionierte mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks und die Gesichter der Zuschauer wurden lang und länger.

Zudem flatterten beim Gegner nun die Nerven, die Angst, das vor der Partie schon sicher Geglaubte nun zu verlieren, war spürbar. Der ttc eastside dagegen hatte nur etwas zu gewinnen. Surjan und Shan zeigten gar keine Nervosität und blieben hoch konzentriert, sodass fast folgerichtig beide Matches recht deutlich gewonnen wurden – Surjan besiegte Samara mit 11:6, Shan Han gar mit 11:4 -, sodass das dritte Match gar nicht mehr gespielt werden musste. Ein sensationeller Coup war geglückt und es durfte ausgelassen gefeiert werden.

„Chance von einem Prozent zu 100 Prozent genutzt“: Berliner Stimmen zum Halbfinal-Triumph

Im Hinblick auf die strategischen Herausforderungen, vor denen man stand, erklärte Sabina Surjan: „Ich denke, Tarnobrzeg hat im Hinspiel sehr clever gespielt. Sie haben Ying Han auf die dritte Position gesetzt, um gegen mich zu spielen. Außerdem spielt Samara immer hervorragend gegen Shan, sodass unser Team große Probleme hatte.“ Doch das war ja nicht alles. „Schon vor dem Start waren wir in einer schlechten Position, da wir verletzungsbedingt ohne Nina Mittelham spielen mussten“, so Surjan weiter. „Wir hatten zu Hause 1:3 verloren und wussten, dass wir 3:0 oder 3:1 gewinnen mussten, um überhaupt die Chance zu bekommen, ins Golden Match zu kommen.“ Doch man habe, mit dem Rücken zur Wand stehend, eine sensationelle Leistung geboten. Surjan lässt das Geschehen Revue passieren: „Im Eröffnungsspiel zeigte Shan eine hervorragende Leistung – es war ein fantastisches Spiel. Ich hatte keinen guten Start und verlor den ersten Satz gegen Samara mit 5:11, aber dann steigerte ich mich, passte mich ihrem Niveau an und konnte die Kontrolle übernehmen. Mia Griesel war absolut fantastisch. Sie musste fünf Sätze absolvieren, konnte aber gewinnen und so eine sehr gefährliche Situation verhindern, in der das Spiel noch über die volle Distanz hätte gehen können. Und im Golden Match hatten Shan und ich nochmal dieselben Gegnerinnen, auf die wir uns vorher ja schon gut eingestellt hatten, und es lief perfekt. Wir sind sehr, sehr glücklich!“.

„Objektiv betrachtet hatten wir vor dem Spiel eine Chance von einem Prozent, tatsächlich den Sprung ins Finale zu schaffen. Dieses eine Prozent haben wir im Match dann aber zu 100 Prozent genutzt“, so Surjans strahlende Teamkollegin Shan. „Anders als im Hinspiel haben wir alles optimal getroffen, zuerst die Aufstellung genauso, wie wir es gehofft hatten. In den einzelnen Begegnungen haben wir drei dann perfekt geliefert. Ganz großes Kompliment an Mia, wie sie gegen Fu Yu gespielt und die Nerven behalten hat. Im fünften Satz eine Fu Yu mit 6:1 zu dominieren, muss man als 19-Jährige erst einmal schaffen. Im Moment sind wir überglücklich. Heute Abend wird gefeiert, morgen ausgeschlafen und ab Sonntag bereiten wir uns auf die Play-offs gegen Kolbermoor vor.“

Abschließend das Urteil von Manager Andreas Hain: „Ich hatte doch gesagt, wenn wir die richtigen Matches treffen, dann haben wir auch mit dieser Mannschaft eine Chance. Wie haben lange überlegt und hatten immer gewusst, dass wir nur in dieser Konstellation gewinnen können. Sabina hat gegen Samara bisher immer gewonnen und Nana gewinnt auch normal immer gegen Han Ying. Mia hatte einmal 0:4 gegen Fu Yu verloren, aber alle Sätze waren damals knapp. Wir wollten Tarnobrzeg mit 2:0 unter Druck setzen und so auch Fu Yu, die nicht so nervenstark ist, den höchstmöglichen Druck mitgeben. Das hat Mia dann gnadenlos ausgenutzt. Kompliment! Im Golden Match haben wir spekuliert, dass Han Ying nicht wieder auf eins spielt und haben es dann erneut top getroffen. Also lief wirklich alles, wie wir es erhofft hatten. Die Mannschaft hat ohne Ausnahme abgeliefert und der ttc eastside hatte wieder einmal eine Sternstunde in der Champions League! Jetzt freuen wir uns auf die Finalspiele und hoffen, dass Nina bis dahin fit wird. Aber auch ohne Nina ist bei uns immer alles möglich!“.

Finalgegner kommt aus Frankreich

Tarnobrzeg hatte in den Jahren 2019, 2022, 2023 und 2024 Europas Königsklasse gewonnen. 2022 bezwangen die Polinnen im Finale eben jenen ttc eastside, gegen den sie nun ausgeschieden sind. Berlin hat bereits fünfmal die Champions League gewonnen – 2012, 2014, 2016, 2017 und 2021. Gelingt nun der große Coup mit dem sechsten Titelgewinn, kann man vier Jahre nach dem letzten großen Triumph erneut Europas Thron besteigen? Doch erst einmal muss man die beiden Endspiele überstehen. Die beiden möglichen Gegner aus Frankreich gelten zwar nicht als ganz so stark wie Tarnobrzeg, doch so gut wie heute in Polen kann auch der ttc berlin eastside nicht alle Tage spielen. Und ob Nina Mittelham bis dahin wieder zur Verfügung stehen wird, ist auch offen. Im Finale trifft das Team aus der Haupstadt jedenfalls auf den Sieger des anderen Halbfinales zwischen Metz TT und Saint-Quentin TT. Das Hinspiel endete mit einem knappen 3:2-Heimsieg für Saint-Quentin, das Rückspiel in Metz findet am 28. April statt. In drei Tagen wissen wir folglich, wie Berlins Finalgegner heißt.
 

Halbfinal-Rückspiel

KTS ENEA SIARKOPOL Tarnobrzeg – ttc berlin eastside 0:3

  •     Ying HAN – Xiaona SHAN 1:3 (7:11, 7:11, 11:7, 10:12)

  • Elizabeta SAMARA – Sabina SURJAN 1:3 (11:5, 7:11, 7:11, 8:11)

  • Fu YU – Mia GRIESEL 2:3 (11:7, 11:13, 9:11, 11:7, 1:6)

 

Golden Match

KTS ENEA SIARKOPOL Tarnobrzeg – ttc berlin eastside 0:2

  •     Elizabeta SAMARA – Sabina SURJAN 6:11

  • Ying HAN – Xiaona SHAN 4:11

 

Halbfinal-Hinspiel (28.03.)

ttc berlin eastside – KTS ENEA SIARKOPOL Tarnobrzeg 1:3

  •     Nina MITTELHAM – Natalia BAJOR 3:1 (6:11, 14:12, 11:5, 11:9)

  • Xiaona SHAN – Elizabeta SAMARA 1:3 (5:11, 9:11, 11:7, 3:11)

  • Sabina SURJAN – Ying HAN 0:3 (4:11, 6:11, 6:11)

  • Nina MITTELHAM – Elizabeta SAMARA 2:3 (11:9, 7:11, 11:8, 3:11, 4:6)

 

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