Erfurt. Sie war das Gesicht der Deutschen Tischtennis-Finals: Annett Kaufmann prangte auf Plakaten in der Messe Erfurt und rundherum, zierte Bushaltestellen und digitale Schautafeln – mal allein, mal an der Seite von Lokalmatador Steffen Mengel. Wo sie in der Halle live auftauchte, war sie von einem Schwarm Fans umgeben. Selbst im VIP-Raum blieb sie nicht ungestört. So gab sie drei Tage lang in den Spielpausen geduldig Autogramme und posierte für Selfies, bis auch der letzte Wunsch erfüllt war.
Die 18-jährige Jugend-Weltmeisterin betont gern, sie konzentriere sich auf sich selbst und den Wettkampf. Doch vermag sie die Erwartungen von außen nicht völlig ausblenden. „Ich versuche, mich davon nicht beeinflussen zu lassen“, sagt sie. Erst nach dem Turnier sei ihr bewusst geworden, welche Last sie getragen habe. „Es ist der eigene Druck, die Erwartung von anderen – ein Gemisch aus vielen Faktoren, die es einem schwer machen“, erklärt die Einser-Abiturientin und Team-Olympia-Vierte von Paris. „Man sieht die Werbung, überall hängen Plakate. Und natürlich will man das Turnier gewinnen. Ich bin froh, dass ich diese Situation meistern konnte.“
Kaufmanns Rollenwechsel: Von der Jägerin zur Gejagten
Oft heißt es im Sport, der schwerste Titel sei nicht der erste, sondern der zweite. Wer einmal gewonnen hat, hat zwar bewiesen, dass er es kann – doch mit dem Erfolg steigen nicht nur die Erwartungen, sondern auch der Widerstand. Titelverteidiger tragen das Gewicht des eigenen Anspruchs und werden zur Projektionsfläche der Konkurrenz. Aus Jägern werden Gejagte. Der freudige Triumph wird zur stressigen Dauerprüfung.
So ähnlich war es auch für Annett Kaufmann. Die Wiederholung ihres Vorjahreserfolgs, als sie in Erfurt ihren ersten Einzeltitel bei den Deutschen Meisterschaften gewann, war ihr persönlich fast wichtiger als die Premiere. Als Außenstehender bemerkte man das erst, nachdem sie den Matchball zum 4:1-Sieg gegen Nationalteamkollegin Sabine Winter verwandelt hatte. Kaufmann hatte Tränen in den Augen. Tränen der Rührung, vor allem aber wohl der Erleichterung.
Noppen und Anti: kein Horror, sondern unterhaltsames Strategiespiel
Trotz ihrer 18 Jahre war es bereits die siebte DM-Teilnahme. Ihr nationaler Einstand bei den Damen waren die Abschiedsspiele Timo Bolls in Wetzlar 2019. In Bremen 2021 holte sie als 14-Jährige Bronze und wiederholte diesen Erfolg ein Jahr darauf in Saarbrücken. Zweimal in sieben Anläufen war es Sabine Winter, die edleres Metall bei Deutschen Meisterschaften verhinderte: 2022 unterlag Kaufmann der zehnfachen Deutschen Meisterin in der Vorschlussrunde, 2023 im Finale von Nürnberg vor ausverkauftem Haus bei Winters bayerischen Heimspielen. Noch im Januar setzte es eine Niederlage in der Bundesliga im Vereinsduell zwischen Dachau und Kolbermoor. Am Vormittag vor dem Finale in der Messe Erfurt hatte Kaufmann an der Seite von Yuan Wan im Doppel-Halbfinale ein 1:3 gegen Sabine Winter und Kathrin Mühlbach kassiert, die Deutschen Meisterinnen von 2010.
Beide letzten Male verlor „Swiftie“ Kaufmann gegen die neue Sabine Winter, die mit ihrem Anti-Topspin-Belag auf der Rückhand nun noch variantenreicher spielt. Kaufmann liegt das Spiel gegen Material eigentlich. Hatte doch der erste und prägende Trainer ihrer Kindheit, Momcilo "Mozza" Bojic in Bietigheim-Bissingen, sie nicht nur als gebürtige Rechtshänderin zur Tischtennis-Linkshänderin ausgebildet, sondern außerdem darauf geachtet, dass sie frühzeitig das Spiel gegen Noppen verschiedener Länge und gegen Anti nicht als Horror, sondern als unterhaltsames Strategiespiel empfindet. Im Einzel-Endspiel der TT-Finals stellte sie dieses Können unter Beweis. Nach klar verlorenem ersten Durchgang (4:11) war der Kaufmann-Express in der Spur (7,7,4,8).
„Ich bin gegen Sabine schon oft rausgeflogen, ob im Halbfinale oder Finale. Und es ist klar, dass es für mich gegen sie nie ein leichter Erfolg werden wird“, sagt Kaufmann überzeugt. „Auch deshalb ist es heute ein besonders schöner Erfolg für mich.“
Wichtiger als der Pokal: „Dass ich solche Drucksituationen üben kann“
Zwar freut sie sich, den Agnes-Simon-Wanderpokal für ein weiteres Jahr behalten zu dürfen. Wichtiger waren ihr jedoch ihre Fortschritte seit dem verlorenen Finale in Nürnberg. „Ich habe mich spielerisch stark weiterentwickelt, vor allem aber mental“, erklärt die Team-WM-Dritte von 2022. Entscheidend sei auch der Umgang mit den eigenen Erwartungen. „Ich bin froh, dass ich solche Drucksituationen üben kann. Damit umzugehen, kann man nur durch Erfahrung lernen – nicht im Training, nicht theoretisch. Man muss diese Situationen durchleben. Manchmal endet es positiv wie jetzt, manchmal negativ wie bei der WM, wo ich 2:4 verloren habe“, sagt sie mit Blick auf ihre Niederlage gegen die Nummer drei der Welt, Chen Xingtong aus China.
In der Stadt, in der Annetts Vater Andrej seine erste Saison als Eishockey-Profi in Deutschland absolviert, bei den ESC Erfurt BlackDragons, schreibt die Tischtennis-Hochbegabte ihre persönliche Sportgeschichte fort. Annett Kaufmann kam als Titelverteidigerin – und geht als gereifte Spielerin. Eines der vielen Plakat in der Messe hat Annett Kaufmann übrigens selbst eingesteckt. Das bekommt ihre Oma.
Damen-Einzel, Halbfinale
Annett Kaufmann - Sophia Klee 4:0 (8,8,2,9)
Yuan Wan - Sabine Winter 1:4 (-8,-7,9,-9,-5,)
Finale
Annett Kaufmann - Sabine Winter 4:1 (-4,7,7,4,8)
Damen-Doppel, Halbfinale
Kathrin Mühlbach/Sabine Winter - Annett Kaufmann/Yuan Wan 3:1 (10,9,-5,5)
Koharu Itagaki/Josephina Neumann - Mia Griesel/Lorena Morsch 3:0 (7,11,11)
Finale
Kathrin Mühlbach/Sabine Winter - Koharu Itagaki/Josephina Neumann 3:2 (5,-7,-7,8,7)
Herren-Einzel, Halbfinale
Kay Stumper - Wim Verdonschot 4:2 (-7,3,-8,11,11,6)
Fanbo Meng - Alexander Flemming 4:0 (7,5,7,6)
Finale
Kay Stumper - Fanbo Meng 4:3 (7,-7,10,-18,8,-8,9)
Herren-Doppel, Halbfinale
Andre Bertelsmeier/Wim Verdonschot - Daniel Rinderer/Tom Schweiger 3:2 (-8,10,8,-4,7)
Matthias Danzer/Alexander Flemming - Kirill Fadeev/Torben Wosik 3:1 (-6,3,10,7)
Finale
Andre Bertelsmeier/Wim Verdonschot - Matthias Danzer/Alexander Flemming 3:0 (6,8,7)
Über die Deutschen Tischtennis-Finals
Die TT-Finals in Thüringens Landeshauptstadt vom 6. bis 9. Juni sind einer der Höhepunkte im nationalen Tischtenniskalender – wer live dabei ist, erlebt die Deutschlands Asse in einer mitreißenden Atmosphäre bei Damen und Herren - darunter Jugend-Weltmeisterin Annett Kaufmann und die WM-Viertelfinalistinnen Sabine Winter und Yuan Wan -, Jugend 15 und Jugend 19, Seniorinnen und Senioren sowie die Aktiven in den Leistungsklassen. Am langen Pfingstwochenende spielen in der Messe Erfurt 1.000 Aktive bei dieser Multi-DM um die Titel.
Infos und Ticket für 2025
Turnier-Website: TT-Finals.de