Frankfurt/Main. „Die Titelverteidigung ist immer schwieriger, als den ersten Titel zu gewinnen.“ Dang Qiu, der vor zwei Jahren wie ein Komet in die Weltspitze emporstieg und bei den Europameisterschaften in München seinen erstes Einzelgold holte, weiß sechs Tage vor Beginn der nächsten Individual-Titelkämpfe in Linz (15. bis 20. Oktober) nur zu gut, wie steinig der Weg zur Wiederholung seines Erfolgs in Oberösterreich werden wird: „Mit Felix Lebrun, Truls Möregardh, Dima Ovtcharov, Patrick Franziska, Darko Jorgic und all den anderen starken Spielern hinten dran sind zusammen mit mir unfassbar viele gute Leute am Start.“
Nina Mittelham hingegen, vor zwei Jahren erst im Finale gegen die Österreicherin Sofia Polcanova durch eine beim Einspielen zugezogene Verletzung auf dem Weg zu Gold gestoppt, reist mit vollkommen anderen Zielsetzungen als Dang Qiu zur EM. Nach ihren Bandscheibenproblemen bei den Olympischen Spielen in Paris bestreitet die Europameisterschaftszweite von München in Linz ihr erstes internationales Turnier seit drei Monaten. Sie erklärt: „Das Wichtigste ist für mich, dass ich schmerzfrei bin.“
Der Düsseldorfer und die Berlinerin bereiten sich in dieser Woche mit dem Nationalteam im Deutschen Tischtenniszentrum auf die Titelkämpfe vor. Der Deutsche Tischtennis-Bund (DTTB) wird mit einem 14-köpfigen Aufgebot nach Linz reisen. Je fünf Damen und Herren bilden das bei der EM für die Nationen übliche Kontingent. Die weiteren vier Startplätze verdienten sich deutsche Nachwuchsasse bei kontinentalen U21-Titelkämpfen.
Gespielt wird bei den Europameisterschaften um die Titel im Einzel, Doppel und Mixed. Mit welchen Erwartungen die die deutschen Weltklasseathleten und die DTTB-Talente Anfang der nächsten Woche nach Österreich reisen, verrieten die 14 DTTB-Starter sowie die verantwortlichen Trainer im Rahmen der der EM-Vorbereitung.
Dang Qiu und Nina Mittelham führen EM-Aufgebot an
Richard Prause, DTTB-Sportdirektor
Schon fast traditionell war Deutschland in der Vergangenheit bei Europameisterschaften sehr erfolgreich. So gab es zuletzt in München Gold im Einzel für Dang Qiu, Silber für Nina Mittelham und zweimal Bronze für Sabine Winter und Xiaona Shan. Wie lautet die Zielsetzung für die EM 2024?
„Wir wissen, dass solch außergewöhnliche Resultate nur zustande kommen, wenn alle Konstellationen perfekt zusammenpassen. Das ist aber leider eher selten der Fall. In Linz treffen wir auf eine immer ausgeglichener werdende Konkurrenz, wie auch die Ergebnisse der letzten Team-EM, der Team-WM und der Olympischen Spiele gezeigt haben. Wir freuen uns auf die spannenden Vergleiche mit Topspielern wie Frankreichs Stars Felix und Alexis Lebrun sowie mit Schwedens Ass Truls Möregardh. Diese hochkarätigen Duelle mit immer wieder offenem Ausgang sind gut für den Tischtennissport. Trotz der immer stärker werdenden Konkurrenz bin ich aber optimistisch, dass wir in Linz sowohl bei den Damen als auch bei den Herren ein Wort bei der Medaillenvergabe mitreden. Gleichzeitig bin ich sehr gespannt darauf zu sehen, wie unsere Nachwuchsspieler sich bei ihrer ersten EM im internationalen Vergleich behaupten.“
Dang Qiu, Titelverteidiger
In Macau hast du im September als erster Europäer das Endspiel eines WTT-Champions-Turniers erreicht, musstest aber wenige Wochen später den China Smash wegen Rückenproblemen absagen. Wie geht es dir aktuell und wie ist die Form?
„Die Auszeit, die ich durch die Absage des China Smash bekommen habe, konnte ich nutzen. Ich habe mich auskuriert und aktuell geht es mir wieder gut. Ich hoffe nun, dass ich mich dementsprechend gut für die Europameisterschaften vorbereiten kann. Die Form im Training ist gut, auch wenn die Strapazen des vollen Terminkalenders mit seinen vielen Reisen immer Spuren der Müdigkeit hinterlassen. Aber davon abgesehen, ist die Form ganz in Ordnung.“
Bei den Europameisterschaften in München bist du bei Deinem ersten Einzelstart auf Anhieb Europameister geworden. Den Titel zu verteidigen gilt als noch schwerer. Mit welchen Erwartungen reist du nach Linz?
„Die Titelverteidigung ist in der Tat immer schwieriger, als den ersten Titel zu gewinnen. Mit Felix Lebrun, Truls Möregardh, Dima Ovtcharov, Patrick Franziska, Darko Jorgic und allen anderen Spielern hinten dran sind zusammen mit mir unfassbar viele gute Leute am Start. Vor allem Felix und Truls starten nach ihren olympischen Einzelmedaillen mit breiter Brust. Die Bandbreite an Spielern, die Europameister werden können, ist in Linz extrem groß. Es ist vielleicht eine der stärksten Europameisterschaften, die es je gegeben hat. Deshalb hoffe ich, dass ich eine gute Vorbereitung haben werde.“
Der Terminplan im Tischtennis ist voll. Wie gezielt hast du dich auf das Unternehmen Titelvorbereitung vorbereiten können?
„Der immer schon volle Terminplan ist in den letzten Jahren noch viel voller geworden. So haben wir beispielsweise in der Woche vor der EM neben der Vorbereitung auch noch zwei TTBL-Spiele. Das ist natürlich alles nicht optimal für uns Spieler. Wir bestreiten deshalb fast jedes Turnier ohne gezielte Vorbereitung, was eigentlich katastrophal ist. Durch die vielen Wettkämpfe bleiben Erholungsphasen ebenso wie richtige Trainingsphasen weitgehend aus. Das ist weder besonders gesund noch niveausteigernd. Mittlerweile haben wir zwar viel Erfahrung damit und machen das Beste daraus, aber es ist natürlich keine gute Entwicklung. Ich persönlich würde mir wünschen, wenn wir mehr Zeit für das Training hätten.“
Patrick Franziska, Saudi-Smash-Finalist und die Nummer 12 der Welt
Bei Europameisterschaften war deine beste Platzierung im Einzel bisher Rang drei im Jahr 2018. Dass du auch große Titel kann, hat man aber 2021 beim Gewinn des Europe Top 16 gesehen. Ist die Zeit diesmal reif für den Europameistertitel?
„Das ist schwer zu sagen. Wir spielen so viele Turniere, dass man erst einmal schauen muss, in welcher Form man überhaupt anreist. Ich will natürlich sehr weit kommen – das muss auch mein Anspruch sein. Es gibt in Linz wohl so viele Spieler wie selten zuvor, die Europameister werden können. Ich schaue ganz klassisch von Runde zu Runde. Natürlich will ich aber auf jeden Fall dieses Mal im Einzel und auch Mixed angreifen. Mal sehen, wie es dort mit Annett läuft. Wir spielen ja zum ersten Mal zusammen und müssen uns durch die Qualifikation boxen. Meine Ziele für diese EM sind jedenfalls hoch gesteckt.“
Orientiert man sich an der Weltrangliste, ist 2024 dein bestes Jahr. Gute Ergebnisse, darunter Platz zwei beim Grand Smash in Saudi Arabien, haben dich bis auf Platz neun katapultiert. Was hat den nochmaligen Schub nach vorne bewirkt?
„Es war das beste, aber auch emotional das schwierigste Jahr, an dass ich mich in meiner Karriere erinnern kann. Manchmal war ich selbst überrascht, wie gut ich spielen kann. Es kommen ja immer viele Faktoren zusammen. Ich habe inzwischen besser gelernt, im Wettkampf alles um mich herum auszublenden. Auch habe noch weiter an meiner Rückhand gearbeitet, die nun fast immer sehr gut funktioniert. Ich bin zudem verletzungsfrei geblieben und hatte wenige Unterbrechungen, die ich nicht selbst steuern konnte. Diese Dinge zusammen, denke ich, sind der Schlüssel für den Erfolg. Ich bin auf jeden Fall sehr stolz darauf, dass ich es in diesem Jahr erstmals bis unter die Top Ten auf der Welt geschafft habe.“
Dimitrij Ovtcharov, je zweimal Europameister und Olympiadritter
Bei den Olympischen Spielen musstest du dich nur hauchdünn Frankreichs Superstar Felix Lebrun beugen. Beim China Smash war die Form gut, aber ein Infekt hat dich gestoppt. Wie fit reist du zur EM?
„Ich bin seit einigen Monaten gut in Form. Bei Olympia habe ich nur gegen Felix Lebrun und Truls Möregardh, zwei der dominierenden Spieler des Turniers, knapp verloren. Beide Partien hätte ich auch gewinnen können. In der Bundesliga bin ich mit 9:0 in die Saison gestartet, beim China Smash ist mir, leicht angeschlagen von einem Infekt, nach einer guten Leistung erst am Ende gegen den starken Chinesen Zhou Qihao etwas die Luft ausgegangen. Insgesamt ist mein Tischtennis also sehr gut im Moment.“
Du warst 2013 und 2015 Europameister, hast 2020 im Finale gegen Timo gestanden und gehörst auch jetzt wieder zum allerengsten Kreis der Titelanwärter. Wie gut stehen die Chancen auf den dritten Titelgewinn?
„Ich freue mich auf die EM. Es wäre etwas ganz Besonderes, wenn ich nach meinen beiden Erfolgen im Einzel den Titel noch ein drittes Mal schaffen könnte. Es gibt natürlich viele Spieler, die auf den Titel schielen. Felix und Alexis Lebrun, meine Teamkollegen Dang und Patrick, Darko Jorgic, einige Schweden. Auch ich zähle mich zum Favoritenkreis, aus dem . außer mir und Dang noch niemand den Titel gewonnen hat. Deshalb versuche ich meine gute Form mitzunehmen und das Turnier zu genießen. Es wäre großartig, es noch einmal zu schaffen. Aber den Druck in Linz sehe ich nicht bei mir. Den überlasse ich den anderen.“
Benedikt Duda, Deutscher Meister 2024 und 2021
Nach einer mehrwöchigen Pause wegen einer Knorpelverletzung im Knie im Sommer hattest du nur wenig Zeit für einen gezielten Wiederaufbau, sondern musstest früh wieder an den Tisch. Nun kommst du wieder besser in Schwung. Wie weit bist du derzeit noch von seiner Bestform entfernt?
„Das weiß ich momentan selbst nicht genau. Im Training fühlt es sich schon alles ganz gut an. Ich hoffe, die Zeit läuft für mich, um genau dann in Topform zu sein, wenn bei den Europameisterschaften der erste Ballwechsel gespielt wird.“
Im Einzel bist du in der Lage, jeden Europäer zu schlagen. Das gilt uneingeschränkt auch für das Doppel mit Dang Qiu. Ihr habt zwar seit der WM in Durban nicht mehr zusammengespielt, kennt euch als sechsmalige Deutsche Meister aber in- und auswendig: Wie konkret ist der Traum vom Europameistertitel?
„Dang und ich wir harmonieren im Doppel sehr gut. Wir haben zwar jetzt länger keine internationalen Turniere mehr gemeinsam bestritten. Aber wir bereiten uns im Training akribisch und gezielt auf die EM vor. Dann werden wir von Runde zu Runde schauen. Das Niveau, um ganz vorne mitzuspielen, haben wir. Aber am Ende zählt gegen die starke Konkurrenz die Tagesform. Deshalb werden wir versuchen, in Linz bei hundert Prozent zu sein.“
Fanbo Meng, ehemaliger Jugend-Europameister mit dem Team
Hinter den vier deutschen Topstars gab es durchaus mehrere Anwärter auf den fünften Platz im Aufgebot. Wie groß ist deine Freude über die erste EM-Nominierung bei den Herren und mit welchen Erwartungen reist du nach Linz?
„Ich freue mich riesig über meine Nominierung. Das ist etwas ganz Großes für mich. Besonders auch deshalb, weil es ja meine ersten Europameisterschaften sind. Dazu noch ist es eine Einzel-EM, bei der ich also auch in jedem Fall meine Spiele bestreite. Ich trainiere hart und versuche, gut vorbereitet in Linz anzutreten. Wahrscheinlich muss ich in die Qualifikation. Ich schaue dann von Spiel zu Spiel, ohne mir zu viel Druck zu machen. Meine Vorfreude auf die EM ist in jedem Fall sehr groß.“
Andre Bertelsmeier, U21-EM-Dritter und Zweiter des Europe Youth Top10
Du bist erst 18 Jahre alt und hast dir als Dritter der U21-EM einen der wenigen direkten Startplätze der Europäischen Tischtennis-Union verdient, vergangenen Sonntag wurdest Du beim Europe Top 10 der Jungen Zweiter. Nicht wenige Experten schreiben dir eine erfreulich gute internationale Perspektive zu. Mit welchen persönlichen Erwartungen reist du zu deiner ersten Herren-EM nach Linz?
„Es ist meine erste große Herrenveranstaltung ist, an der ich teilnehmen werde. Da ich noch gar nicht so genau weiß, wie ich im Vergleich zu meinen Konkurrenten stehe, habe ich mir kein richtiges Ergebnisziel vorgenommen. Stattdessen versuche ich eher, einfach mein Bestes zu geben. Dann werde ich von Spiel zu Spiel zu schauen, um bei meinem EM-Debüt bei den Herren das für mich Maximale herauszuholen.“
Jörg Roßkopf, Herren-Bundestrainer
Deutsche Spieler zählen immer, insbesondere bei Europameisterschaften, zu den Favoriten auf die Medaillenränge. Mit welchen Zielen reisen die Herren zu den Europameisterschaften in Linz?
„Die EM findet relativ kurz nach den Olympischen Spielen und in einem terminlichen Umfeld statt, das kaum Zeit für eine wirklich gezielte Vorbereitung ließ. Aber es ist das bedeutendste Turnier in Europa mit einem sehr prestigebehafteten Titel. Entsprechend hoch ist die Motivation aller Athleten, nicht nur meiner Jungs. Unser Anspruch ist immer, zu gewinnen. In der Vergangenheit hat Deutschland die Europameisterschaften dominiert. Inzwischen sind die Kräfteverhältnisse in Europa ausgeglichener geworden und damit auch der Favoritenkreis viel größer. Wir haben in Linz mit Dang Qiu als Titelverteidiger, Patrick Franziska, Dimitrij Ovtcharov und Benedikt Duda vier Weltklassespieler am Start, die gegen jeden gewinnen können und deshalb auch um den Titel mitspielen. Bei den beiden jüngeren, Fanbo Meng und Andre Bertelsmeier, sind wir sehr gespannt, wie sie sich im internationalen Vergleich mit der Spitze Europas schlagen.“
Nina Mittelham, EM-Zweite 2022 und Europe-Top-16-Siegerin 2021
Bei den Olympischen Spielen hat dich eine schmerzhafte Bandscheibenverletzung gestoppt. Die EM wird nun dein erstes internationales Turnier seit Paris sein. Wie hat Dein Aufbauprogramm nach Paris ausgesehen und bist du inzwischen wieder topfit?
„Nach Paris habe ich zwei Wochen lang überhaupt gar nichts machen können. Ich hatte noch extreme Schmerzen. Selbst im Urlaub lag ich die meiste Zeit nur herum. In der anschließenden Reha ist es besser geworden und ich habe mich bis bisher gut erholt. Derzeit bin ich schmerzfrei, muss aber bei vielen Sachen noch aufpassen. Außerdem denkt mein Kopf noch viel nach, sodass ich einige Abläufe noch nicht wieder automatisiert mache. Aber das ist okay. Ich arbeite jetzt seit etwas vier Wochen wieder am Tisch, habe aber ganz langsam angefangen. Erst vergangene Woche habe ich mit dem freien Spiel begonnen und das erste Mal eine komplette Einheit absolviert. Meine Umfänge sind also derzeit noch deutlich geringer als vor der Verletzung. Das Wichtigste ist aber für mich, dass ich schmerzfrei bin.“
Bei den Europameisterschaften in München 2022 hatte dich eine beim Einspielen zugezogene Verletzung daran gehindert, das Finale gegen die Österreicherin Sophia Polcanova auszutrugen, die kampflos Europameisterin wurde. Spukt dir dieses Trauma auch heute noch manchmal im Kopf herum?
„Grundsätzlich war es nach München mein Plan, mich in Linz der Aufgabe zu stellen, den Titel anzugreifen. Allerdings werde ich jetzt mit geringeren Erwartungen zur EM reisen müssen. Es wird mein erster internationaler Wettkampf und dann gleich ein so wichtiger. Das ist nicht immer einfach. Ich weiß auch gerade nicht, welche Form ich überhaupt haben werde. Deshalb lasse ich die EM einfach auf mich zukommen und versuche, in Linz Spaß zu haben.“
Das Europe Top 16 hast du ebenso bereits gewonnen wie die Europameistertitel im Mixed und im Doppel. Wo ordnest Du bei deinem Comeback nach der Verletzung die Chance, dass nach Platz zwei 2022 diesmal in Linz der noch fällige Einzeltitel vielleicht doch hinzukommen kann?
„Im Moment halte ich es nicht für realistisch, dass ich in Linz nach dem Titel greifen werde. Aber ich werde mein Bestes geben, um in einer guten körperlichen Verfassung nach Linz zu reisen. Dann schauen wir mal von Runde zu Runde, wie es sich entwickelt. Ich freue mich in Linz über jeden Satz und jedes Spiel.“
Sabine Winter, EM-Dritte 2022 und zweimalige Doppel-Europameisterin
In den Sommermonaten hattest du eine lange Wettkampfpause. Der erste Turnierauftritt beim China Smash Ende September war aber schon sehr erfreulich. Reicht die Zeit bis Linz, um in Bestform zu kommen?
„In China war das Ergebnis gut, spielerisch war ich noch nicht so wirklich zufrieden. Nach einer viermonatigen Wettkampfpause ist das aber nichts Ungewöhnliches. Da ich im Training jedoch teils wirklich gute Dinge spiele und mich in China in jedem Spiel gesteigert habe, denke ich, dass die Zeit bis Linz reicht, um bei der EM auch das Spielerische an den Tisch zu bringen.“
Den Europameistertitel im Doppel hast du zweimal gewonnen. In München vor zwei Jahren hast du Dir auch im Einzel mit dem Gewinn von Bronze vor eigenem Publikum und einem Beinahe-Finaleinzug in einem spektakulären Halbfinale gegen die spätere Europameisterin Polcanova einen Traum erfüllt. Mit welchen Erwartungen reist du 2024 nach Oberösterreich?
„Ich habe in den vergangenen Jahren die ein oder andere schöne Erinnerung bei Europameisterschaften sammeln können. Es wäre toll, wenn noch eine weitere dazu kommt. Ich möchte versuchen, diese EM zu genießen, Spaß am Spielen zu haben.
Ich weiß, dass ich an einem guten Tag in Europa vielen Spielerinnen gefährlich werden kann und möchte sowohl im Einzel als auch im Doppel mit Yuan Wan um die Medaillen mitspielen. Yuan und ich haben zwar noch nicht oft zusammengespielt, aber Yuan ist eine gute Doppelspielerin. Und ich hatte auch schon den ein oder anderen Erfolg im Doppel. Ich habe ihr schon gesagt, dass ich sehr motiviert bin. Das Doppel möchte ich in der letzten Woche vor Linz noch möglichst viel trainieren. Ich denke, das kann gut passen: Ich bin gespannt, wie weit wir kommen.“
Annett Kaufmann, Olympiastar und Europameisterin aller Nachwuchsklassen
„A star is born“, haben nicht wenige Medien getitelt, nachdem du bei den Olympischen Spielen gleich eine ganze Reihe von Weltklasseathletinnen, darunter die Top-Ten-Spielerin Miwa Harimoto, besiegt hast. Was hat sich durch Paris 2024 für dich verändert?
„Es ist schon einiges passiert. So habe ich seit Paris rund 35.000 Follower mehr auf meinem Instagram-Account. Es haben mich auch viele Anfragen erreicht, mit Angeboten für Management und Sponsoring, für Fernsehauftritte und für Podcasts. Und jede Menge Sachen mehr. Im Team haben meine Familie und ich zusammen entschieden, dass das Management erst einmal ein ganzes Jahr allein in unseren Händen bleibt. Wir wollen ganz in Ruhe schauen, wie sich alles im ersten Jahr meiner Profilaufbahn fügt. Es ist ja ein komplett anderes Leben, eine komplett neue Situation. Wir wollen und werden da überhaupt nichts überstürzen.
Keine Frage: Die Olympischen Spiele waren ein riesiges Turnier und ein sehr wichtiges. Aber: Es war eben auch nur ein Turnier! Der Fokus liegt jetzt erst einmal auf Tischtennis und auf meiner Weiterentwicklung. Alles drumherum mache ich gerne, wenn es zeitlich passt. Aber wenn es mir auf meinem Weg in die Quere kommt, dann entscheide ich mich erst einmal für das Sportliche. Darauf liegt der ganze Fokus. Wir gehen ganz langsam und mit Abstand an alles heran und werden nichts überstürzen.“
Du bist dem damaligen Hype gelassen begegnet. Einladungen in Fernsehstudios wurden abgesagt und erst einmal der geplante Urlaub mit der Familie gemacht. Hilft dir die Familie, geerdet zu bleiben?
„Einerseits ja, andererseits nein. Das ‚Nein‘ deshalb, weil ich von meinem Charakter her bereits geerdet bin. Ich bin einfach ein bodenständiger Mensch. Das hat man auch in der Vergangenheit gesehen. Nach EM-Titeln oder anderen guten Ergebnissen bin ich immer auf dem Boden geblieben. Aber das liegt natürlich auch an meiner Erziehung, und das ist dann auch der Punkt, der das ‚Ja‘ unterstreicht und der erklärt, warum auch meine Familie mir dabei hilft, geerdet zu bleiben. Wir sind alle einfach so. Man kann sich mal ein, zwei Tage freuen, aber dann geht es auch ‚back to business‘. Dann muss man wieder hart arbeiten, denn auch die anderen schlafen nicht. Es sind ja ohnehin bislang alles nur Zwischenergebnisse und Zwischenziele, die mir zeigen, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Ich weiß, was ich will, und ich weiß, was ich dafür machen muss. Die Ergebnisse auf dem Weg dorthin freuen mich aber und motivieren mich, ändern aber nichts an meiner Bodenständigkeit und der meiner Familie.“
Für dich beginnt mit der neuen Saison ein neuer Lebensabschnitt. Nach dem Abitur schlägst du jetzt mit 18 Jahren die Profi-Laufbahn ein. Wie fühlen sich die ersten Monate der Umstellung nur Tischtennis statt Schule und Tischtennis für dich an?
„Ich habe gerade einmal den ersten Monat meiner Profikarriere hinter mir. Es ist natürlich eine Umstellung. Nach Turnieren und Bundesligaspielen musste ich früher, wenn Klausuren anstanden, bis tief in die Nacht pauken. Das Schöne nach dem Abi ist, dass ich jetzt nach einem langen Tag abends nicht noch lernen und Dinge für die Schule vorbereiten muss, sondern, zum Beispiel, auch mal relaxt eine Serie schauen kann. Dafür aber sind jetzt die Umfänge und die Intensität im Training höher geworden. Daran musste sich mein Körper erst einmal gewöhnen. Andererseits war die Schule immer eine superschöne Abwechslung, in der ich viel Zeit mit meinen Freunden verbracht habe. Das ist nun das genaue Gegenteil. Ich spiele zweimal am Tag Tischtennis, bin viel auf Reisen. Meine Freunde, die studieren oder arbeiten, sehe ich jetzt viel weniger. Aber ich fühle mich wohl und bin zuhause, was für mich das Wichtigste ist. Ich brauche meine Familie, meine Umgebung und mein Umfeld. Solange ich das habe, fühlt sich das super an. Bis jetzt gefällt es mir das Profitum sehr.“
Beim Nachwuchs bist du in allen Altersklassen Europameisterin gewonnen. Wie stehen die Chancen bei den Erwachsenen in Linz, wo du im Einzel, im Doppel mit Nina Mittelham und im Mixed mit Patrick Franziska an den Start gehst?
„Im Einzel kann ich es gar nicht richtig einschätzen. Es gibt Spielerinnen, gegen die ich gerne spiele, gegen andere dafür nicht so sehr. Es wird auch ziemlich von der Auslosung abhängen. Ich sehe das Ganze relativ entspannt. Mein Ziel ist es, mich spielerisch zu verbessern, im Training Erlerntes auch im Wettkampf einzusetzen und mental stärker zu werden. Wenn das Ergebnis dazu noch gut wird, freue ich mich. Falls nicht, so habe ich trotzdem etwas gelernt. Das ist für mich sozusagen eine Win-Win-Situation. Das Doppel mit Nina und das Mixed mit Patrick kann ich kaum einschätzen, weil wir noch nie gespielt haben. Vom Spielsystem passen die Kombinationen sicherlich gut. Wenn man dazu noch harmoniert und sich gut versteht, kann daraus auch ein gutes Ergebnis entstehen. Aber das ist schwierig einzuschätzen, da ich auch die gegnerischen Kombination gar nicht kenne. Eines steht aber fest: Ich freue mich auf jeden Fall sehr auf die EM!“
Yuan Wan, Olympiavierte mit der Mannschaft
Bei den Olympischen Spielen in Paris wurdest du als kurzfristiger Ersatz für die verletzte Nina Mittelham ins kalte Wasser geworfen. Du hast dann mit starken Leistungen dazu beigetragen, dass die Mannschaft sensationell das Halbfinale erreichte. Welche Ziele hast du dir für die Europameisterschaften in Linz gesetzt?
„Für Linz würde ich mir wünschen, eine Medaille mit nach Hause zu nehmen. Denn außer im Einzel, wo das natürlich schwieriger ist, werde ich ja auch im Doppel zusammen mit Sabine Winter antreten. Ich denke, wir können ein schlagkräftiges Doppel bilden. Ich hoffe, ich kann an meine guten Leistungen bei den Olympischen Spielen in Paris im Doppel anknüpfen und meine Leistung im Einzel verbessern.“
Franziska Schreiner, U21-EM-Finalistin 2022
Als Zweitplatzierte der U21-EM 2022 hast du dir einen Startplatz in Linz verdient. In diesem Jahr hast du auf der WTT Tour gute Ergebnisse erzielt und du konntest weitere Schritte in deiner Entwicklung nach vorne tun. Mit welchen Erwartungen reist du nach Linz?
„Ich bin sehr froh, dass ich mir den direkten EM-Startplatz erspielt habe. Bei der Vielzahl an starken Spielerinnen in Deutschland weiß man ja sonst nie, ob man nominiert wird. Auf der WTT Tour habe ich mich verbessert und bin in diesem Jahr erstmals unter die Top 100 der Welt gekommen. Für Linz habe ich aber keine festen Zielsetzungen. Falls ich in der Gruppenphase anfangen muss, dann möchte ich mich wie vor zwei Jahren in München für das Hauptfeld zu qualifizieren und dort vielleicht den einen oder anderen Favoriten zu ärgern. Sollte ich direkt im Hauptfeld stehen, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Treffe ich auf eine niedrige eingestufte Spielerin, dann will ich meiner Favoritenrolle gerecht werden. Ist meine Gegnerin besser im Ranking notiert, dann versuche ich nach vorne hin anzugreifen. In München bin ich vor zwei Jahren in der ersten Hauptrunde ausgeschieden, vielleicht kann ich mich ja diesmal verbessern und etwas mehr zur europäischen Spitze aufschließen. Das wäre phänomenal.“
Sophia Klee, U21-EM-Finalistin 2023
Bei der U21-EM 2023 hast du dir deinen Startplatz bei der EM der Damen gesichert. Auf der WTT Tour hattest du zuletzt eine gute Form, hast in Schweden die wesentlich höher in der Welt eingestufte Christina Källberg bezwungen. Wie stehen die Chancen in Linz?
„Ich freue mich riesig, bei der EM der Damen in Linz dabei zu sein. Als Sportlerin setzt man sich ja immer so einige Zwischenziele in seiner Karriere, und dieses hier ist eines von meinen gewesen. Ich bin auch sehr froh, dass ich mir diesen Platz mit einer guten Leistung bei der U21-EM selbst erkämpft habe. Ich habe in den letzten Monaten sehr gut und sehr viel trainiert. Die Form stimmt, wie zuletzt in Schweden ein deutlicher Sieg über eine europäische Spitzenspielerin gezeigt hat. Ich fahre mit positiver Energie nach Linz und versuchte vor allem, das im Training Erlernte umzusetzen und locker aufzuspielen - dann funktioniert das meistens auch am besten. Am Ende schauen wir dann einfach, was dabei herauskommt.“
Mia Griesel, U21-EM-Dritte 2023
Mit Platz drei bei der U21-EM hast du dir den Start bei der EM in Linz redlich verdient. Mit 18 Jahren zählst du aber sogar noch zur Jugend-Altersklasse U19, in der dich große Konstanz und mentale Stärke besonders auszeichnen. Was hast du dir für dein Debüt bei der Damen-EM vorgenommen?
„Ich freue mich auf die EM in Linz, da das Niveau dort einfach noch einmal etwas anderes ist. Ich glaube, dass ich dort viel lernen kann und noch besser sehen werde, woran ich noch zu arbeiten habe. Ich hoffe, dass ich für meine Verhältnisse dort einfach gut spiele und möglichst viele positive Erfahrungen mitnehme.“
Elisa Nguyen, U15-Team-Europameisterin und Siegerin des internen EM-Quali-Turniers
Du bist die Überraschung im Aufgebot. Du hast das interne Qualifikationsturnier der deutschen Jugendnationalspielerinnen um den einen noch freien EM-Platz gewonnen. Im Alter von 14 Jahren wirst du nun eine der jüngsten Starterinnen bei der Erwachsenen-EM und läufst zusammen mit allen deutschen und internationalen Stars auf. Was hast Du Dir für die EM vorgenommen?
„Ich bin natürlich sehr aufgeregt. Ich habe überhaupt nicht damit gerechnet, mitspielen zu dürfen. Auch wenn ich weiß, dass die EM ein Turnier ist, wo ich sehr viele Erfahrungen sammeln kann und werde, gebe ich natürlich mein Bestes! Ich will versuchen, das Hauptfeld zu erreichen.“
Tamara Boros, Damen-Bundestrainerin
Nina Mittelham hat nach Paris ihre Bandscheibenprobleme bis kurz vor der EM auskuriert und ist im langsamen Aufbau. Mit Ying Han nach ihrem Achillessehnenriss und Xiaona Shan fehlen die beiden Routiniers des Teams. Wie stehen die Chancen der DTTB-Damen in Linz?
„Wir gehen für diese EM mit einem jungen Aufgebot an den Start. Die Jüngeren sollen vor allem Erfahrungen im Vergleich mit der Spitze sammeln. Mit unseren Besten und Erfahrenen – egal ob Nina Mittelham, Annett Kaufmann, Sabine Winter oder Yuan Wan - wollen wir auch diesmal wieder in allen Wettbewerben unter Beweis stellen, dass wir in Europa zu den stärksten Nationen zählen. Nach dem vierten Platz bei Olympia in Paris blieb nur wenig Zeit für eine gezielte Vorbereitung. Wir gehen auch diesmal mit hoher Motivation, aber ohne jeden Druck in die Wettbewerbe. Wir warten in aller Ruhe die Auslosung ab, die bei einer Individual-EM auch immer eine Rolle spielt.“
Herren
Dang Qiu (Borussia Düsseldorf, Weltranglistenplatz 13), Patrick Franziska (1. FC Saarbrücken TT, WR: 12), Dimitrij Ovtcharov (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell, WR: 16), Benedikt Duda (TTC Schwalbe Bergneustadt, WR: 28), Andre Bertelsmeier (1. FC Köln, WR: 135), Fanbo Meng (TTC RhönSprudel Fulda-Maberzell, WR: 151)
Damen
Nina Mittelham (ttc berlin eastside, WR: 20), Sabine Winter (TSV Dachau, WR: 57), Annett Kaufmann (SV DJK Kolbermoor, WR: 103), Franziska Schreiner (TSV Langstadt, WR: 106), Yuan Wan (TTC Weinheim, WR: 108), Sophia Klee (TSV Langstadt, WR: 232), Mia Griesel (ttc berlin eastside, WR: 253), Elisa Nguyen (DJK Sportbund Stuttgart, WR: 501)
Mit diesen Duos geht Deutschland in die Doppel-Konkurrenzen*
Herren-Doppel: Benedikt Duda/Dang Qiu, Fanbo Meng/Andre Bertelsmeier
Damen-Doppel: Annett Kaufmann/Nina Mittelham, Yuan Wan/Sabine Winter
Mixed: Patrick Franziska/Annett Kaufmann, Andre/Bertelsmeier/Mia Griesel
*Pro Nation dürfen maximal zwei Kombinationen gemeldet werden
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