Frankfurt/Main. In den 1980er-Jahren war er einer der stärksten Spieler in Deutschland. Er war sechsmal deutscher Meister im Einzel. Achtmal nahm er an Europameisterschaften und sechsmal an Weltmeisterschaften teil. 1988 trat er bei den Olympischen Spielen an. Zwischen 1982 und 1993 bestritt er 102 Länderspiele für Deutschland. Zsolt-Georg Böhm hat jetzt Teil zwei seiner Autobiografie veröffentlicht. Nach "Mein Wunder von Bern" aus dem Jahr 2013 über seine Kindheit, Flucht aus Rumänien und seine Karriere als Tischtennisprofi in Deutschland, hat er nun über den Zeitraum von 1999 bis 2020 mit "Offene Veränderung" nachgelegt. Es ist die sehr persönliche Bilanz eines dreifachen Familienvaters und Senioren-Weltmeisters, wie er seine auch berufichen Höhen und Tiefen in der Karriere nach der Sportkarriere erlebte.
Das Buch umfasst 138 Seiten und ist im Schiller Verlag erschienen, der sich auf Bücher aus und über Siebenbürgen und Rumänien spezialisiert hat. Ein Exemplar kostet 9,90 Euro.
(...) Ich hatte schon mehrere Jahre an keiner Europa- oder Weltmeisterschaft mehr teilgenommen. Der Deutsche Tischtennis-Bund erklärte sich bereit, meine Startgebühren in Höhe von 140 Euro für die Senioren-EM zu übernehmen. Die Rückerstattung der Übernachtungskosten machte der Bund von meinen Ergebnissen abhängig. Ich hatte zwar keine finanziellen Probleme, nahm aber die Wette gerne an. Mein langjähriger Ausrüster, die Firma Tibhar, stattete mich aus. Er entsprach meiner Bitte, die Trikots mit meinem voll ausgeschriebenen Namen zu bedrucken. Ich war froh, dass ich für die Bundesrepublik spielen konnte und durfte. Deutschland ist ein tolles Land. Daraufhin reservierte ich ein Apartment in Bremen zusammen mit meinem Doppelpartner Andreas Fejer-Konnert.
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Die Senioreneuropameisterschaft im Tischtennis ist die größte Hallenveranstaltung in Europa mit Tausenden von Teilnehmern. Dort spielt man auf ca. 100 Tischen in mehreren Hallen. Wegen der verschiedenen Altersklassen, der hohen Anzahl der auszutragenden Begegnungen und um einen unterbrechungsfreien Spielbetrieb zu ermöglichen, führten die Veranstalter einen SMS-Benachrichtigungsdienst über den Ort und die Zeit der auszutragenden Spiele ein. Diese moderne Kommunikationsmethode hatte ich bei den Aktiven nicht erlebt und nutzte sie gerne, um rechtzeitig zu den Begegnungen zu erscheinen.
Der mehrmalige Einzeleuropameister bei den Erwachsenen und Weltmeister bei den Veteranen über 50 Jahre, der Linkshänder Mikael Appelgren, sagte das Doppel mit mir einige Monate vor dem Wettkampftermin ab mit der Begründung, seine Kräfte für den Einzelwettbewerb aufsparen zu wollen. So trat ich im Doppel mit Andreas in der Alterskategorie 40 bis 50 Jahre an. Mit ihm bezog ich in Bremen ein kleines Apartment in der Nähe des Stadttheaters.
Jeden Morgen hörten wir Musik zum Frühstück, zu der wir die mitgebrachten Aufschnitte, Tomaten, Marmelade und Honig verspeisten. Das erinnerte mich an meine erste Europameisterschaft der Aktiven in Duisburg vor 35 Jahren, bei der der arme rumänische Verband den Spielern keine warme Mahlzeit bezahlen konnte. Da ich um die Wichtigkeit der richtigen Ernährung wusste, aß ich seit Beginn meiner Profilaufbahn zu Mittag immer warm und bei Wettkämpfen kohlenhydratreich, um genügend Energie zu haben.
Ich trug die Startnummer 1002. Tausendundeine Nacht plus eins? Sollte es für mich ein Sommermärchen werden, so dass ich mindestens in einem Wettbewerb gewinne? Nach etlichen Begegnungen und Wettkampftagen erreichte ich das Einzel-Halbfinale, wo ich auf Appelgren traf. Beim Stand von 1:1 in Sätzen führte ich 5:2, aber er machte hintereinander 8 Punkte. Dann hatte ich eine Serie mit anschließendem Satzball. Den konnte ich nicht verwandeln und verlor den Satz. Den nächsten gewann ich mit vielen Topspins 11:7. Im entscheidenden Satz führte ich 7:5, aber er spielte zweimal auf Kante. Mir fehlte das Glück, ihn zu besiegen. Nach dem verlorenen Einzel war ich kraft- und lustlos.
Glücklicherweise wärmte David meinen Doppelpartner vor dem Endspiel an einer Platte der Trainingshalle auf. Wir spielten vor heimischem Publikum, das uns unterstützte. Einige Spiele zuvor hatten wir 3:0 gegen den Doppelweltmeister Fetzner und den ehemaligen Nationalspieler Heiko Wirkner gewonnen. Auf der Bank saßen meine Söhne, schon ihre Anwesenheit stärkte mich. Den ersten Satz gewannen wir mit zwei Bällen Unterschied, doch unsere Gegner Slevin und Trumpauskas, ein Rechts-Linkshänder-Doppel, spielten unerwartet gut und gingen mit 2:1 Sätzen in Führung. Im vierten Satz lagen wir mit 6:3 vorne, doch sie machten hintereinander vier Punkte. Bei 7:6 traf der Linkshänder den Ball nicht. Den nächsten verzog ich. Bei 9:8 für unsere Gegner spielte ich einen punktbringenden diagonalen Flip – einen Angriffsschlag über der Platte -, den zwei Ballwechsel zuvor mein Partner auch erfolgreich eingesetzt hatte. Dann antwortete ich auf einen langen Aufschlag mit einem punktbringenden Topspin. Mit dem nächsten Punktgewinn retteten wir uns in den entscheidenden fünften Satz. Zuerst führten wir, doch unser Vorsprung blieb noch einholbar. Beim Stand von 9:7 machte Slevin einen Aufschlagfehler. Wir verwandelten den ersten Matchball zum Sieg.
Ich ballte meine Faust und entspannte mich mit einem Jubelschrei. Andreas und ich umarmten uns. 35 Jahre nach meinem letzten Gewinn einer Europameisterschaft stand ich wieder auf der höchsten Stufe des Treppchens bei einem Kontinentalwettbewerb. Es war doch ein Sommermärchen.
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