Baku. Von seiner Favoritenrolle als Topgesetzter bei den European Games in Baku wollte Dimitrij Ovtcharov aufgrund fehlender Vorbereitung und Rücken-Handicaps schon am Mittwoch nichts wissen. Trotzdem eilte er im Einzel am Donnerstag von Sieg zu Sieg, verlor keinen einzigen Satz in zwei Partien. Nach einer starken Leistung gegen Kroatiens Spitzenspieler Andrej Gacina steht der 26-jährige Weltranglistensechste nun im Halbfinale der Europaspiel-Premiere. Dort geht es am Freitag gegen Überraschungsmann Paul Drinkhall aus Großbritannien um die Medaille, der Portugals Mitfavorit Marcos Freitas mit 4:1 ausgeschaltet hat. Platz drei wird in Baku ausgespielt. Im zweiten Spiel der Vorschlussrunde trifft Weißrusslands Großmeister Vladimir Samsonov auf den Ukrainer Kou Lei.
Dimitrij Ovtcharov: "Gegen Gacina war es mit Abstand mein bestes Spiel bisher. Ich bin sehr zufrieden, auch mit dem dritten Satz, als er viele sehr gute Bälle getroffen hat. Ich habe mich viel besser bewegt als vorher; die Docs hier machen wirklich einen super Job. Am meisten schmerzt mein Rücken, wenn ich mir die Hose anziehe, aber das muss ich im Spiel ja zum Glück nicht. Das ist nämlich wirklich kein Spaß. Aber im Spiel selbst ist der Rücken kein Problem.
Das wird ein unheimlich schweres Spiel morgen. Wenn Drinkhall erst mal ins Rollen kommt, ist er schwer zu stoppen. Er kann die Bälle so früh nehmen, wie sonst keiner in Europa und wird mich sehr unter Druck setzen. Ich habe zuletzt bei den Russian Open im letzten Jahr gegen ihn verloren. Er spielt zwei riesen Turniere im Jahr und verliert dann viermal in der ersten Runde. Hier spielt er bisher sehr stark, und diese Form wird sich nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Außerdem kann er hier ganz locker spielen. Aber ich bin ja ein Kämpfer. Und wenn ich einen guten Start ins Spiel finde, bin ich schwer zu schlagen."
Jörg Roßkopf: "Der Tag heute war entspannt für Dima. Bei 8:0-Sätzen hat er viel Kraft gespart. Wichtig gegen Gacina war, den engen dritten Satz zu gewinnen. Dima hat in beiden Spielen heute total dominiert. In das Spiel morgen gegen Drinkhall wird er mit sehr viel Selbstvertrauen gehen."
Damen-Einzel, Viertelfinale
Trotz einer tollen kämpferischen Leistung ist Han Ying im Viertelfinale des Einzelwettbewerbs bei den European Games ausgeschieden. Die topgesetzte Wahl-Düsseldorferin unterlag im Duell der Abwehr-Cracks der Niederländerin Li Jie in sieben Sätzen. In Satz sechs stand sie kurz vor dem Aus beim Stand von 3:7, rettete sich aber noch in den Entscheidungsdurchgang.
Bereits vor Ende des ersten Satzes waren die zehn Minuten überschritten, nach denen das „Zeitspiel“ einsetzt. Nach der offiziell „Wechselmethode“ genannten Regel wird abwechselnd aufgeschlagen, und die Aufschlägerin ist jeweils unter Druck. Denn gelingen ihrem Gegenüber 13 Rückschläge im selben Ballwechsel, geht der Punkt an die Rückschlägerin. Die Aufschlagende wird dadurch in die Rolle der Angreiferin gedrängt. Eigentlich der Wunsch-Verlauf von Han Ying, doch diesmal hatte Li Jie dabei das bessere Ende für sich.
Han Ying: "Ich wollte schnell ins Zeitspiel kommen, denn das liegt mir eigentlich. In den ersten beiden Sätzen lief alles nach Plan. Als sie ihre Taktik im dritten Satz dann geändert hat, wusste ich plötzlich nicht mehr, wie ich spielen sollte. Selbst als sie aufgeschlagen hat, habe ich ihre Bälle einfach nicht mehr richtig auf den Tisch spielen können. Erst im Sechsten ab 3:7 ging es besser. Der siebte Satz war dann völlig offen. Mir fehlt, glaube ich, noch die Erfahrung bei solchen Turnieren. Ich bin zwar keine junge Spielerin mehr, aber eben noch nicht so lange in der Nationalmannschaft* und fühle mich in diesen Situationen bei solchen Turnieren immer noch unerfahren. Ich kann mein Spiel dann auf einmal nicht mehr umstellen, so wie ich es eigentlich sollte.
Mein Problem war auch der Druck, den ich mir hier als Topgesetzte gemacht habe. Ich wollte unheimlich gerne gewinnen, war ja noch nie bei Olympischen Spielen und wollte unbedingt das Direkt-Ticket für Rio holen. Dass ich es nicht geschafft habe, zieht mich jetzt natürlich schon runter."
*Erklärung: Die 32-Jährige, die seit 2002 in Deutschland lebt, absolvierte erst Ende 2013 ihr erstes Länderspiel und ist - anders als bei Europameisterschaften und Olympischen Spielen - bei Weltmeisterschaften und World Cups nicht für ihr Land startberechtigt, tritt daher seltener bei Topturnieren außerhalb der World Tour an.
Petrissa Solja hatte ihre Chancen gegen Li Jiao, musste sich der niederländischen Ex-Europameisterin jedoch in sechs Sätzen geschlagen geben. Einen 0:2-Satzrückstand konnte die 21-jährige Deutsche Einzel-Meisterin egalisieren, beschäftigte die Penholder-Spielerin mit vielen Spin-Variationen. In Durchgang fünf konnte Solja eine Drei-Punkte-Führung dann nicht nutzen, die folgende Serie Lis nicht brechen. Im sechsten Satz war die Niederländerin, die in der Runde zuvor deutlich Österreichs Europe-Top-16-Siegerin von Baku, Liu Jia, ausgeschaltet hatte, dann nicht mehr zu stoppen.
Petrissa Solja: "Ich habe bisher noch nie gegen sie gewonnen. Ich wusste, dass es schwer wird, aber nicht unmöglich. Die ersten beiden Sätze waren knapp. Ich hätte sie auch gewinnen können, zumindest einen Satz. Danach bin ich besser ins Spiel gekommen, habe bei 2:2 in Sätzen mit 7:4 geführt. Dann hat sie eine Serie hingelegt, und ich konnte ihren Rhythmus nicht stören.
Ich habe zwar besser gegen sie gespielt als sonst, bin aber trotzdem nicht mit meiner Leistung zufrieden. Doch die nächste Chance werde ich schon noch bekommen.
Ich nehme aus Baku eine Goldmedaille aus dem Mannschaftswettbewerb mit nach Hause, über die ich mich sehr freue, aber ich wollte hier auch im Einzel gerne eine Medaille gewinnen und mich direkt für Rio qualifizieren.
Li Jiao hat hier bisher super gespielt, aber es war nicht so, dass ich keine Chance gehabt hätte. Sie hat sich intensiv auf dieses Turnier vorbereitet und viel mehr trainiert als sonst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich gegen die spätere Siegerin ausgeschieden bin - auch wenn das im Moment kein richtiger Trost für mich ist."
Eva Odorova setzte in der oberen Hälfte des Tableaus das Turnier ihres Lebens fort. Durch einen überraschenden 4:1-Sieg über die EM-Finalistin von 2009, Margaryta Pesotska (Ukraine), zog die 35-jährige Slowakin erstmals ins Halbfinale eines kontinentalen Top-Turniers ein, ist am Freitag die Gegnerin von Li Jie. Im anderen Halbfinale stehen sich die Türkin Hu Melek und Li Jiao gegenüber.
Zu Live-Ticker und Ergebnissen im Herren-Einzel auf Baku2015.com
Herren-Einzel, Viertelfinale am Donnerstag
Dimitrij Ovtcharov - Andrej Gacina CRO 4:0 (5,5,10,4)
Marcos Freitas POR - Paul Drinkhall GBR 1:4 (-6,-6,3,-6,-9)
Vladimir Samsonov BLR - Tiago Apolonia POR 4:0 (9,6,3,7)
Liam Pitchford GBR - Kou Lei UKR 1:4 (-8,-6,-6,9,-8)
Halbfinale am Freitag
Ovtcharov - Drinkhall, 10 Uhr deutscher Zeit
Samsonov - Kou, 11 Uhr
Spiel um Bronze um 16 Uhr
Spiel um Gold um 17 Uhr
Damen-Einzel, Viertelfinale am Donnerstag
Han Ying - Li Jie NED 3:4 (8,7,-6,-7,-9,9,-8)
Petrissa Solja - Li Jiao NED 2:4 (-9,-9,8,8,-7,-5)
Eva Odorova SVK - Margaryta Pesotska UKR 4:1 (5,9,4,-10,9)
Li Qian POL - Hu Melek TUR 3:4 (-9,-3,-7,9,4,3,-9)
Halbfinale am Freitag
Li Jie - Odorova, 8 Uhr deutscher Zeit
Li Jiao - Hu, 9 Uhr
Spiel um Bronze um 13.30 Uhr
Spiel um Gold um 14.30 Uhr
Zu Live-Ticker und Ergebnissen im Damen-Einzel auf Baku2015.com
Das deutsche Aufgebot in Baku
Herren-Mannschaft: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll, Patrick Baum
Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, <strike>Timo Boll</strike>
Damen-Mannschaft: Han Ying, Petrissa Solja, Shan Xiaona
Damen-Einzel: Han Ying, Petrissa Solja
Betreuer: Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf und Assistent Zhu Xiaoyong, Damen-Bundestrainerin Jie Schöpp, Teilmannschaftsleiter Rainer Kruschel, Dr. Rainer Eckhardt (Mannschaftsarzt, Ulm), Annette Zischka (Physiotherapeutin Olympiastützpunkt Hessen in Frankfurt am Main)
Für das ETTU-Präsidium nur bei den Team-Wettbewerben vor Ort: Heike Ahlert (DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport)
Deutsches Schiedsrichter-Team in Baku: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Gerhard Schnabel (Schläger-Tester, Karlsfeld), Gert Selig (Hannover), Klaus Seipold (Meerbusch)