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Sportdirektor Richard Prause wirft einen kritischen Blick auf die WM (Foto: ms)

Sportdirektor Richard Prause: "Unsere Damen haben sich viel Respekt erarbeitet"

ms 07.03.2016

Kuala Lumpur. Als Sportler, als Bundestrainer des DTTB und als Cheftrainer der Werner-Schlager-Academy hat Richard Prause bereits zahlreiche Weltmeisterschaften gespielt, analysiert und beobachtet. Die Team-WM 2016 in Kuala Lumpur bereiste er erstmals in seiner Funktion als Sportdirektor des DTTB. Im Interview mit tischtennis.de spricht Prause über Licht und Schatten, über Respekt und unverhoffte Abstürze, über künftige Maßnahmen und Verbesserungswürdiges bei der WM.

Eine WM mit viel Licht, aber diesmal leider auch mit Schatten, ist zu Ende. Man muss kein Hellseher sein um zu vermuten, dass Sie sich Ihre erste WM als Sportdirektor des DTTB wohl anders vorgestellt hatten?

Prause: "Bei den Damen waren wir sehr zufrieden. Bei den Herren wollten wir eine Medaille gewinnen bzw. im optimalen Fall das Finale erreichen, auch ohne den verletzten Dimitrij Ovtcharov. Wir hatten den Anspruch, uns in dieser fast rein europäischen Gruppe, in der das Niveau eng beieinander lag, durchzusetzen und einen der drei ersten Plätze zu belegen, um uns dann nach oben zu arbeiten. Entsprechend enttäuscht sind wir, dass uns das nicht gelungen ist."

Zunächst einmal zu den Damen. Die Mannschaft von Jie Schöpp hat in Kuala Lumpur begeisternde Auftritte gezeigt und wirkte als Team wie eine verschworene Gemeinschaft.

Prause: "Das stimmt. Vor allem das Match gegen Japan in der Gruppe und das Achtelfinalspiel gegen Südkorea waren echte Highlights. Die Mannschaft von Jie Schöpp ist hier als tolle Truppe aufgetreten. Es sind alle füreinander eingetreten und es hat großen Spaß gemacht, ihnen zuzuschauen. Ich habe auch viele positive Rückmeldungen von ausländischen Trainerkollegen erhalten. Die Mannschaft hat sich in Kuala Lumpur unglaublich viel Respekt erarbeitet."

Mit Irene Ivancan und Kristin Silbereisen standen zwei wichtige Routiniers im Team. Drei der fünf Spielerinnen - Mittelham, Solja und Winter - sind hingegen erst 19, 21 und 23 Jahre alt. Wie viel Potential sehen Sie mittel- und langfristig in dieser Mannschaft?

Prause: "Das Team verfügt sicherlich über eine sehr gute Perspektive. Jetzt geht es zurück ans tägliche Arbeiten. Ich denke, dass wir an dieser Mannschaft in der Zukunft noch sehr viel Freude haben werden. Es ist uns gelungen, mit Japan und Südkorea zwei Teams zu schlagen, die vor uns in der Weltrangliste stehen. Das zeigt, dass das Potential dieser Mannschaft längst noch nicht ausgereift ist."

Mit Japan hat Deutschland den Silbermedaillengewinner von London 2012 bezwungen, zudem den olympischen Halbfinalisten Südkorea mit 3:0 vom Tisch gefegt. Ist das ein Fingerzeig für die bevorstehenden Sommerspiele in Rio?

Prause: "Zunächst einmal müssen wir in Istanbul durch die Qualifikation. Wir gehen sicherlich hochmotiviert nach Rio und haben uns für die Sommerspiele mit der Damen-Mannschaft, die dort ja nicht die gleiche Formation spielen wird und in einem anderen Modus antreten muss, einiges vorgenommen. Aber das Niveau der Teams und der Topspielerinnen liegt so eng beieinander, dass oft die Tagesform entscheiden wird."

Richard Prause ist im ständigen Austausch mit seinen Trainern, hier Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf (Foto: ms)Zurück zu den Herren: Deutschland litt unter dem Ausfall der beiden Top-Ten-Spieler Ovtcharov und Boll, hatte mit Bastian Steger (2010, 2012) sowie WM-Viertelfinalist Patrick Franziska und Steffen Mengel (beide 2014) drei Spieler am Start, die bereits mit der DTTB-Auswahl Silber gewannen. Deshalb galt das Team nach wie vor als Medaillenkandidat. Wie erklären Sie sich den tiefen Fall in die unliebsamen Spiele um die Plätze 13 bis 24?

Prause: "Wie man beispielsweise an den Engländern gesehen hat, denen niemand in der Gruppe mehr als Platz vier zugetraut hatte, ist es mittlerweile so, dass das Niveau sehr eng beieinander liegt. Die Top-20-Spieler heben sich noch eine Stufe ab, aber alle Spieler dahinter, bis mindestens Rang 100 eher aber bis 150, spielen nahezu auf dem gleichen Level. Für uns war es deshalb nicht leicht, den Ausfall von Dima und von Timo zu verkraften, im letzteren Fall auch deshalb, weil es erst während des Turniers passierte. Aber ohne Wenn und Aber: Wir haben es in dieser auch für uns neuen Situation nicht geschafft, in den Spielen unsere maximale Leistung abzurufen. Chancen hatten wir genug, aber wir haben sie nicht genutzt."

"Enttäuscht und ernüchtert", kommentierten Sie das Aus der Herren. Wird es Maßnahmen geben, damit solch ein Ausrutscher sich nicht wiederholt?

Prause: "Unsere Aufgabe wird es nach der Rückkehr sein, noch einmal genau zu analysieren, was ist denn in den Schlüsselaugenblicken passiert, wo waren wir vielleicht etwas zögerlich, wo zu risikoreich, wie haben wir im Aufschlag-Rückschlag-Bereich gespielt. Fakt ist, dass alle noch enger zusammengerückt sind. Jetzt müssen wir uns zweimal schütteln und genau überlegen, was wir besser machen können, damit wir bei den Topevents alle unsere Spieler fit an den Start bringen und alle im Team ihre maximale Leistung auch wirklich abrufen. Deutschland muss sich dieser Herausforderung stellen."

England glänzt sensationell mit Bronze und hätte fast im Finale gestanden. Ihren Argumenten von vorhin zufolge ist das ein austauschbares Ergebnis, da der Grund dafür eine so eng zusammengerückte erweiterte Spitze ist, das fast nur noch die Tagesform entscheidet, wenn, wie bei uns, mal ein Top-20-Spieler ausfällt oder außer Form ist?

Prause: "Genau so ist es. Hinter den Topspielern kann unglaublich viel passieren. Man muss dazu sehen, wie sich Tischtennis in der Vergangenheit entwickelt hat. Die Spieler sind heutzutage alle sehr komplett und trainieren sehr professionell. Es geht da wirklich nur noch um Nuancen. Natürlich wollen wir in diesen Nuancen den notwendigen Tick besser sein, uns Vorteile verschaffen und durchsetzen. Aber, wie man hier in Kuala Lumpur gesehen hat, ist das nicht immer so einfach. Wie eng alles zusammengerückt ist, hat ja auch Taiwan bei dieser WM schmerzlich erfahren müssen, das nach dem Ausfall von Spitzenspieler Chuang ebenfalls in die Spiele um die Plätze 13 bis 24 musste und hier noch eine Runde vor uns an unserem letzten Gegner Ukraine gescheitert ist."

Richard Prause, im Gespräch mit Turnierdirektor Didier Leroy (Foto: ms)Themawechsel: Windböen durch die Klimaanlage, ein fragwürdiger Zeitplan, keine Ruheräume, wenig adäquate Hotels und die Spielhalle B eine Zeltstadt, in die es hineinregnete und in der die Athleten zum Umkleiden Aufstell-Toiletten benutzen müssen. War die WM 2016 in Kuala Lumpur nur für den schönen TV-Show Court hergerichtet?

Prause: "Wir haben bewusst versucht, dies nicht zu thematisieren. Wenn man Medaillenkandidat war, schlecht spielt und am Ende 13. wird, klingt es zu schnell nach Ausrede, wenn man eine Diskussion über die Rahmenbedingungen beginnt. Aber leider ist es tatsächlich so, dass diese Zustände einer Weltmeisterschaft nicht würdig gewesen sind. Zwar sah die für das Fernsehen aufgebaute Box in der Haupthalle wie immer sehr gut aus, aber am Rest hat es fast komplett gefehlt. Ich denke da nur an den Einfluss, den die veraltete Klimaanlage auf die Spiele genommen hat. Oder an die aus Neben- und Trainingshalle bestehende Zeltstadt, in die es hinein regnete und in der Teile des Unterbodens an mehreren Stellen brachen. Die Aufzählung ist lange nicht komplett, aber all diese Dinge waren einer Weltmeisterschaft vollkommen unwürdig."

Muss Ihrer Meinung nach die WM reduziert werden, um wieder mehr Ausrichter zu finden, die Qualität und Professionalität garantierten können?

Prause: "Eindeutig. Die ITTF hat diesen Weg nun initiiert. Es besteht seit dieser WM eine Working Group, die sich mit einer Reduzierung beschäftigt, die erstmals bei der übernächsten WM zum Tragen kommt. Es soll ein Vorschlag erarbeitet werden, dass ein Maximum von 72 Damen- und Herren-Mannschaften vorsieht. Dieser Vorschlag könnte, je nach Ergebnis der Working Group, theoretisch auch kleiner ausfallen. Ich persönlich denke, für die Zukunft wäre ein System mit maximal 48 Damen- und Herrenteams effizient. Das ist organisierbar, und man könnte dann zwei Divisionen à 24 Mannschaften spielen lassen. Aber solch eine Entwicklung braucht seine Zeit. Ein erster Schritt ist immerhin getan, aber es sollten weitere folgen. Wichtig ist sicherlich auch, dass die ITTF genau prüft, ob die Ausrichter den Vorgabenkatalog einhalten und falls nicht, notfalls reagiert."

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