Baku. Mit einer geschlossenen Mannschaftsleistung haben sich Deutschlands Damen den Traum vom Team-Gold bei den European Games in Baku erfüllt. In einer spannenden Partie gegen den vierfachen Europameister aus den Niederlanden gab es einen 3:2-Sieg. Die Punkte steuerten Shan Xiaona, das Doppel Shan/Petrissa Solja und im Abschlusseinzel Han Ying bei, die zur Erleichterung der deutschen Fans in der Baku Sports Hall mit Britt Eerland kurzen Prozess machte.
Han und Solja hatten bei diesem Turnier im Finale erstmals im Einzel verloren und blieben dabei sogar ohne Satzgewinn. Die Weltranglistenzehnte, Han, hatte gegen Ex-Europameisterin und Taktik-Fuchs Li Jiao zum Auftakt das Nachsehen. Europe-Top-16-Finalistin Solja musste sich Abwehrass Li Jie geschlagen geben.
"Das ist die schönste und die schwerste Medaille, die wir gewonnen haben", versicherte Shan. Sie und ihre Teamkolleginnen gewannen das erst dritte Gold für Deutschland bei diesen Europaspielen überhaupt. Schneller als die DTTB-Damen auf dem Podest waren am selben Tag nur Deutschlands Kanuten. "Wir hätten doch wieder um 9.30 Uhr anfangen sollen. Es wäre toll gewesen, zusätzlich das allererste Gold für Deutschland überhaupt hier in Baku zu holen", sagte Han Ying mit einem Augenzwinkern.
Bronze gewann Tschechien durch ein 3:1 über die Ukraine.
Die Stimmen der Deutschen zum Finale
Shan Xiaona über die Goldmedaille:
"Das ist die schönste und die schwerste Medaille, die wir gewonnen haben. Schwerer jedenfalls als ein Tischtennisschläger."
Über ihre Gefühlswelt im Spiel gegen Li Jie beim 0:1-Rückstand gegen die Niederlande:
"Es ist zum ersten Mal überhaupt passiert, dass Ying bei einem Länderspiel verloren hat. Ich hatte vorher zwar schon zweimal gegen Li Jie gewonnen, aber jetzt war ich einfach sehr, sehr nervös. Arme und Beine habe ich heute nicht richtig zusammengebracht. Ich wusste nur: Egal wie ich spiele, ich muss einfach diesen Punkt machen."
Petrissa Solja über die Goldmedaille:
"Sie ist ungefähr so schwer wie die Last, die von unseren Schultern gefallen ist, als wir gewonnen hatten. Ich lege sie mir heute Nacht unter mein Kopfkissen. Vielleicht ist sie aus echtem Gold und etwas für schlechte Zeiten."
Über die Bedeutung des Team-Titels:
"Es ist schade, dass wir uns durch unser Team-Gold nicht automatisch mit der Mannschaft für Olympia qualifiziert haben. Aber es ist schön, dass wir es sind, die bei den ersten European Games die Goldmedaille gewonnen haben. Damit haben wir Geschichte geschrieben. Ich hoffe, dass es in Zukunft viele weitere European Games geben wird."
Über den Verlauf des Spiels:
"Wir waren darauf eingestellt, dass es kein 3:0, sondern ein 3:2 werden würde. Bei 1:1 war das Doppel das Schlüsselspiel. Als wir das dann gewonnen hatten, ist ein bisschen Spannung von mir abgefallen. Wir wussten, dass Ying gegen Eerland normalerweise nicht verliert. Daher war meine Anspannung gegen Li Jie geringer."
Über das Ziel ihrer Mannschaft vor dem Turnier und deren allgemeine Stärken:
"Wir sind zweimal Europameister geworden. Unser Ziel war eindeutig, mit dem Team die Goldmedaille zu gewinnen. Ein großer Vorteil ist, dass wir mit Han Ying eine Top-10-Spielerin haben, die normalerweise sicher zwei Punkte macht. 'Nana' und ich sind ein gutes Doppel. Außerdem wissen die Gegnerinnen nicht, wen wir zuerst im Einzel ins Rennen schicken, weil 'Nana' und ich auf dem gleichen Niveau spielen. Das macht es für sie schwer, sich im Voraus auf uns einzustellen."
Han Ying über ihre Gefühlswelt mit der Goldmedaille um den Hals im Vergleich zu ihrem ersten Spiel, das verloren ging:
"Ich bin jetzt sehr, sehr glücklich. Im ersten Spiel war ich nicht direkt nervös, aber ich habe sehr großen Druck verspürt. Ich wusste, dass - wenn ich diesen Punkt hole - wir dieses Finale vielleicht mit 3:0 gewinnen. Li Jiao hat unheimlich gut gespielt. In der Mannschaft mache ich mir mehr Druck als im Einzel, weil es nicht nur um mich geht, sondern von meinem Spiel das ganze Team abhängt. Nachdem ich verloren hatte, habe ich auf meine Teamkolleginnen vertraut. Und ich habe die Chance bekommen, ein zweites Spiel zu machen und zu gewinnen."
Über ein mögliches Revanche-Match gegen Li Jiao bei einem anderen Turnier:
"Ich war hier sehr angespannt, denn dieses Spiel war die große Chance auf eine Vorentscheidung. Ich freue mich schon darauf, Li Jiao bei einem anderen Turnier wieder gegenüber zu stehen. Nächstes Mal bin ich mit Sicherheit frischer. Und schlimmer als ein 0:3 kann es ja nicht werden."
Über ihr Abschlusseinzel als hohe Favoritin gegenüber Eerland:
"Das konnte ich eigentlich nicht verlieren. Ich bin normalerweise eindeutig besser als sie. Und trotzdem war ich nervös, gerade im ersten Satz. Als sie dann am Anfang einen Aufschlagfehler gemacht hat, wusste ich, dass sie noch nervöser sein muss als ich. Das hat mir geholfen. Danach ging's mir viel besser."
Bundestrainerin Jie Schöpp über die Bedeutung der Goldmedaille:
"Für uns ist der Titel etwas ganz Besonderes, denn es sind die ersten European Games. Wir sind mit großem Selbstvertrauen angereist. Wir haben uns gesagt: 'Wir müssen nicht gewinnen, aber wir wollen es unbedingt."
Darüber, ob das Doppel das Schlüsselspiel war:
"Bei einem so knappen Spiel, bei einem 3:2, ist jedes einzelne Spiel ein Schlüsselspiel."
Darüber, welcher Titel höher zu bewerten ist - der der European Games oder der bei der EM:
"Hier zu gewinnen war schwerer als bei der EM. Die European Games werden im Olympia-System ausgetragen, und wir haben nur drei Spielerinnen zur Verfügung. Bei Europameisterschaften sind wir zu fünft, können taktisch noch mehr variieren und sind damit für unsere Gegnerinnen noch schwerer auszurechnen. Deshalb ist diese Goldmedaille eine besondere Bestätigung unseres EM-Titels.“
Damen-Mannschaft
Spiel um Gold: Deutschland - Niederlande 3:2
Han Ying - Li Jiao 0:3 (-9,-10,-5,)
Shan Xiaona - Li Jie 3:1 (4,-8,8,5)
Doppel: Shan/Petrissa Solja - Britt Eerland/Li Jiao 3:2 (-8,7,9,-7,7)
Solja - Li Jie 0:3 (-8,-7,-9)
Han - Eerland 3:0 (1,2,6)
Spiel um Bronze
Tschechien - Ukraine 3:1
Iveta Vacenovska - Tetyana Bilenko 3:1 (7,-9,6,3)
Renata Strbikova - Margaryta Pesotska 1:3 (-8,5,-5,-6)
Hana Matelova/Strbikova - Bilenko/Ganna Gaponova 3:2 (-7,9,-9,6,8)
Vacenovska - Gaponova 3:0 (7,8,9)
Die Medaillenentscheidungen bei den Herren
Spiel um Bronze, Deutschland - Österreich 0:3
Patrick Baum - Daniel Habesohn 0:3 (-8,-4,-12)
Timo Boll - Robert Gardos 0:3 kampflos
Baum/Dimitrij Ovtcharov - Habesohn/Stefan Fegerl 1:3 (-9,-7,7,-10)
Spiel um Gold, Portugal – Frankreich 3:1
Tiago Apolonia - Adrien Mattenet 3:0 (11,9,6,)
Marcos Freitas - Simon Gauzy 3:2 (8,-10,8,-9,5)
Apolonia/Joao Geraldo - Gauzy/Emmanuel Lebesson 2:3 (-5,-6,11,10,-6)
Geraldo - Mattenet 3:0 (4,10,9)
Übrigens: Ein Deutscher stand bei der Herren doch im Finale: Klaus Seipold aus Meerbusch leitete mit seinem dänischen Schiedsrichterkollegen Preben Sondergaard das Endspiel.
Das deutsche Aufgebot in Baku
Herren-Mannschaft: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll, Patrick Baum
Herren-Einzel: Dimitrij Ovtcharov, Timo Boll
Damen-Mannschaft: Han Ying, Petrissa Solja, Shan Xiaona
Damen-Einzel: Han Ying, Petrissa Solja
Betreuer: Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf und Assistent Zhu Xiaoyong, Damen-Bundestrainerin Jie Schöpp, Teilmannschaftsleiter Rainer Kruschel, Dr. Rainer Eckhardt (Mannschaftsarzt, Ulm), Annette Zischka (Physiotherapeutin Olympiastützpunkt Hessen in Frankfurt am Main)
Für das ETTU-Präsidium vor Ort: Heike Ahlert (DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport)
Deutsches Schiedsrichter-Team in Baku: Michael Zwipp (Oberschiedsrichter, Langen), Gerhard Schnabel (Schläger-Tester, Karlsfeld), Gert Selig (Hannover), Klaus Seipold (Meerbusch)
Pressekonferenz nach dem Medaillengewinn: Wie schwer ist so eine Goldmedaille eigentlich? Video by DOSB (Jörg Stratmann)