Suzhou. Es war absolutes Weltklasse-Tischtennis, das Timo Boll und Fan Zhendong den 5.500 Zuschauern im ausverkauften International Expo Centre im Viertelfinale der Weltmeisterschaften von Suzhou boten. Die überwiegend chinesischen Zuschauer waren derart begeistert, dass sie sogar in die „Ti-mo, Ti-mo“-Anfeuerungsrufe der wenigen deutschen Fans in der Halle einstimmten. „Es war ein Spiel mit Wahnsinnsballwechseln - ein Jahrhundertspiel, egal ob man Fan von Timo oder von Fan Zhendong ist“, brachte es Michael Geiger auf den Punkt, Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes. Allein, es reichte nicht für den Rekord-Europameister. Am Ende einer Partie auf Augenhöhe mit beeindruckenden Rallyes, in der sich beide Athleten kaum eine Schwächephase leisteten, triumphierte der 18-jährige Fan Zhendong in sechs Sätzen.
Es waren Kleinigkeiten, die den Ausschlag für den Chinesen gaben. Ein nicht genutzter Satzball Bolls bei 10:9 in Durchgang eins oder die 9:7-Führung im Zweiten. Ein 2:0 in Sätzen - für die Asiaten, die mit Führungen im Rücken wie entfesselnd spielen, ist es die halbe Miete. „Leider brechen einem die Sätze, die man gegen die Chinesen nicht gewinnt, am Ende das Genick“, weiß Boll. Seiner spielerischen, taktischen und mentalen Stärke war es zu verdanken, dass der Weltranglisten-Siebte noch einmal zurückkam. Und seiner hervorragenden Beweglichkeit am Vorschlusstag der WM. Nach einem Zwei-Punkte-Rückstand bis zur Mitte des dritten Satzes kam er nach der von Bundestrainer Jörg Roßkopf bei 4:6 genommenen Auszeit erst heran, konnte sich dann absetzen und auf 1:2 verkürzen. Der Vierte ging wieder an die Nummer vier der Welt. „Fan Zhendong ist ein saustarker Spieler. Ich habe starke Bälle gespielt, auf die er eine noch bessere Antwort hatte. Da musste ich manchmal selbst staunen und den Punkt auch einfach mal abnicken“, lobte Boll.
Hitzeschlacht im Hexenkessel
Im fünften Durchgang behielt Boll den Druck bei und die Nerven in der Verlängerung. Er wehrte den Matchball Fans bei 10:11 ab und nutzte seinen vierten Satzball zum 15:13. In Satz sechs gab Timo Boll noch einmal alles, sichtlich gehandicapt von der Hitze und großen Feuchtigkeit in der Halle, die den Schläger in seiner linken Schlaghand ins Rutschen brachten.
„Es waren schwere äußere Verhältnisse. Ich habe auch mit dem Schweiß gekämpft, vor allem mit meiner nassen Hand hier in diesem schwül-warmen Hexenkessel“, beschrieb er. „Direkt nach der Handtuchpause habe ich die Rückhand immer besser getroffen, als später wenn alles schon wieder so schmierig und pappig war. Für ihn waren es aber die gleichen Umstände. Nach jedem Schlag habe ich Tropfen fliegen sehen, es war eine richtige Hitzeschlacht.“
Akrobatische Einlage mit Handwechsel und Hechtsprung
Fan Zhendong trotzte einfach allen Widrigkeiten. Auch dem Druck. Er, der sich mit seiner Leistung auch für die Olympischen Spiele in Rio empfehlen wollte, wirkte erstaunlich abgeklärt in seinem ersten Viertelfinale bei einer Einzel-WM.
Auch akrobatische Einlagen fehlten in dem Duell der Asse nicht: Mit einem fliegenden Wechsel des Schlägers von der linken in die rechte Hand und einem Hechtsprung war jedoch Fans Ball in Bolls eigentlich tiefe Rückhand zum 7:10 und damit zweiten Matchball nicht mehr zu erreichen. Seine nächste Chance nutzte der Chinese zum Sieg.
Roßkopf: „Unglaublich hohes Level“
„So ein Spiel haben mir sicher viele nicht mehr zugetraut. Es ist eine meiner Stärken, dass ich mich dem Niveau meiner Gegner anpassen kann, wenn ich die Spannung halten kann und dazu getrieben werde“, erklärte Timo Boll. „Es war ein großartiges Spiel, das riesen Spaß gemacht hat. Ich habe sogar die chinesischen Zuschauer auf meine Seite gezogen, und das bei einem Spiel in China gegen einen Chinesen. Das macht mich stolz, denn das bedeutet, dass ich in meiner Karriere wohl nicht viel falsch gemacht habe.“
Auch der Bundestrainer war angetan von der Leistung seines Schützlings. „Es war ein Spiel auf einem unglaublich hohen Level, das in beide Richtungen hätte gehen können“, befand Jörg Roßkopf. „Fan Zhendong hat Timo ständig bombardiert, hat mit viel Power gespielt und kurzen Bewegungen. Timo hat bis zum letzten Ball den Druck aufrecht erhalten. Bei allen Turnieren, die Timo spielt, ist er gut, deshalb müssen wir uns um Rio 2016 bei ihm keine Gedanken machen. Bei den großen Turnieren kann er alles rausholen. Jeder Spieler hat Respekt vor ihm, auch die Chinesen.“
Franziska: „Ich soll genießen, dass ich im Viertelfinale gestanden habe“
Auch Patrick Franziska gelang der Griff nach der Medaille nicht. Im Spiel der Nummer 56 der Welt gegen die Nummer 14, die beide erstmals in einem WM-Viertelfinale im Einzel standen, unterlag der 22-jährige Düsseldorfer mit 1:4. Franziska spielte ab dem zweiten Satz gut mit, Fang Bo, der in der Runde zuvor den Weltranglisten-Zweiten Xu Xin ausgeschaltet hatte, zeigte ihm aber an einigen Stellen deutlich die Grenzen auf. Die sah der Deutsche weniger im Aufschlag-Rückschlag-Spiel. „Da war ich so gut wie er, vielleicht sogar einen Tick dominanter“, sagte der Team-WM-Zweite von Tokio, „aber wenn er dann den ersten Ball gezogen hat, war eine unglaubliche Wucht dahinter. Ich muss noch an der Schnelligkeit arbeiten.“ Nach nervös begonnenem ersten Durchgang (Franziska: „Am Anfang ging mir alles zu schnell.“) hatte sich der zweifache German-Open-Sieger im Doppel etwas besser auf das hohe Niveau seines Kontrahenten eingestellt, ihm gelangen kleine Führungen in einzelnen Sätzen, und er konnte den dritten Satz sogar gewinnen. Trotzdem schlugen noch zu viele krachende vor allem Vorhände seines Gegners zu dessen Punktgewinn bei ihm ein.
So dicht vor einer Medaille war der wie Boll gebürtige Hesse zwar etwas enttäuscht, aber auch stolz auf das Erreichte. Das hatte ihm auch Jörg Roßkopf vermittelt: „Rossi war zufrieden mit mir. Er hat mir nach dem Spiel gesagt, ich solle mich nicht zu sehr ärgern und zu hart mit mir ins Gericht gehen, sondern genießen, dass ich hier im Viertelfinale gestanden habe.“
"Alles in allem war es eine gute WM für uns“, bilanzierte Heike Ahlert, die DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport. „Wir waren dreimal im Viertelfinale vertreten, außerdem einmal im Achtelfinale.“ Neben Boll und Franziska stand auch das einzige deutsche gemischte Doppel im Turnier, Steffen Mengel/Petrissa Solja, in der Runde der besten Acht. Abwehrass Irene Ivancan erzielte mit der Runde der besten 16 im Einzel das beste WM-Resultat ihrer Karriere.
Chinesisches Halbfinale im Herren-Einzel / Verletzte Ding Ning wird Weltmeisterin / Europäisches Damen-Doppel in der Vorschlussrunde
Im Halbfinale am Sonntag trifft Fan Zhendong auf Timo Bolls Doppelpartner Ma Long. Fang Bo bekommt es mit Titelverteidiger und Olympiasieger Zhang Jike zu tun.
Ding Ning hat nach ihrem Triumph von Paris 2013 ihren zweiten WM-Titel im Einzel gewonnen. In einem dramatischen Finale gegen ihre chinesische Nationalteamkollegin Liu Shiwen behielt sie in sieben Sätzen die Oberhand. Nachdem Liu einen 1:3-Satzrückstand egalisiert hatte und sich bereits auf der Siegerstraße befand, knickte Ding im siebten Satz beim Stand von 0:2 um und musste minutenlang behandelt werden. Liu Shiwen war danach sichtlich verunsichert und konnte die Schwäche der außerhalb der Ballwechsel auf der Spielfläche humpelnden Ding nicht ausnutzen. Als die Partie bei 8:6 auch noch ein "Zeitspiel" wurde und für die Wechselmethode eine zusätzliche Schiedsrichterin in die Box kam, war Lius Konzentration endgültig dahin.
Boll und Franziska waren nicht nur die letzten Deutschen, sondern bei den Herren auch die letzten Europäer im Turnier. Bei den Damen ist der Alte Kontinent durch das niederländisch-polnische Doppel Li Jie/Li Qian im Halbfinale am Sonntag vertreten.
WM ist medial bereits jetzt ein großer Erfolg für die Weltverband
Die Weltmeisterschaften in Suzhou werden medial hervorragend angenommen. Allein die WM-Zuschauer des chinesischen Staatsfernsehens in den ersten fünf Tagen von Suzhou liegen nach Angaben des Weltverbands ITTF bei mehr als 185 Millionen. Die höchste Quote bisher gab es am Freitagabend Ortszeit mit den Achtelfinals im Herren-Einzel, den Viertelfinals der Damen und dem Endspiel im gemischten Doppel. Fast zwei Millionen individuelle Facebook-Nutzer registrierten die WM-Meldungen und Fotos des Weltverbands. Auf ittf.com erzeugten zwischen dem 26. und 30. April rund fünf Millionen User Klickzahlen in dreistelliger Millionenhöhe.
Die Ergebnisse des vorletzten WM-Tags
Herren-Einzel, Viertelfinale
Timo Boll - Fan Zhendong CHN 2:4 (-10,-9,8,-7,13,-7)
Patrick Franziska - Fang Bo CHN 1:4 (-5,-9,8,-5,-5)
Ma Long CHN - Tang Peng HKG 4:0 (7,9,6,1)
Zhang Jike CHN - Jun Mizutani JPN 4:1 (4,6,-10,5,9)
Halbfinale und Finale am Sonntag
Ma - Fan
Fang - Zhang
Herren-Doppel, Halbfinale
Xu Xin/Zhang Jike CHN - Lee Sangsu/Seo Hyundeok KOR 4:2 (-9,6,9,6,-4,3)
Fan Zhendong/Zhou Yu CHN - Koki Niwa/Kenta Matsudaira JPN 4:0 (6,7,6,6,)
Finale am Samstag um 15.15 Uhr (21.15 Uhr)
Xu/Zhang - Fan/Zhou
Damen-Einzel, Halbfinale
Ding Ning CHN - Mu Zi CHN 4:3 (-9,6,10,-5,6,-1,6)
Li Xiaoxia CHN - Liu Shiwen CHN 1:4 (-6,-8,9,-7,-8)
Finale
Ding – Liu 4:3 (-7,13,7,9,-9,-4,8)
Damen-Doppel, Halbfinale am Sonntag um 4 und 9 Uhr (10 und 15 CHN)
Ding Ning/Li Xiaoxia CHN - Li Jie/Li Qian POL
Liu Shiwen/Zhu Yuling CHN - Feng Tianwei/Yu Mengyu SIN
Finale um 12.45 Uhr (18.45 CHN)