Von André König
Nur ein dünner Lichtstrahl bahnte sich seinen Weg durch das schmutzige kleine Fenster des Schuppens. Michel konnte darin den Holzstaub wirbeln sehen, dessen kleine Partikel selbst dann munter im Licht tanzten, wenn er ganz still stand. Der Lichtstrahl durchquerte den Tischlerschuppen und fiel auf die Hobelbank, an der Michel schon so manche Stunde verbracht hatte.
Michel war ein kleiner wilder und eigensinniger Junge - obwohl er nett aussah, das tat er wirklich. Immer wenn er Unfug trieb, seine Schwester ärgerte oder sonst irgendwie den Unmut seiner Eltern auf sich zog, sperrte ihn sein Vater zur Strafe in den Tischlerschuppen. Da gab es so viele Holzstücke und Bretterreste, aus denen man etwas machen konnte. Immer, wenn er zur Strafe wieder einmal in den Schuppen musste, schnitzte Michel einen Tischtennisschläger. Michel, das muss man wissen, liebte es Tischtennis zu spielen. Vor allem Rundlauf hatte es ihm angetan. Michel hatte schon so oft Unfug getrieben, dass er bereits das ganze Dorf mit Schlägern versorgt hatte, wenngleich es im ganzen Dorf nur einen einzigen Tisch gab, an dem man überhaupt spielen konnte. Selbst neu zugezogene Dorfbewohner hätte er problemlos ausstatten können. Er hatte alle Varianten geschnitzt: Dicke, dünne, feste, weiche. Mal aus diesem, mal aus jenem Holz. Einmal hatte er seine Schläger sogar verschickt. An die deutsche Nationalmannschaft.
Michel begann zu zittern, während er darüber nachdachte. Es war der 12. Dezember und bitter kalt. Im kleinen Dorf Lönneberger lag schon seit Ende November der Schnee. Er hauchte gegen die Fensterscheibe und wischte mit seinem Ärmel einen kleinen Kreis sauber. In der Ferne konnte er den hell erleuchteten Hof der Schölers sehen. Sie waren gerade dabei ihre hoch gewachsene Tanne vor dem Haus mit Lichterketten zu versehen. Etwas spät, befand Michel. Da klopfte es dreimal kräftig gegen die Schuppentür. Michel erschrak. Noch nie hatte sein Vater geklopft, bevor er ihn zurück ins Haus holte.
Doch es war nicht sein Vater, dessen Silhouette sich nun in der Tür abzeichnete. Viel kleiner und auch irgendwie jünger. Genaugenommen konnte Michel gar nicht so recht sagen, ob es überhaupt ein Mensch war. Mit seiner langen Nase und den Spitzen Ohren sah der kleine Junge eher wie ein Elf aus. Michel hatte ihn in Lönneberger noch nie gesehen. Und er kannte wirklich jeden hier.
„Ich brauche deine Hilfe“, hauchte der Elf in das halbdunkel des Schuppens. Der Staub wirbelte im Lichtstrahl umher, als hätte nebenan ein Helikopter den Startvorgang eingeleitet. „Ich habe nämlich ein Problem“, führte er seine Bitte weiter aus. „Es war gar nicht so Leicht dein Haus zu finden Herr Michel. Es ist nämlich sehr klein und um ehrlich zu sein: auch nicht so richtig gemütlich.“ Der Elf schüttelte sich und klopfte den Schnee von seiner Mütze. „Aber das ist doch nicht mein Haus“, erwiderte Michel, „ und woher kennst du überhaupt meinen Namen?“ „Wie auch immer“, fuhr der Elf fort, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken auf Michels Frage einzugehen, „dein Haus, mein Haus, unser aller Haus. Es ist zwar klein und ungemütlich, aber im Grunde perfekt geeignet.“ „Wie geeignet?“ Michel schaute den kleinen Kerl verdutzt an. „Herr Michel! Liest du denn keine Zeitung? Deutschland ist Tischtennis-Weltmeister geworden. Mit deinen Schlägern Herr Michel. Und jetzt verzeichnen wir einen rapiden Anstieg der Schlägerwünsche zu Weihnachten. Und da ich für die Geschenke aus Holz zuständig bin, mit der Anfertigung aber nicht hinterher komme, brauche ich deine Hilfe Herr Michel. Ach was sage ich, alle Kinder, die sich einen Schläger wünschen brauchen deine Hilfe.“
Michel staunte nicht schlecht. Weltmeister? Mit seinen Schlägern? Michel schüttelte kräftig seinen Kopf, in dem Glauben, er würde Träumen. Doch anstelle dessen schüttelte er lediglich seine Zweifel ab, als er den Elfen immernoch vor sich sah. Der Elf schien seine Zweifel zu spüren und streckte ihm seine kleine Hand entgegen: „Nun, was ist? Hilfst du mir jetzt oder wie, Herr Michel? Oder muss ich dem Weihnachtsmann melden, dass wir in diesem Jahr Produktionsschwierigkeiten hatten?“
Ohne auch nur eine weitere Sekunde nachzudenken schlug Michel ein und so begann Michels längste Zeit im Schuppen, die er je dort verbracht hatte. Nur zum Essen ging er ins Haus und kehrte anschließend sofort wieder zurück. Der Elf musste irgendwie niemals essen, was ihn zum besten Arbeiter überhaupt machte. Sie produzierten Schläger um Schläger, es wurde Nacht und es wurde Tag und als der 24. Dezember kam, waren alle Schläger fertiggestellt. Kein Kind würde in diesem Jahr leer ausgehen müssen.
Noch viele Jahre erzählte man sich im Dorf die Geschichte über das Weihnachtsfest, welches ihr Michel gerettet hatte. Und spätestens seitdem eine Frau namens Astrid Lindgren Michels Geschichte aufgeschrieben hat, kennt jedes Kind die Erzählungen vom immer zu Streichen aufgelegten Michel aus Lönneberger, der dank seiner Tischtennisschläger Weihnachten gerettet hat.
Frohe Weihnachten!