Suzhou. Dimitrij Ovtcharov war ob der Spielstärke seines Gegners vorgewarnt gewesen, hatte bei den Qatar Open bereits sieben Sätze gegen ihn benötigt und in Suzhou schon direkt nach der Auslosung seinen Respekt vor Lee Sangsu bekundet. Es kam noch schlimmer. Die Nummer 47 der Welt aus Südkorea überrollte den verdutzten Ovtcharov in den ersten beiden Durchgängen geradezu. Zwar konnte er sich nach 0:2-Satzrückstand ins Match kämpfen und glich auch nach 2:3 in Sätzen wieder aus, lief aber immer wieder Rückständen hinterher und versuchte dann zu häufig, über Rückhand-Duelle in sein Spiel zu finden. Doch gerade da war der Koreaner an diesem Tag stärker, gewann schließlich den Entscheidungsdurchgang deutlich mit 11:6. „Ich habe zu lange gebraucht, um mich seinem hohen Niveau anzupassen. Mit diesem hohen Level hatte ich nicht gerechnet. Ich war dann zu verkrampft, gar nicht mehr leichtfüßig. Ich hätte einfach besser starten müssen“, erklärte Ovtcharov.
Der 26-jährige zweifache Olympia-Dritte von London hatte sich viel vorgenommen für dieses Turnier und offen seinen Ambitionen auf eine Einzelmedaille geäußert. „Ich habe viel investiert in den letzten Monaten. Bei den letzten beiden WMs war ich im Achtelfinale und bin jetzt in der zweiten Runde ausgeschieden“, sagte er enttäuscht. Jörg Roßkopf tröstete seine und Europas Nummer eins. „Wenn man sich die Ballwechsel anguckt, war das eine hochklassige Partie. Dima ist natürlich jetzt so enttäuscht wie Timo es gestern war. Er hat sich auf die WM so vorbereitet wie auf Olympia“, so der Herren-Bundestrainer. „Nur hat es bei Weltmeisterschaften bisher für ihn noch nicht geklappt. Er darf nicht vergessen, dass auch Timo lange auf seine WM-Medaille gewartet hat. Dima ist noch jung; er wird noch viele Chancen bekommen.“
Beide Medaillenhoffnungen gegen „Granaten“ ausgeschieden
Nach dem Aus des deutsch-chinesischen Doppels Timo Boll/Ma Long am Vortag war dies die nächste bittere Niederlage für Team Deutschland. „Der Grund, warum beide Medaillenhoffnungen schon ausgeschieden sind, ist, dass beide gegen Granaten gespielt haben, Timo im Doppel mit Ma Long und Dima jetzt im Einzel“, sagte Coach Roßkopf. Auch Bastian Steger ereilte nach Führungen gegen den Ukrainer Kou Lei überraschend das frühe Aus.
Timo Boll ist am Donnerstag immerhin ebenso weiter im Rennen wie Patrick Franziska, der sich im deutschen Duell gegen seinen WM-Zimmergenossen Steffen Mengel durchsetzte. „Ich habe super Bälle getroffen. So gut wie heute habe ich schon lange nicht mehr gespielt. Auch vor der Fußverletzung kann ich mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt so gespielt habe“, erklärte der Team-WM-Zweite von Tokio. Seine Euphorie war wegen der Partie gegen seinen Kumpel jedoch gedämpft trotz der hervorragenden Leistung.
Boll "musste viel arbeiten" gegen Dyjas
Boll hatte bei ebenfalls gutem Spiel mehr Schwierigkeiten gegen den 19-jährigen Polen Jakub Dyjas, als ihm selbst und allen deutschen Fans im Suzhou International Expo Centre lieb war. Erst in der Verlängerung des sechsten Satzes rang er den zukünftigen Ochsenhausener TTBL-Akteur nieder. „Fast jeder Satz stand auf der Kippe, es war ein super Spiel“, erklärte Jörg Roßkopf. „Er hatte ein gutes Gefühl für Timos Bälle, eine gute Kontrolle. Timo musste für jeden Ball sehr viel arbeiten. Er hat sich aus der engen Situation gut herausgezogen.“
Boll war bei aller Dramatik zufrieden mit seiner eigenen Leistung, denn es war der Gegner, der gegen ihn brillierte. „Er hat auf meine Bälle ein unglaublich gutes Gefühl. Ich habe keine einfachen Punkte bekommen, musste richtig viel arbeiten. Das hat sich gelohnt“, so Boll. Eine Erinnerung an die Weltmeisterschaften 2003 in Paris benötigte Boll nicht. Damals war er als Weltranglisten-Erster und Topfavorit zum Turnier gereist. „Ich kenne das Gefühl, in der zweiten Runde bei einer WM auszuscheiden. Das ist mir vor zwölf Jahren passiert. Das brauche ich nicht wieder.“
Mixed verpasst Medaille nach Sieg über die an zwei Gesetzen
Das einzige deutsche Mixed im Turnier, Steffen Mengel/Petrissa Solja, hat sich zu keiner Zeit unter Wert verkauft, war am Ende aber dennoch selbst enttäuscht. Noch am Morgen hatte das nicht eingespielte Duo die an Position zwei gesetzten Hongkong-Chinesen Jiang Tianyi/Lee Ho Ching in fünf Sätzen ausgeschaltet. Zehneinhalb Stunden später markierten dann Xu Xin/Yang Haeun das Aus in der Runde mit Blick auf die Medaillen, dem Viertelfinale. Das 0:4 war zumindest in zwei Durchgängen weniger deutlich, als es das bloße Ergebnis nahelegt. Die Deutschen konnten in Satz eins Führungen von 7:3 und 10:8 nicht nutzen, auch den dritten Satz hielten sie lange offen. Ausschlaggebend war ein überragender Xu Xin, der am Vortag auch dem Doppel Boll/Ma Long das Leben schwer gemacht hatte.
„Xu Xin hat die Punkte gemacht, Yang hat die Bälle nur auf den Tisch gespielt“, befand „Peti“ Solja. „Er hat mit der Vorhand unheimlich fest gespielt, und sein Rückschlag ist Wahnsinn. Im zweiten Satz hat er einen Ball gespielt, den ich noch nie gesehen habe. Er hat aus allen Lagen getroffen.“ Trotzdem war das DTTB-Duo phasenweise nahe dran. „Es ist schade: Wenn man schon mal so weit gekommen ist, will man auch eine Medaille, und wir hatten wirklich unsere Chancen“, so Solja.
Soljas enger Zeitplan: Unerwartete Einzel-Niederlage gegen Grzybowska
Im Einzel kassierte die amtierende Deutsche Meisterin eine unerwartete Niederlage gegen die stark aufspielende Polin Katarzyna Grzybowska in sieben Sätzen - direkt im Anschluss an das am Morgen gewonnene Mixed und daher ohne Vorbereitungszeit auf das Einzel. „Ich weiß nicht, wer diesen Zeitplan gemacht hat. Das kann man nicht gerade die optimale Vorbereitung nennen“, ärgerte sich Solja. „Schade, ich habe in letzter Zeit so gut gespielt und konnte das ausgerechnet bei der WM nicht abrufen.“ Bundestrainerin Jie Schöpp hatte nach Soljas furiosem Auftritt in Mixed gegen Hongkong eine einleuchtende Erklärung.
„Meiner Erfahrung nach macht es das fürs Einzel schwer, wenn man sehr auf Doppel und Mixed eingestellt ist. Mixed sogar mehr, weil man dann auch noch mit Männern spielt. Du änderst deinen Rhythmus fürs Doppel und Mixed, spielst zum Beispiel kürzere Ballwechsel“, begründete die ehemalige Weltklassespielerin. „Du gewöhnst dich daran und bleibst dann im Einzel plötzlich früher stehen. Im Mixed hat Peti über ihren eigenen Verhältnissen gespielt. Beim Einzel direkt danach ist es für den Kopf schwer, sich umzugewöhnen.“
Doppel-Niederlagen gegen Asiens Beste
Die Niederlage von Sabine Winter gegen die Weltranglistenvierte Feng Tianwei ging in Ordnung, fiel nach dem Geschmack der Doppel-Europameisterin allerdings zu deutlich aus. WM-Debütantin Nina Mittelham konnte trotz großen Trainingsrückstands gegen Europas Topspielerin Elizabeta Samara aus Rumänien mehr als gut mithalten und hatte ihre Chancen in den sechs Sätzen. Beide Damen-Doppel schieden nach ansprechenden Leistungen gegen top eingespielte asiatische Favoritinnen aus, Kristin Silbereisen/Sabine Winter gegen Ai Fukuhara/Misako Wakamiya aus Japan mit 2:4, Nina Mittelham/Petrissa Solja gegen Chinas Beste, Ding Ning/Li Xiaoxia.
Irene Ivancan ließ der mit ihren Defensivkünsten völlig überforderten Slowenin Manca Fajmut in vier Sätzen keine Chance. „Sie hat es sich verdient, in der zweiten Runde zu stehen. Gegen Prokhorova gestern hat sie ein richtig gutes Spiel gemacht“, erklärte Ivancan, die ehemalige EM-Finalistin im Einzel. „Aber sie ist keine Spezialistin gegen Abwehr. Gefühlt hat sie in den vier Sätzen drei Topspins gezogen.“
Am Donnerstag um 10 Uhr deutscher Zeit bekommt es Irene Ivancan erstmals mit der Südkoreanerin Park Youngsook zu tun, die sich im nationalen Duell gegen Abwehrass und Top-Ten-Spielerin Seo Hyowon durchgesetzt hatte. Park kennt sich mit Defensivsystemen also aus. Doch Ivancan ist als moderne Abwehrspielerin variabel und findet außerdem: „Ich kann mich über das Los nicht beschweren, schließlich hätte es auch eine Chinesin sein können.“
Die Herren veranstalten eine halbe EM-Final-Revanche gegen Portugal: Timo Boll spielt um 14.30 Uhr deutscher Zeit gegen Joao Monteiro, Patrick Franziska um 13.45 Uhr gegen die Nummer eins des Team-Europameisters, den Weltranglistenachten Marcos Freitas.
Die Spiele der Deutschen am Mittwoch
Damen-Einzel, 2. Runde (64)
Irene Ivancan - Manca Fajmut SLO 4:0 (5,8,2,5)
Petrissa Solja - Katarzyna Grzybowska POL 3:4 (-3,7,8,-8,-3,8,-5)
Sabine Winter - Feng Tianwei SIN 0:4 (-9,-2,-6,-8)
Nina Mittelham - Elizabeta Samara ROU 2:4 (-11,13,-3,-7,9,-9)
Gemischtes Doppel, Achtelfinale
Steffen Mengel/Petrissa Solja - Jiang Tianyi/Lee Ho Ching HKG 4:1 (-7,11,12,5,7)
Viertelfinale um 15.30 (21.30)
Mengel/Solja - Xu Xin/Yang Haeun KOR 0:4 (-11,-6,-9,-7)
Herren-Einzel, 2. Runde (64)
Timo Boll - Jakub Dyjas POL 4:2 (9,-7,-6,5,7,13)
Dimitrij Ovtcharov - Lee Sangsu KOR 3:4 (-6,-9,4,8,-6,3,-6)
Patrick Franziska - Steffen Mengel 4:1 (9,-9,6,3,6)
Bastian Steger - Kou Lei UKR 2:4 (4,12,-8,-9,-8,-4)
Damen-Doppel, Achtelfinale
Silbereisen/Winter - Ai Fukuhara/Misako Wakamiya JPN 2:4 (-10,-4,7,-10,-4)
Mittelham/Solja - Ding Ning/Li Xiaoxia CHN 0:4 (-9,-2,-2,-3)
Die Spiele der Deutschen am Donnerstag
Damen-Einzel, 3. Runde (32)
Ivancan - Park Youngsook KOR, 10.00 Uhr deutscher Zeit (16 Uhr CHN)
Herren-Einzel, 3. Runde (32)
Patrick Franziska - Marcos Freitas POR, 13.45 (19.45)
Timo Boll - Joao Monteiro POR, 14.30 (20.30)