Schwechat. Viermal Gold, zweimal Silber, zweimal Bronze; insgesamt acht Medaillen in sechs Wettbewerben haben die Asse des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) bei en 32. kontinentalen Titelkämpfen in Schwechat (Österreich) geholt – Rekord in der 55-jährigen EM-Historie. Nach den zwei Titelgewinnen mit der Herren- und Damen-Mannschaft bestiegen am Sonntag auch Dimitrij Ovtcharov und das Doppel Sabine Winter/Petrissa Solja Europas Thron. Viermal Gold für Deutschland – das ist ein weiterer EM-Rekord. Je drei Titel hatte es 1962, 1996, 1998 und von 2007-2010 gegeben. Die Gesamtzahl der deutschen Medaillen bei Europameisterschaften erhöht sich damit auf 104. Am Schlusstag gewann Shan Xiaona bei ihrer ersten Silber im Damen-Einzel, Bastian Steger wiederholte seine Bronzemedaille von 2012. Auch Han Ying darf sich über Einzel-Bronze freuen, ebenso wie das Doppel Shan Xiaona/Zhenqi Barthel im Doppel über Silber.
Zuerst legte er ungläubig die Hände auf den Kopf, dann stieg er auf den Tisch, um sich feiern zu lassen und lief im Anschluss zu seiner Verlobten Jenny Mellström auf die Tribüne, um sich den verdienten Sieger-Kuss abzuholen. Der Einzel-Europameister 2013 heißt Dimitrij Ovtcharov. „Ich kann das gar nicht richtig fassen. Das ist nach Olympia der größte Erfolg in meiner Karriere“, sagte der 25-Jährige in der Mixed-Zone und rief: „Heute geht alles auf mich!“ Ovtcharov ist erst der dritte Deutsche nach Jörg Roßkopf (1992) und Timo Boll (2002, 2007, 2008, 2010-2012), der sich Europas Krone aufgesetzt hat. Im Finale besiegte der zweifache Olympia-Dritte von London 2012 den dreifachen Einzel-Europameister Vladimir Samsonov glatt in vier Sätzen. 2007 in Belgrad hatte Ovtcharov schon einmal Einzel-Bronze gewonnen.
Beim russischen Verein und Champions-League-Sieger Fakel Gazprom Orenburg sind sie erfolgreiche Teamkollegen, am Sonntag standen sie sich in einem großen Finale gegenüber. „Das ist ein sehr ergreifender Moment für mich. Vladi war schon das Idol meiner Kindheit. Mit ihm spiele ich seit vier Jahren in der Mannschaft, er ist ein guter Freund. Wir kennen uns in- und auswendig. Heute lief einfach alles wie aus einem Guss“, sagte Ovtcharov. Nur im dritten Satz, als es nach einer 7:1-Führung plötzlich 8:10 stand, habe er etwas Sorge gehabt. Ansonsten dominierte der Deutsche die Partie klar. „Wenn ich gegen Dima gewinnen will muss ich 100 Prozent spielen, das ist mir heute nicht gelungen. Dima hat unheimlich konzentriert gespielt, nicht nur im Finale sondern vom ersten Turniertag an“, sagte Silbermedaillengewinner Samsonov, für den es die insgesamt 15. EM-Medaille seiner Karriere ist.
„Seine Zeit war einfach reif. Dima ist ungeschlagen geblieben, er hat bei diesem Turnier in einer anderen Liga gespielt“, sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf. In der Tat war es eine Demonstration der Stärke des Weltranglisten-Sechsten, der im Einzel-Wettbewerb in sechs Spielen gerade einmal drei Sätze abgab. „Es war klar, dass er bei diesem Turnier nur aus dem eigenen Lager gestoppt werden kann. Der einzige Spieler, der gegen Dima eine Chance hatte, war Basti (Bastian Steger)“, betonte Roßkopf.
Im Halbfinale war Ovtcharov gegen Nationalmannschaftskollege Bastian Steger mit 4:2 siegreich geblieben. Bei den deutschen Meisterschaften 2012 in Berlin und Bamberg 2011 hatte Steger das Duell im Finale jeweils für sich entschieden. Auch heute hatte der 32-jährige Olympia-Dritte mit der Mannschaft von London 2012 durchaus Chancen. Den ersten Satz gewann Steger sicher, im zweiten Durchgang stand es 8:7 für Steger, Ovtcharov nahm eine Auszeit und holte sich den Durchgang mit 11:9. „Wenn ich den Satz hole, glaube ich, dass ich gewinne. Dima war anfangs sehr nervös. Das war eine gute Chance, in das EM-Finale einzuziehen. Ich ärgere mich schon darüber. Aber dass ich hier Bronze gewinne, haben vorher die wenigsten gedacht. Das war ein gutes Turnier für mich“, sagte Steger. „Basti hat ein anderes Niveau als die anderen Gegner in den Runden zuvor. Er kennt mich sehr gut, spielt sehr schlau. Das war sehr hart“, hob Ovtcharov hervor.
Das zweite Spiel der Vorschlussrunde entschied Vladimir Samsonov mit 4:2 gegen den Überraschungs-Dritten Panagiotis Gionis für sich. Der griechische Abwehrspieler und gelernte Zahnarzt hatte das Publikum im Multiversum mit seinem spektakulären Spiel in den Bann gezogen und im Teamwettbewerb mit Griechenland sensationell Silber hinter Deutschland gewonnen.
Shan Xiaona verliert Finale gegen Li Fen in sechs Sätzen
Sie hat zwar zwei Finals verloren, aber bei ihrem EM-Debüt drei Medaillen gewonnen. Was die Zahl des Edelmetalls angeht, ist Shan Xiaona mit drei Medaillen die erfolgreichste deutsche Teilnehmerin bei den diesjährigen Titelkämpfen: Gold mit der Mannschaft, Silber im Doppel (mit Zhenqi Barthel) und Silber im Einzel. Viel zur goldenen fehlte nicht. Im Finale unterlag die amtierende deutsche Einzelmeisterin Li Fen (Schweden) in sechs Sätzen. Zwei Schlüsselmomente entschieden das Finale. Im dritten Satz führte Shan mit 5:1, gab dann allerdings zehn Punkte in Folge ab zum 5:11. Ein weiterer Knackpunkt war der fünfte Satz, den die 30-jährige Penholderspielerin vom Bundesligisten Berlin nach einer 7:4-Führung noch abgab. Shan war nach dem Endspiel untröstlich. „Ich bin sehr traurig. Ich hatte meine Chance“, sagte Shan, die sich zuvor nur eine 30- bis 40-prozentige Chance ausgerechnet hatte. Die beiden Finalistinnen kennen sich gut aus der Bundesliga, die Bilanz war in etwa ausgeglichen, den letzten Vergleich zwischen Shan (ehemals Kroppach, jetzt Berlin) und Li (ehemals Saarlouis-Fraulauter, jetzt Ströck/Österreich) hatte „Nana“ sogar für sich entschieden. „Ich habe ganz gut gespielt, leider hat es nicht gereicht. Jetzt bin ich einfach nur müde“, sagte Shan, die als einzige Spielerin am Sonntag drei Partien zu bestreiten hatte, Halbfinale und Finale im Einzel und das Doppel-Finale.
Im internen Halbfinale hatte sie zuvor die bis dato während der EM ungeschlagenen Han Ying mit 4:1 die Oberhand behalten. „Sie kennt mich so gut, wir trainieren fast täglich. Sie kennt meine Schnittwechsel und kann mit ihren kurzen Noppen gut agieren“, erklärte Han. „Für mich ist das eine Motivation, noch mehr zu trainieren und besser zu werden. Ich bin aber glücklich über das, was ich hier erreicht habe.“ Eine Bronzemedaille im Doppel und der Titel mit der Mannschaft, an dem die Abwehrspielerin maßgeblichen Anteil hatte. Han, seit Sommer im B-Kader, lebt in Düsseldorf und trainiert dort im Deutschen Tischtennis-Zentrum.
Winter/Solja: German-Open-Sieger, Deutsche Meister und jetzt auch Europameister
German-Open-Sieger 2012, Deutsche Meister 2013 und jetzt Europameister – Sabine Winter und Petrissa Solja waren in Schwechat nicht zu schlagen und sind seit heute auf dem Kontinent die Nummer eins. Im ersten deutschen Damen-Doppel-Finale bei einer EM überhaupt bezwang das junge Duo seine Nationalteamkolleginnen Shan Xiaona/Zhenqi Barthel in sechs Sätzen – und nach einem 0:2-Rückstand. „Das toppt einfach alles“, sagte eine strahlende
Sabine Winter. „Wir wussten, dass es schwer wird, haben aber an unsere Chance geglaubt.“ Für Petrissa Solja, die bei Linz AG Froschberg spielt und in Linz wohnt, war die EM fast ein Heimspiel. „Es ist schön, gerade hier den Titel gewonnen zu haben“, sagte Solja.
Für die Beteiligten war das Endspiel eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Die Partie hatte es im März im Finale der Deutschen Meisterschaften schon einmal gegeben, damals hatten Shan/Barthel mit 2:0 geführt, ehe Winter/Solja die Partie drehten. Im Multiversum spielten sich am Sonntag ähnliche Szenen ab. Shan/Barthel erarbeiteten sich einen 2:0-Vorsprung, doch dann drehten Winter/Solja auf, fighteten sich zurück in das Match und lagen sich nach dem Matchball in den Armen. „Das war wie in Bamberg, wir haben nicht den besten Start erwischt, lagen 0:2 und 3:6 hinten. Wir sind aber ruhig geblieben und haben an unsere Stärken geglaubt“, sagte Winter. Schon im Halbfinale gegen Dvorak/Shen (Spanien) hatten die 19-jährige Solja und die 20-jährige Winter einen 1:3-Rückstand in einen 4:3-Sieg umgemünzt und keine Nerven gezeigt. „Sabine und Peti haben ganz toll gespielt, wenn der Ballwechsel einmal lief, hatten wir eigentlich keine Chance“, erkannte Shan Xiaona neidlos an. Für Shans Doppelpartnerin, die deutsche Einzel-Meisterin von 2011 und 2006,
Zhenqi Barthel, war es nach Bronze 2009 in Stuttgart die zweite EM-Medaille im Doppel.
Gefragt zu einer Europameister-Feier sagte Petrissa Solja: „Da müssen wir erst einmal einen Plan aufstellen.“ Doppelpartnerin Sabine Winter sprang ihr gleich zur Seite: „Eine Feier werden wir schon irgendwie auf die Reihe kriegen.“
„Wir haben EM-Geschichte geschrieben“
Nach zehn Tagen Europameisterschaften in Schwechat, acht Medaillen und davon viermal Gold in sechs Wettbewerben fiel das Fazit des DTTB_Sportdirektors entsprechend aus: "Wir haben Rekorde aufgestellt und EM-Geschichte geschrieben. Der Erfolg ist aber kein Zufall", erklärte Dirk Schimmelpfennig. "Die überragende EM bestärkt uns beim Angriff auf die Konkurrenz aus China und Asien. Die Resultate geben uns auch einen Schub Richtung Olympia in Rio", sagte Schimmelpfennig.
Halbfinals und Finals am Sonntag
Herren-Einzel
Finale
Ovtcharov – Samsonov 4:0 (4,7,10,8)
Halbfinale
Ovtcharov – Steger 4:2 (-7,9,8,7,-7,8)
Samsonov – Gionis 4:2 (4,9,-10,8,-7,8)
Damen-Einzel
Finale
Shan Xiaona - Li Fen 2:4 (9,-4,-5, 10,-9,-6)
Halbfinale
Shan Xiaona – Han Ying 4:1 (10,5,8,-7,6)
Li Fen – Fu Yu 4:2 (9,8,8,-9,-7,5)
Damen-Doppel
Finale
Solja/Winter – Shan/Barthel 4:2 (10,9,-4,-10,9,6)
Herren-Doppel
Finale
Gardos/Habesohn – Tan Ruiwu/Wang Zeng Yi 1:4 (-6,-11,8,-8,-8)
Alle EM-Medaillengewinner
Herren-Einzel
Gold: Dimitrij Ovtcharov
Silber: Vladimir Samsonov (BLR)
Bronze: Bastian Steger und Panagiotis Gionis (GRE)
Herren-Doppel
Gold: Tan Ruiwu/Wang Zeng Yi (CRO/POL)
Silber: Robert Gardos/Daniel Habesohn (AUT)
Bronze: He Zhi Wen/Carlos Machado (ESP) und Tiago Apolonia/Joao Monteiro (POR)
Damen-Einzel
Gold: Li Fen (SWE)
Silber: Shan Xiaona
Bronze: Han Ying und Fu Yu (POR)
Damen-Doppel
Gold: Sabine Winter/Petrissa Solja
Silber: Shan Xiaona/Zhenqi Barthel
Bronze: Sara Ramirez/Shen Yanfei (ESP) und Galia Dvorak/Matilda Ekholm (ESP/SWE)
Herren-Mannschaft
Gold: Deutschland
Silber: Griechenland
Bronze: Russland und Weißrussland
Damen-Mannschaft
Gold: Deutschland
Silber: Rumänien
Bronze: Tschechien und Russland