Rotterdam. „Ich bin ganz froh mit dieser Bronzemedaille und überhaupt nicht traurig darüber, dass es nicht Silber oder Gold geworden ist.“ Thomas Weikert, der Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes, sprach den Fans und Offiziellen im deutschen Lager aus dem Herzen. Timo Boll hat im siebten Anlauf bei Individual-Weltmeisterschaften endlich die heiß ersehnte Einzelmedaille gewonnen. Bronze ist es geworden – nicht, weil Timo Boll im Halbfinale gegen Zhang Jike nicht gut gespielt hätte, sondern weil der Chinese „unglaublich stabil“ (Boll), „unglaublich gut“ (DTTB-Vizepräsidentin Leistungssport Heike Ahlert), „unheimlich“ (Eberhard Schöler, WM-Finalist von 1969) gespielt hat.
Die Partie begann ausgeglichen mit ausgewogenen Spielanteilen auf beiden Seiten. Bei 4:4 konnte sich der dann aktivere Timo Boll absetzen, schaffte das „Break“ bei Aufschlag Zhang Jike. Zwei gute Punkte seines Kontrahenten verhinderten einen deutlicheren Satzgewinn bei einer 10:5-Führung Bolls, der sich den Durchgang mit 11:7 sicherte. „Nachdem er eher verhalten angefangen hatte, dachte ich, es geht was gegen ihn“, erzählte Boll nach dem Spiel. Doch wie sein Landsmann Chen Qi gestern ging German-Open-Sieger Zhang im zweiten Satz aggressiver in die Bälle des Deutschen, attackierte früh die Aufschläge mit seinem glänzenden Rückhand-Rückschlag, den er auch von der Vorhandseite bevorzugt. So wurde dieser Durchgang eine klare Angelegenheit für ihn.
Im dritten Satz hielt die Serie des Weltranglistendritten gegen den Düsseldorfer. Früh setzte er sich ab, las Bolls Aufschläge weiterhin genau, spielte fehlerfrei. Boll, unter Druck zu viel Risiko gezwungen, produzierte Fehler. Sein Aufschlag ins Netz zum 3:9 rundete das Bild ab. 3:11 – schnell abhaken, diesen Satz, hieß es. Ging aber nicht. Im vierten Satz setzte sich das Bild fort – von 1:2 auf 1:10. Es war passiert, was Bundestrainer Jörg Roßkopf und sein Schützling hatten vermeiden können. „Wenn Zhang Jike erst einmal ins Rollen kommt, wird es sehr schwer“, hatte der Doppel-Weltmeister von 1989 vor dem Spiel gesagt. Jeden Ball traf der 23-jährige World-Cup-Finalist des vergangenen Jahres.
Zhang Jike - gut bewegt, stabil gespielt, druckvoll auf Boll-Bälle geantwortet
Doch Boll ist auch deshalb Boll, weil er solche Sätze abhakt. In Satz fünf gelang ihm das Break, bei Aufschlag Zhang Jike machte die Nummer zwei der Welt und der WM-Setzliste beide Punkte, baute seinen Vorsprung bei eigenem Service auf 4:0 aus. Doch Zhang Jike zeigte keine Nerven, schlug mit fünf Punkten in Folge zurück, Timo Boll nahm eine Auszeit, um die Serie des Chinesen zu brechen. Vergeblich. Zhang Jike blieb unüberwindbar wie die Große Mauer in seinem Land, ob bei Rallyes aus der Halbdistanz beider Athleten, ob Boll dicht am Tisch blieb und blockte – ganz egal. 9:5 für Zhang Jike. Als Timo Boll punktete, nahm Chinas Herren-Cheftrainer Liu Guoliang eine Auszeit, sein Athlet sollte so kurz vor dem Ziel keine Angst vor der eigenen Courage bekommen. Und knapp wurde es tatsächlich noch. Auf 9:9 kämpfte sich Boll noch einmal heran. Zhang Jike mobilisierte noch einmal alle Kräfte, spielte aggressiv auf beide Aufschläge von Timo Boll und wurde für seinen Mut mit dem Einzug ins Finale belohnt. Deutlich hörbar schrie er seine Freude und große Erleichterung heraus zu den rund 7000 Zuschauern in der Arena.
„Zhang Jike hat sich wahnsinnig gut bewegt, unglaublich stabil gespielt und druckvoll auf meine Bälle geantwortet.“ Von Enttäuschung war bei Boll keine Spur, auch wenn er sagte, dass die richtig große Freude wohl erst in ein paar Stunden überwiegen werde. „Meine WM-Bilanz fällt absolut positiv aus. Ich habe endlich meine WM-Medaille gewonnen und hatte mich gut vorbereitet. Ich kann ziemlich zufrieden sein.“ Nach seinem Viertelfinalsieg gegen Chen Qi sei spürbar Druck von Timo Boll abgefallen, „aber ich war immer noch hungrig vor dem Spiel, wollte unbedingt gewinnen“, so Boll. „Ich war eigentlich giftig genug und hatte einen guten Start. Aber es reicht nicht, am Limit zu spielen. Ich habe teilweise wahnsinnig gute Bälle gespielt, aber von ihm kam immer die bessere Antwort. Ich bewundere an den Chinesen, dass sie das schaffen. China gehört mein Respekt.“
Ähnlichen Respekt zollte Boll die Tischtennis-Welt: Er erhielt den Fairplay-Preis des Swaythling Club International des Weltverbands ITTF, einer Vereinigung der Champions und Offiziellen, die ihr Land bei Weltmeisterschaften vertreten haben und dessen Vorsitzende die ehemalige Weltklassespielerin Diane Schöler, die Ehefrau Eberhard Schölers, ist. Nach 2005 erhielt der nun fünffache WM-Medaillengewinner, Boll, diese Auszeichnung zum zweiten Mal.
Herren-Einzel, Halbfinale
Wang Hao - Ma Long 4:2 (7,-9,-7,10,7,9)
Timo Boll - Zhang Jike 1:4 (7,-5,-3,-3,-9)
Finale
Zhang Jike - Wang Hao 4:2 (10,7,-6,-9,5,12)
Die Stimmen der Deutschen zum Halbfinale Timo Boll - Zhang Jike
Eberhard Schöler, WM-Finalist von 1969: „Ich freue mich insbesondere für Timo, denn er hat es wirklich verdient, diese WM-Medaille zu gewinnen. Nicht erst heute, sondern auch schon früher.
Anfangs hatte ich den Eindruck, dass es eine knappe Sache würde und Timo eine Chance hätte. Was Zhang Jike nach dem ersten Satz gezeigt hat, war unheimlich. Schade, dass es nicht geklappt hat mit einem Halbfinalsieg für Timo. Die drei Chinesen, Zhang Jike, Wang Hao und Ma Long, sind hier einfach Sonderklasse. Und Timo ist der einzige Europäer, der ihnen zurzeit Paroli bieten kann.“
Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes: „42 Jahre sind eine lange Zeit. Diese Medaille hätten wir gerne schon ein paar Jahre früher gehabt. Umso schöner, dass es jetzt endlich geklappt hat. Ich freue mich sehr für Timo, dass er es nach vielen Anläufen geschafft hat. Er hat nicht die Nerven verloren, auch wenn der Druck von außen groß war. Er hat bei der WM einen Chinesen geschlagen und ein gutes Halbfinale abgeliefert. Ich bin ganz froh mit dieser Bronzemedaille und überhaupt nicht traurig darüber, dass es nicht Silber oder Gold geworden ist.
Für die Außendarstellung des DTTB ist diese Medaille sehr wichtig, gegenüber den Sponsoren, aber auch für die LIEBHERR Mannschaftsweltmeisterschaften 2012. Es war ein guter Auftakt für unsere Heim-WM in Dortmund, bis zu der es nur noch zehn Monate sind. Die Vorbereitungen laufen bereits auf Hochtouren. Timos Medaille ist eine gute Motivation für uns, noch härtere Arbeit dafür zu leisten, um mehr Leute in die Westfalenhallen zu bekommen, noch mehr Berichterstattung in den Printmedien und im Fernsehen und eine gute Förderung unserer Projekte zu bekommen.
Mein Glückwunsch für eine tolle WM geht an unsere niederländischen Gastgeber. Wir müssen uns sehr anstrengen, um nächstes Jahr eine so gute WM hinzubekommen. Wir hoffen, dass wir es mit den Erfahrungen der WM 2006 und der EM 2009 schaffen.“
Hans Wilhelm Gäb, Ehrenpräsident (nach dem gestrigen Viertelfinalerfolg): "Für mich zählt, dass ein Superathlet wie Timo Boll alle gesundheitlichen Rückschläge der Vergangenheit bei großen Turnieren weggesteckt hat. Es hat eine unglaubliche Selbstbeherrschung erfordert, über diese Enttäuschungen hinwegzukommen. Seine innere Ruhe ist ein Gottesgeschenk für einen Athleten auf diesem Niveau. Wie er all sein Können hier umgesetzt hat, ist sehr bewegend."
Heike Ahlert, Vizepräsidentin Leistungssport: „Nach dem ersten Satz hatte ich gehofft, dass Timo eine Chance hat in diesem Halbfinale. Er hat nie aufgegeben, aber Zhang Jike hat immer noch einen draufgelegt. Es war ein Spiel auf unglaublich hohem Niveau. Letztlich hat Zhang Jike verdient gewonnen, aber ich würde gerne die nächste Gelegenheit sehen, zu der beide erneut aufeinander treffen. Dies war mit Sicherheit nicht das letzte Duell der beiden.“
Jörg Roßkopf, Herren-Bundestrainer: "Dass Zhang Jike auf einem sehr hohen Niveau spielen würde, war uns klar. In den Halbfinals haben sich die besten Spieler des Turniers getroffen. Zhang Jike spielt mit sehr viel Power. Im ersten Satz hatte er aber seine Nervosität noch nicht im Griff, so hat Timo einige einfachere Bälle bekommen. Erst im fünften Satz hat Zhang Jike dann noch einmal gewackelt, als Timo auf 9:9 herankam.
Zhang Jike hat mit viel Druck und einer sehr guten Platzierung gespielt. Er hatte immer eine gute Antwort auf Timos Bälle. Auf diesem hohen Niveau entscheiden diese Spiel immer nur ein, zwei Bälle."
Die WM-Bilanz aus deutscher Sicht - Zitate von DTTB-Sportdirektor Dirk Schimmelpfennig aus der Abschluss-Pressekonferenz
„Wir sind mit zwei Zielstellungen zu den Weltmeisterschaften nach Rotterdam gereist. Wir wollten eine WM-Medaille gewinnen und hatten uns dabei im Herren-Einzel die größten Chancen ausgerechnet. Und wir wollten die Maximalzahl an Direktqualifikationsplätzen für die Olympischen Spiele in London 2012 erreichen. Beides ist uns gelungen.
Die EM und der World Team Cup in Magdeburg sind wichtige Zwischenstation auf dem Weg zur WM in Dortmund und zu den Olympischen Spielen. Jeder Vergleich mit den Besten der Welt ist für uns ein großer Vorteil, weil wir dabei auf hohem Niveau gefordert sind.“
Über die deutschen Herren:
"Im Hinblick auf das wichtige Jahr 2012 können wir die Ergebnisse der WM bei den Herren folgendermaßen analysieren: Unter den besten 16 waren hier alle sieben Chinesen, drei Deutsche, drei Koreaner und drei Vertreter anderer Nationen mit Mizutani, Samsonov und Mattenet. Wir hatten Timo, Dimitrij und Bastian im Achtelfinale, und ich hätte dort gerne eine andere Konstellation gesehen als Timo gegen Dimitrij. Ein Jahr vor den Olympischen Spielen zeigt das gute Chancen für uns im Einzel und im Mannschaftswettbewerb auf. Wir haben noch unsere Hausaufgaben zu machen, werden aber auch bei Olympia gut aufgestellt sein. Wir müssen unsere Position in der Welt weiter ausbauen. Zurzeit rangieren wir in der Team-Weltrangliste noch hinter Südkorea. Für die Auslosung bei unserer Heim-WM in Dortmund und für die Olympischen Spiele wäre es komfortabler, vor den Koreanern zu stehen. Den bereits eingeschlagenen erfolgreichen Weg ins Zieljahr 2012 wollen wir weiter gehen."
Über die deutschen Damen:
"Unsere Auslosungen bei den Damen war nicht besonders glücklich. Gleich mehrere Konstellationen waren schwer für uns zu spielen. Wu Jiaduo war im Achtelfinale zwar chancenlos gegen Guo Yue, hat insgesamt aber eine tolle Leistung gezeigt. Schon das Spiel gegen die Österreicherin Li Qiangbing war eigentlich kein leichtes Los für sie.
Kristin Silbereisen musste das Spiel ihres Lebens absolvieren. Sie und bei den Herren Christian Süß waren hier in Rotterdam die beiden Deutschen, die ihre gute Form leider nicht unter Beweis stellen konnten. Bei Christian lag der Grund dafür in der Stärke seines Gegners, einem Verteidiger.
Zhenqi Barthel hat in allen drei Konkurrenzen sehr gut gespielt und gezeigt, dass sie eine äußerst positive Entwicklung genommen hat, die sich auch bei den Deutschen Meisterschaften schon angedeutet hatte mit ihren Siegen vor allem gegen defensive Spielsysteme.
Sabine Winter hat das Spiel gegen Li Jiao in mehreren Phasen offen gestaltet mit einer bemerkenswert guten Leistung gegen eine erfahrene Spielerin, die sehr gut platziert und jede Schwäche ihrer Gegnerin normalerweise ausnutzt.
Auch Kathrin Mühlbach hat bei ihrer ersten WM im Erwachsenenbereich in beiden Wettbewerben sehr ordentlich gespielt.
Die Europameisterschaften in Danzig werden ein nächster wichtiger Schritt Richtung Dortmund, der Olympia-Qualifikation und London 2012 sein. Es gilt, die Damen bis dahin weiter aufzubauen, zu stabilisieren und weiterzuentwickeln."