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Inzwischen ist der Bart gewachsen: Timo Boll (Foto: Matthias Ernst)

Glattes Kinn kann nicht gewinnen

SH 14.05.2011

Rotterdam. Es ist der Morgen vor der Viertelfinalpartie gegen Chen Qi. Das Match um die Medaille, die Timo Bolls erstes Edelmetall im Einzel wäre, beginnt um 15.15 Uhr. Boll ist völlig entspannt, als er um 9.30 Uhr den Speisesaal des deutschen Mannschaftshotels in Ridderkerk betritt. Er habe „extrem gut“ (Boll) geschlafen: von halb zwölf in der Nacht bis 9.15 Uhr am Morgen. „Wenn die nötige Müdigkeit da ist, geht das eben“, berichtet er. Das Match gegen seinen Kumpel und Mannschaftskollegen Dimitrij Ovtcharov hatte ihn gefordert - emotional, spielerisch und körperlich.

Zum Frühstück gibt es zwei Scheiben Vollkornbrot mit Käse und hauchdünn geschnittenen Scheiben Hühnchen, ein Spiegelei, einen Muffin und Obst, dazu eine Tasse Kaffee und Orangensaft sowie für unterwegs einen Becher Naturjoghurt. In den Gesprächen am Frühstückstisch geht es um die Neuigkeiten in der Welt außerhalb Rotterdams. Boll ist Fan von RSS-Feeds. So muss er nicht viele verschiedene Seiten absurfen, sondern die Meldungen kommen zu ihm aufs Smartphone, sobald sie veröffentlicht sind. Es geht beim Frühstück nicht um den Chinesen und dessen Stärken und Schwächen. Über die hatten sich der Weltranglistenzweite und Bundestrainer Jörg Roßkopf schon gestern Abend kurz ausgetauscht. Heute in der unmittelbaren Vorbereitung auf das Spiel wird die Taktik gegen Chen Qi noch einmal vertieft.

Einspielpartner Roßkopf bereitet Boll heute aufs Linkshänder-Duell vor

Diese könnten sich Boll und Roßkopf auch in der Trainingshalle über den Tisch zurufen, denn heute ist der Bundestrainer Bolls Einspielpartner. „Ich hätte das auch machen können, aber Rossi hat dann doch die bessere Vorhand“, scherzt Ex-Bundestrainer Richard Prause, auch ein Linkshänder - wie Chen Qi, Roßkopf und Boll selbst -, der unter anderem das Boll-Spiel später im ITTF-Live-Stream auf Englisch kommentieren wird.

Auch Prause, dem Head Coach der Werner Schlager Academy in Österreich, ist eine gewisse Anspannung anzumerken. Der Kontakt zu seinem ehemaligen Schützling ist immer noch eng, sportlich und privat. Gegen Chen Qi sei es ein 50-50-Spiel. Der Doppel-Olympiasieger von Athen und Weltranglistenzwölfte verfüge über gefährliche Aufschläge und eine starke Vorhand. „Er ist vielleicht nicht so konstant in seinem Spiel wie die anderen sechs Chinesen, aber er spielt mit viel höherem Risiko. Daher ist er noch ein bisschen unberechenbarer“, analysiert Richard Prause. Bolls Vorteil: Er ist variabler und spielt beidseitig besser als sein Kontrahent. „Außerdem hat er nicht den Extra-Druck, hier der haushohe Favorit zu sein. Alle wissen, dass es schwer wird.“

Ovtcharov leicht verletzt nach Boll-Partie

Timo Bolls Mannschaftskollegen sind schon abgereist. Dimitrij Ovtcharov hatte am Morgen über Schmerzen in der Schulter geklagt und wird in den nächsten Tagen eine Pause einlegen müssen zur Schonung und weiteren Behandlung der Blessur. „Im Spiel gegen Timo hat die Schulter ihn nicht beeinträchtigt“, erklärt Jörg Roßkopf, „das ist erst in der Nacht aufgebrochen“.

Doch zurück zu Timo Boll. Um zwölf Uhr steht für ihn noch eine Behandlung bei Birgit Schmidt im Hotel an. „Die ‚heiße Rolle‘ entspannt ihn“, erklärt die Physiotherapeutin vom Olympiastützpunkt Hessen (Frankfurt am Main). Ein eng gewickeltes Handtuch von Nationalteamausrüster Butterfly wird an einer Art Trichter an der oberen Seite mit heißem Wasser aus dem mitgebrachten Wasserkocher übergossen. Die Hitze zieht ins gesamte Tuch und wird über die Rücken des Athleten gerollt. „Das hat Dimitrij von Timo auch schon übernommen“, sagt Schmidt. Und an diesem Morgen auch Jörg Roßkopf. „Rossi muss für das Training mit mir fit gemacht werden“, flachst Timo Boll.

Zwei Stunden vor Spielbeginn, gegen 13 Uhr, werden er und Jörg Roßkopf mit dem Auto zum sieben Kilometer entfernten Sportpalast Ahoy Rotterdam fahren. Nachdem der offizielle Shuttle-Bus gestern Abend überfüllt war und noch lange nach der angekündigten Abfahrtszeit vor der Arena wartete, hat das Duo heute die kurze Reise lieber selbst in der Hand.

Konzentration aufs WM-Einzel: eine gute Entscheidung

„So ein Spiel am Tag ist ein guter Zeitplan für mich“, findet Boll. „So könnte es gerne immer sein.“ Dass er aufs Doppel verzichtet hat, erweist sich täglich aufs Neue als die richtige Entscheidung. Treten Weltklassespieler gegeneinander an, benötige sie jedes Prozent ihrer Leistungsfähigkeit. Schon eine kleine Schwäche, die geringste Müdigkeit kann spielentscheidend sein. Eine andere Entscheidung ist Timo Boll im Gesicht anzusehen. Unbewusst folgt er bisher offenbar dem Spruch „Wer rasiert, verliert“. Die letzte Rasur hatte es zu Hause in Höchst am Abreisetag gegeben, dem 7. Mai. Weil er aber nicht abergläubisch ist, hält er es mehr mit der praktischen Auslegung dieser Sportlerweisheit: „Bisher geht’s noch, aber sobald es kitzelt, kommt der Bart ab“, sagt er.

Herren-Einzel, Viertelfinale am Samstag

Wang Hao CHN - Jun Mizutani JPN, 13 Uhr

Ma Lin CHN - Ma Long CHN, 13.45 Uhr

Zhang Jike CHN - Wang Liqin CHN, 14.30 Uhr

Timo Boll GER - Chen Qi CHN, 15.15 Uhr

Halbfinals und Finale am Sonntag

 

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