Eine Silbermedaille mit einem Hauch von Gold nahm Timo Boll von den Mannschafts-Weltmeisterschaften aus Moskau mit nach Hause. Seit gestern bekleidet der für Borussia Düsseldorf spielende Hesse in der neuen Juni-Weltrangliste der ITTF zudem den zweiten Platz hinter dem von ihm im WM-Finale bezwungenen Chinesen Ma Long. Fünf Tage nach den Titelkämpfen spricht der World-Cup-Sieger von 2002 und 2005 im Interview mit Tischtennis.de über herausragende Leistungen, wackelnde Mauern, ausgelassene Chancen und - große Träume.
tischtennis.de: Gratulation zunächst einmal: Die Juni-Weltrangliste der ITTF weist Sie zum erstenmal seit Oktober 2006 wieder als Nummer zwei aus.
Timo Boll: Danke. Meine guten Leistungen bei der WM, unter anderem ja mit dem Sieg über den Weltranglisten-Ersten Ma Long, haben mich um eine Position klettern lassen. Lieber wäre mir allerdings der WM-Titel mit der Mannschaft gewesen.
Direkt nach dem WM-Finale haben Sie gesagt, wir brauchen jetzt erst einmal einige Tage, um zu realisieren, was für eine großartige Leistung wir in Moskau geschafft haben. Mit fünf Tagen Abstand: Überwiegt die Freude über das gewonnene Silber oder die Enttäuschung über eine verpasste Gold-Gelegenheit?
Ganz klar überwiegt in der Analyse die Freude: Wir sind superstolz auf unsere Silbermedaille und auf die Art und Weise, wie wir sie gewonnen haben. Wir haben ein unglaublich gutes und souveränes Turnier gespielt. Wir haben die Konkurrenz in der Vorrunde sowie im Viertelfinale Gastgeber Russland vor eigenem Publikum dominiert und auf Distanz gehalten. Mit Japan und Südkorea haben wir außerdem gegen die beiden Bronzemedaillengewinner überzeugt und verdient zwei deutliche Siege eingefahren. Wir haben unglaublich viel erreicht, und wir sind ja in Moskau auch etwas näher an China herangerückt!
So nah, dass das deutsche Team China gehörig ins Wanken gebracht hat!
Ja, absolut. Auch im Finale haben wir unsere Klasse bewiesen und der Welt gezeigt, dass auch Chinas Stars nicht unschlagbar sind. Das war eine wichtige Botschaft. Chinas Mauer hat nach meinem Auftaktsieg gegen Ma Long ganz schön gewackelt, aber sie ist diesmal noch nicht umgefallen.
War das deutsche Team noch nicht reif für den Titel?
Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg dorthin, wo alles möglich ist - auch ein Sieg über den Favoriten China. Wir hatten schon jetzt unsere Chance, aber wir müssen auch anerkennen, dass China sich mit der ganzen Erfahrung und Klasse eines Champions zum Titel gerettet war. Den Unterschied hat diesmal Ma Lin ausgemacht, der eines seiner wichtigsten Spiele seiner Karriere bestritten hat. Aber: Wir haben jetzt zwei Jahre Zeit, um uns als Mannschaft weiter fort zu entwickeln, damit wir uns beim nächsten Mal wieder unsere Chancen erabeiten, um sie dann aber besser zu nutzen. Vielleicht sollte es in Moskau einfach noch nicht sein.
Das nächste Mal, das werden dann die LIEBHERR Mannschafts-Weltmeisterschaften 2012 in Dortmund sein!
Ja, darauf freuen wir uns jetzt schon. Dortmund 2012 soll ein absoluter Höhepunkt in meiner Karriere werden. Ob uns in der Westfalenhalle ein Sieg über China gelingt, muss man abwarten - das ist natürlich nicht vorhersehbar. Wir wollen in Dortmund der Welt aber erneut beweisen, dass wir der Konkurrent Nummer eins für die Supermacht China sind.
Könnte es vielleicht ein gutes Omen sein, dass in Dortmund bei der WM 1989 ja schon einmal eine Wachablösung zustande gekommen ist, als die Schweden als Team Chinas Vorherrschaft beendet haben und auch Jörg Roßkopf und Steffen Fetzner Weltmeister im Doppel wurden?
Die Westfalenhalle ist in dieser Hinsicht natürlich ein historischer Rahmen. Aber man kann die Situationen nicht vergleichen. Dortmund, da bin ich mir sicher, wird eine phantastische WM werden. Allein schon das deutsche Publikum wird für eine tolle Atmosphäre sorgen. Wenn uns dann mit der Unterstützung der Fans eine Überraschung gelingen sollte, dann wäre das ein absoluter Traum. Schauen wir mal...