Alicante. Comeback gelungen: Timo Boll hast sich zum siebten Mal den Europameistertitel im Einzel gesichert. Im Endspiel der EM im spanischen Alicante besiegte der topgesetzte Düsseldorfer die Turnierüberraschung Ovidiu Ionescu mit 4:1. Nach einer wochenlangen Trainingspause im Sommer in Folge einer Halbwirbelverletzung (Bandscheibenvorfall) steigerte sich Boll bei den kontinentalen Titelkämpfen von Runde zu Runde, ließ Ionescu am Ende nach verlorenem ersten Durchgang keine Chance.
„Es fing schwer an, weil Ionescu viel Gas gegeben hat", kommentierte Herren-Bundestrainer Jörg Roßkopf die 1:0-Satzführung für den Rumänen und dessen 6:3-Start in Durchgang zwei. "Nach dem zweiten Satz hat Timo das Spiel zu seinen Gunsten gewendet, hatte von da an eine sehr gute Kontrolle über das Spiel. Das war ein hartes Stück Arbeit vor allem nach dem extrem schweren Halbfinale. Es war ein etwas schwerer Start im Finale, aber im Endeffekt ist Timo zum siebten Mal Europameister geworden und nur das zählt.“
Der Mühlhausener TTBL-Akteur Ionescu spielte bei der EM das Turnier seines Lebens, schlug zuvor unter anderem EM-Titelverteidiger Emmanuel Lebesson (Frankreich), Ex-Europameister Vladimir Samsonov aus Weißrussland und hielt in der Vorschlussrunde den Schweden Kristian Karlsson in fünf Durchgängen in Schach.
Ionescus Topform bekam auch Timo Boll zu spüren. "Ich bin am Anfang überrannt worden. Da war das gute Gefühl gleich wieder dahin", beschrieb der Rekord-EM-Champion. "Aber ich habe mich ins Spiel hinein gekämpft, bin ruhig geblieben, und das war der Schlüssel zum Erfolg."
Bolls größter Prüfstein im Turnier: Patrick Franziska
Die größte Mühe hatte Timo Boll im Halbfinale gegen seinen Nationalteamkollegen und guten Kumpel Patrick Franziska. Dabei stand die 26-jährige Nummer fünf Europas kurz vor dem Sieg, hatte eine 3:1-Satzführung und lag im siebten Durchgang sogar mit 7:3 in Front. Bis Boll acht mal in Folge punktete.
Europameister im Herren-Doppel wurde die Österreicher Parade-Kombination Robert Gardos/Daniel Habesohn mit einem 4:1-Erfolg über die Schweden Mattias Falck/Kristian Karlsson. An beiden Bronzemedaillen ist Deutschland beteiligt durch Ruwen Filus/Ricardo Walther sowie Patrick Franziska an der Seite seines dänischen Partners Jonathan Groth.
Deutsche Bilanz: Sieben Medaillen
Drei Mal Gold (Herren-Einzel, Mixed, Damen-Doppel) und vier Mal Bronze (Herren-Einzel, Mixed, zweimal Herren-Doppel) - das ist die stolze Bilanz der deutschen Starter in Spanien. "Was für eine tolle EM", freut sich DTTB-Präsident Michael Geiger und rechnet vor: "Mehr als die Hälfte aller fünf Finals gewonnen. Mehr als ein Drittel aller 20 zu vergebenden Medaillen gewonnen. Glückwunsch und Danke an unser tolles DTTB-Team."
Herren-Einzel, Finale
Boll - Ionescu 4:1 (-6,7,9,6,5)
Halbfinale
Timo Boll - Patrick Franziska 4:3 (-8,12,-9,-8,9,5,7)
Kristian Karlsson SWE - Ovidiu Ionescu ROM 1:4 (-10,-6,3,-9,-9)
Kurz-Interview mit Europameister Boll
Frage: Ionescu hat hier das Turnier seines Lebens gespielt. Im Finale gegen dich dreht er gleich zu Beginn voll auf. Was ist dir bei 0:1-Satzrückstand und 3:6 durch den Kopf gegangen?
Timo Boll: Ich bin am Anfang überrannt worden. Da war das gute Gefühl gleich wieder dahin. Aber ich habe mich ins Spiel hinein gekämpft, bin ruhig geblieben, und das war der Schlüssel zum Erfolg. Das Odenwälder Kämpferherz schlägt immer in mir. Aufgeben gibt’s nicht! Damit habe ich so manches Spiel noch gedreht und vielleicht unverdient gewonnen. Aber in ein paar Jahren spricht keiner mehr davon.
Er spielt für Mühlhausen in der TTBL. Wie würdest du ihn als Spielertyp beschreiben?
Boll: Ich kenne ihn aus der Bundesliga. Wir haben schon häufig gegeneinander gespielt. Er ist ein Hop-oder-Top-Spieler, jemand, der alles kann und wenn er viel Selbstvertrauen hat, brandgefährlich ist. Das hat er gerade zu Beginn vom Spiel gezeigt. Da war schon wichtig, ihm den zweiten Satz irgendwie zu stehlen. Das hat ihn ein bisschen gebrochen. Außerdem hat er sich, glaube ich, noch ein bisschen verletzt. Das konnte ich alles gebrauchen, sonst hätte es vielleicht gar nicht gereicht.
Vor der EM hast du gesagt, du seist meilenweit von deiner Bestform entfernt...
Boll: Im Training vorher hatte ich kaum ein Spiel gewonnen, egal gegen wen. Unsere Trainingsgruppe hat mich schon fast ausgelacht. Ich habe mich zum Trainingspartner für die anderen erklärt, deshalb waren meine Erwartungen nicht gerade hoch. Ich war um jede Runde froh, die ich weitergekommen bin, um Spielpraxis zu sammeln. Ich habe einfach gedacht, ich muss demütig sein, weil ich im Sommer eine lange Verletzungspause wegen des Bandscheibenvorfalls im Nacken hatte. Das war meine ehrliche Meinung, keine Tiefstapelei. Das kannte ich schon von meiner Knieoperation, wo ich eine ähnlich lange Pause gemacht hatte.
Was hat sich dann hier in Alicante verändert?
Boll: Die Automatismen waren erst mal weg, das Feingefühl hat gefehlt. Tischtennis ist ein Sport, wo das enorm wichtig ist. Es hat mich sehr überrascht, dass ich das dann so schnell wieder gefunden habe, mich durchgebissen und durchgekämpft habe. Es war harte Arbeit, auch Mentalarbeit. Ich habe viel über mein Spiel nachgedacht, abseits des Tisches, aber auch zwischen den Ballwechseln. Das hat enorm viel Energie gekostet, hat sich mit dem Titel aber auch gelohnt.