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Begeisternde Momente, für die Zuschauer und Bundestrainerin Tamara Boros (Foto: MS)
Vor drei Jahren drohte das Karriereende wegen einer Schulterverletzung, jetzt hat Winter das Fachabi und ihre beiden größten sportlichen Ziele erreicht

Sabine Winter bringt die Halle zum Beben und gewinnt Bronze | Mittelham im Finale

SH 20.08.2022

München. Wohl noch nie hatte Sabine Winter nach einer so knappen und letztlich bitteren Niederlage so glücklich ausgesehen wie heute nach dem Halbfinale gegen Sofia Polcanova. „Es ärgert mich natürlich schon ein bisschen“, sagte Sabine Winter mit einem zufriedenen Lachen nach dem Sieben-Satz-Thriller ihrer guten Freundin aus Österreich, bei deren Hochzeit vor zwei Jahren die 29-jährige Bayerin eine der Brautjungfern gewesen war. „Weil es so großen Spaß gemacht hat zu spielen, ich mir nichts vorzuwerfen habe, weil ich wirklich alles gegeben habe, und ich mir den Traum von einer Medaille erfüllt habe, kann ich jetzt eigentlich nicht traurig sein. In meinem Hinterkopf steckt trotzdem, dass ich hier gerne noch um den Titel gespielt hätte. Ich habe gesehen, dass nichts unmöglich ist“, bekannte Winter.

Sie hatte die Partie zunächst mit viel Druck begonnen. Die Linkshänderin Polcanova, ausgestattet unter anderem mit einer sehr guten Kontrolle und einer ausgezeichneten Antizipation, wohin ihre Gegnerin als Nächstes spielen würde, nahm das Tempo dankbar mit. Nach knappem ersten Durchgang, ging der zweite mit 3:11 deutlich für Winter verloren. Sich selbst ins Spiel brachte sie, indem sie die Aggressivität herausnahm und es so schaffte, überhaupt in den Ballwechsel zu kommen. Eine schnelle Führung im dritten Satz brachte sie durch. Es folgten drei umkämpfte Sätze. Unzählige sehenswerte Rallyes begeisterten die 5.000 Zuschauer in der ausverkauften Rudi-Sedlmayer-Halle.

Gummiwand gegen Marathon-Sprinterin

Polcanova eng am Tisch und sicher wie eine Gummiwand. Winter einige Meter hinter ihrer Tischhälfte auf schnellen Beinen mit ihrer mächtigen Vorhand, die sie heute jedoch mit mehr Effet als maximaler Durchschlagshärte einsetzte, und einer sicheren Topspin-Rückhand, ihrer vermeintlichen Schwachstelle, auf der die Österreicherin sie immer wieder festzunageln versuchte. Winter machte Kilometer in den sieben Sätzen mit insgesamt 135, teils ellenlangen und begeisternden Ballwechseln. Wäre sie nicht eine der athletisch besten Damen im europäischen Tischtennis-Zirkus, wäre ihr bei diesem Marathon-Sprint hinter dem Tisch wohl weit vor dem Spielende die Kraft ausgegangen. Im siebten Satz waren erneut Winters Comebacker-Qualitäten gefragt. Polcanovas Zwei-Punkte-Dauer-Vorsprung zu Satzbeginn egalisierte sie nach Abwehr von zwei Matchbällen zum 10:10. Das Publikum jubelte frenetisch, Winter kämpfte bis zum Umfallen. Doch Sofia Polcanova war es, die sich mit 12:10 den süßen Sieg schnappte und bei ihrer zwölften EM-Teilnahme in ihr erstes Einzel-Endspiel einzog.

Für die Deutsche Einzel-Meisterin Winter ist die EM-Bronzemedaille der größte Einzel-Erfolg ihrer Karriere. Dass sie in München überhaupt dabei ist, war lange Zeit nicht selbstverständlich. Über drei Jahre quälte die WM-Dritte mit der Mannschaft von 2010 eine hartnäckige Schulterverletzung. Immer wieder war die zweifache Doppel-Europameisterin zu mehrwöchigen Pausen gezwungen. Die wiederkehrenden Schmerzen und vielfachen Arztbesuche aber blieben. Zehn Jahre nach der mittleren Reife entschloss sich Winter im Jahr 2019 zu einer einjährigen Vollprofipause, gönnte der lädierten Schulter mehr Ruhe mit reduziertem Trainingspensum und begann, wieder die Schulbank drücken. An einer bayerischen Berufsoberschule machte sie innerhalb eines knappen Jahres in Vollzeit ihr Fachabi nach.

Fachabi-Abschluss 2020 als Schulbeste

Während dieser Zeit trainierte sie nur noch einmal am Tag, spielte weiterhin für Schwabhausen in der Bundesliga, die German Open in Bremen und in den Schulferien ein paar weitere internationale Turniere. Beim Fachabi-Abschluss 2020 war Sabine Winter die Schulbeste.

Im Mai 2020 ließ sie sich an der Schulter operieren, und diese OP brachte ihr endlich, nach einigen Wochen kompletter Pause, danach weiterer Wartezeit mit reduziertem und vorsichtigem Training die ersehnte Schmerzfreiheit zurück. Anfang September 2020 feierte sie nach überstandener OP ihr Comeback in der Bundesliga. Bei der Team-EM im vergangenen Jahr war Winter eine der Punktegarantinnen, die die junge Mannschaft zusammen mit Spitzenspielerin Nina Mittelham sensationell zu Gold führte. Im Juni 2022 wurde sie erstmals Deutsche Einzel-Meisterin. Jetzt hat sie EM-Bronze in der Tasche. Genau letztere beiden Erfolge hatte sie sich zu ihrem Re-Start als Leistungssportlerin vorgenommen. „Wo das beides innerhalb weniger Monate geklappt hat, kann ich jetzt eigentlich aufhören“, scherzte sie.

Am Samstag waren alle Zuschauer ein bisschen Winter

Wegen des Erfolgs, aber auch nach dieser elektrisierenden Atmosphäre in den tollen Tagen in der Rudi-Sedlmayer-Halle, nur eine halbe Autostunde von ihrer Heimat Seefeld entfernt, ist das Karriereende in weite Ferne gerückt. „Ich will den Zuschauern danke sagen. Es hat unfassbar viel Spaß gemacht, hier zu spielen“, waren ihre ersten Worte mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht nach ihrer Halbfinal-Niederlage. „Obwohl das eine sehr bittere Niederlage war, werde ich diese EM in sehr guter Erinnerung behalten. Ich habe noch nicht im Leben in so einer Atmosphäre gespielt.“

Der achte war übrigens der erste Turniertag, an dem ihre sie lautstark anfeuernde Familie, Bruder Ben, Mutter Gabi und Vater Mark, in dem Rund der eigentlichen Basketball-Halle nicht herauszuhören war. Denn an diesem Tag waren die 5.000 Zuschauer alle ein bisschen Winter.

Mittelham greift am Sonntag nach Gold

Im Endspiel am Sonntag um 14.30 Uhr trifft die Österreicherin Sofia Polcanova auf die nächste Deutsche. Nina Mittelham setzte sich im deutschen Duell mit ihrer langjährigen Berliner Bundesliga-Mannschaftskollegin Xiaona Shan mit 11:3, 5:11, 11:3, 11:6 und 13:11 durch. Für die 25-jährige Europe-Top-16-Siegerin von 2021 ist es schon jetzt der größte Einzel-Erfolg bei kontinentalen Titelkämpfen. Ihr bestes Ergebnis war bislang das Erreichen des Achtelfinals 2018 in Alicante.

„Es ist nie einfach, gegen 'Nana' zu spielen“, kommentierte Mittelham. „Sie macht keine leichten Fehler und ich muss für jeden Punkt hart arbeiten. Ich habe im ersten Satz unfassbar gut angefangen, genau das gespielt, was ich mir vorgenommen hatte. Das hat mir das nötige Selbstvertrauen gegeben.“

Die mit kurzen Noppen agierende Penholder-Akteurin und bei der EM an Position vier gesetzte Shan gab das Spiel zu keinem Zeitpunkt verloren, war jedoch gegen ihre Kontrahentin, die nach schwachem EM-Auftakt inzwischen in spielerischer und mentaler Topform ist, machtlos. „Manchmal ist das bei ihr wechselhaft, aber heute hat Nina super gespielt“, befand Shan. „Wenn sie die Bälle mit ihrer hohen Qualität trifft, schlägt es bei mir ein wie eine Bombe“, beschrieb sie, und während sie das sagte, fiel ihr eine Anekdote ein. „Bei der Pressekonferenz vor der EM hatte ich gesagt, dass ich diesmal gerne eine andere Farbe der Medaille als beim letzten Mal gewinnen würde“, erzählte die Silbermedaillengewinnerin von Warschau. „Nina hat da gleich gewitzelt: ‚Dann wird’s wohl Bronze!‘“ Damals hatte Mittelham noch nicht geahnt, dass sie selbst es sein würde, die am Finaltag der Heim-EM in München um Gold spielen würde.

Damen-Halbfinale
Sabine Winter - Sofia Polcanova AUT 3:4 (-9,-3,6,-12,9,9,-10)
Nina Mittelham - Xiaona Shan 4:1 (3,-5,3,6,11)

Finale am Sonntag um 14.30 Uhr | Livestream auf sportschau.de und ZDF.de | Einblendungen in die ZDF-Konferenz | Livestream bei ETTU.tv
Nina Mittelham - Sofia Polcanova AUT

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