Rotterdam. Am 1. Oktober 2010 endete eine Ära in zweierlei Hinsicht. An jenem Freitag wurde nicht nur Jörg Roßkopf Nachfolger von Richard Prause als Herren-Bundestrainer beim Deutschen Tischtennis-Bund. Es kam, lange Zeit völlig unbemerkt, auch zu einem Wechsel des Fachvokabulars: Die „Cappuccino“-Duelle, wie Prause die direkten Vergleiche deutscher Spieler bei internationalen Turnieren so gerne genannt hatte, gehörten von da an in der praktischen Umsetzung auf Trainerseite der Vergangenheit an. Der Grund ist einfach: Jörg Roßkopf mag keinen Kaffee.
Zu früh sind zwei Deutsche bei den 51. Weltmeisterschaften in Rotterdam im Einzel aufeinander getroffen: Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov, die in ihrer momentanen Verfassung gut beide mindestens noch eine Runde hätten überstehen können. Nur einen Vorteil hatte diese vorzeitige Duell im Achtelfinale heute: Damit stand fest, dass auf jeden Fall ein Deutscher die Runde der besten Acht erreichen und einem Medaillengewinn näher kommen würde.
Boll war der konstantere Spieler
Das war der Favorit, Timo Boll. Nach einem schnellen 1:5-Rückstand in Durchgang eins, bei dem Ovtcharov fulminant begann und mit viel Risiko punktete, startete der Weltranglistenzweite durch. In der sehr von Taktik geprägten Partie auf hohem Niveau war der 13-fache Europameister der konstantere Akteur. Immer machte er einen Tick mehr Druck, spielte schon auf die Aufschläge seines Kontrahenten sehr aggressiv, nutzte Ovtcharovs Schwächen und verschaffte sich nach eigenem Service häufig den Vorteil des ersten und am Ende punktbringenden Angriffs.
Der 22-jährige Ovtcharov durchlebte neben Höhen auch kleinere Tiefen, und die gaben am Ende den Ausschlag. Im dritten Durchgang leitete er das Hoch ein, als er zum Stand von 3:3 mit seinem Lieblingsrückhand-Topspin direkt punktete. Vier Punkte hielt sein Lauf und verschaffte ihm genügend Luft zum Gewinn des Satzes, auch wenn Boll zwei Satzbälle abwehrte und im Anschluss einen eigenen hatte. In Satz vier konnte Timo Boll eine 10:7-Führung nicht nutzen und unterlag. Trotzdem blieb der Düsseldorfer ruhig. „Das war nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich so“, versicherte er. „Ich bin überhaupt nicht hektisch geworden, sondern habe mir in der Satzpause immer wieder gesagt, dass ich dranbleiben und kämpfen muss.“
Vierter Satz kostete Ovtcharov zu viel Kraft
Dimitrij Ovtcharov jedoch konnte der Satzgewinn nicht beflügeln, vielmehr hatte er ihn viel mentale Kraft gekostet. Es folgte die Höchststrafe im Tischtennis von 0:11. Im sechsten Satz verwandelte Timo Boll dann seinen dritten Matchball zum 11:8. Es waren 51 Minuten Spielzeit, in denen Timo Boll auf beständigem Weltklasseniveau agierte. „Timo kann nonstop ein hohes Level halten“, sagte der Weltranglisten-15. anerkennend, Ovtcharov, der sich beim Erscheinen der neuen Ausgabe der Weltrangliste am Montag den zweiten Direktstartplatz hinter Boll für die Olympischen Spiele sichern wird. „Ich hätte nach meinem guten Start den ersten Satz nach Hause bringen müssen, dann hätte es vielleicht anders laufen können.“
„Es war kein einfaches Spiel für mich“, kommentierte Boll die Partie. „Es war spielerisch und emotional bisher das schwerste. Es war ein sehr enges Match, das auch anders hätte ausgehen können. Am Schluss habe ich fast perfektes Tischtennis gespielt.“
Das 11:0 fanden beide Akteure nach Spielende nicht weiter tragisch. „Bei 10:0 habe ich den Rückschlag etwas halbherzig gespielt und gewartet, was er damit macht“, erklärte Timo Boll. „Ich mag es nicht, den Ball ganz offensichtlich wegzuspielen.“ „Ich war froh, als der Satz vorbei war. Bei 8:0 habe ich mich schon auf den nächsten Satz konzentriert und keine Kraft mehr investiert“, sagte Ovtcharov. „Gegen die besten Spieler der Welt passiert es, dass so ein Satz schnell weggeht.“
Gelungene Generalprobe für Medaillenmatch gegen Chen Qi
Timo Boll nimmt ein positives Gefühl mit ins Viertelfinale gegen Chinas Chen Qi, der sich in sieben spannenden Sätzen zu einem Sieg über Vladimir Samsonov aus Weißrussland kämpfte. „Ich habe mich gut bewegt. Es war eine sehr gute Generalprobe für morgen. Dimi hat stark gespielt und hat mich richtig gefordert“, so Boll. „Ich musste am Limit spielen und bin sehr erleichtert, dass es positiv für mich ausgegangen ist.“
Bundestrainer Jörg Roßkopf bewertete das deutsche Duell als gelungenen Härtetest für das Viertelfinalspiel. „Nach dem vierten Satz hatte Timo im fünften und sechsten ein super Comeback. Das gibt Hoffnung für morgen. Timo hat sich gut präsentiert und kritische Phasen überlebt, die hier alle Spieler haben – wie Ma Long gegen Bojan Tokic und Wang Hao gegen Ryu Seung Min.“ Gegen den zweifachen Doppel-Weltmeister und Doppel-Olympiasieger von 2004, Chen Qi, werde es ein 50-50-Spiel, so Roßkopf.
In den übrigen Achtelfinalpartien lief fast alles nach Plan. Der 32-jährige Altmeister - für chinesische Verhältnisse - Wang Liqin wies im drittletzten Herren-Einzel des Tages seinen elf Jahre jüngeren teaminternen Konkurrenten Xu Xin in die Schranken. Der glatte 4:1-Sieg des dreifachen Einzelweltmeisters über die Nummer sechs der Weltrangliste war zumindest in dieser Deutlichkeit nicht unbedingt zu erwarten. Wang Liqin trifft morgen auf seinen Landsmann Zhang Jike, der Sieger dieser Partie wartet im Halbfinale auf den Gewinner des Boll-Spiels.
Die Damen sind den Herren bereits voraus. In den chinesischen Halbfinals setzten sich Li Xiaoxia und Ding Ning durch, die am Samstag um 17 Uhr um den Weltmeistertitel spielen.
Ergebnisse und kommende Partie im Überblick
Herren-Einzel, Achtelfinale (Auszug)
Bastian Steger - Ma Lin CHN 0:4 (-7,-7,-7,-3)
Timo Boll - Dimitrij Ovtcharov 4:2 (7,6,-11,-13,0,8)
Viertelfinale am Samstag
Wang Hao CHN - Jun Mizutani JPN, 13 Uhr
Ma Lin CHN - Ma Long CHN, 13.45 Uhr
Zhang Jike CHN - Wang Liqin CHN, 14.30 Uhr
Timo Boll GER - Chen Qi CHN, 15.15 Uhr
Halbfinals und Finale am Sonntag
Damen-Einzel, Halbfinale
Li Xiaoxia CHN - Guo Yue CHN 4:0 (5,6,7,8)
Ding Ning CHN - Liu Shiwen CHN 4:2 (-11,9,-8,6,8,6)
Finale am Samstag
Li - Ding, 17 Uhr
Herren-Doppel, Halbfinale am Samstag
Ma Long/Xu Xin CHN - Jung Young Sik/Kim Min Seok KOR, 10 Uhr
Chen Qi/Ma Lin CHN - Wang Hao/Zhang Jike CHN, 11.30 Uhr
Finale um 18 Uhr
Damen-Doppel, Halbfinale am Samstag
Guo Yue/Li Xiaoxia CHN - Kim Kyung Ah/Park Mi Young KOR
Ding Ning/Guo Yan CHN - Jiang Huajun/Tie Yana HKG
Finale am Sonntag um 14 Uhr
Gemischtes Doppel, Halbfinale
Hao Shuai/Mu Zi CHN - Seiya Kishikawa/Ai Fukuhara JPN 4:0 (4,9,4,5)
Zhang Chao/Cao Zhen CHN - Cheung Yuk/Tie Yana HKG 4:1 (7,-7,8,7,9)
Finale
Zhang/Cao - Hao/Mu 4:1 (7,7,9,-9,8)