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Das ging besser als gedacht: Timo Boll gewinnt 4:1 gegen Chen Qi (Foto: MS)

Timo Boll verzaubert die Niederlande und hat seine erste WM-Medaille sicher

SH 13.05.2011

Rotterdam. Timo Boll konnte gar nicht verlieren. Wie Welle der Euphorie durchflutete ihn schon bei der Vorstellung der Spieler in der Box. Als der niederländische Hallensprecher Chen Qi aus China ankündigte, erntete dieser freundlichen Applaus, bei "And from Germany: Timo Boll", brachen die Dämme bei den knapp 8000 Zuschauern in der Arena, darunter mehrere Hundert deutsche Fans. Lauter Jubel und riesen Applaus, Gänsehautatmosphäre. Die Gastgeber in den Niederlanden war vorbereitet auf den deutschen Publikumsliebling, spielten einen deutschen Schlager in der zweiminütigen Einspielzeit: Dass es Marianne Rosenbergs "Ich bin wie du" war, wird R&B-Fan Timo Boll verschmerzen können.

Musikalisch passender war, was in einer der Satzpausen folgte: „Your unbelievable“ von EMF. Denn unglaublich hat Timo Boll gespielt, unglaublich gut. Wie beflügelt begann der 13-fache Europameister das erst zweite WM-Viertelfinale im Einzel seiner Karriere. Er las die gefährlichen Aufschläge seines Gegner perfekt, vermied es, dessen große Stärke, den Vorhand-Topspin mit der phänomenalen Beschleunigung, in Szene zu setzen. Vom 5:11 blieb Chen Qi jedoch im zweiten Satz unbeeindruckt, erhöhte den Druck, spielte risikoreicher und wurde belohnt: 11:5, Satzausgleich. Im dritten Satz dann war der Deutsche der Aktivere, zwang Chen zunehmend in die Passivität auf der etwas schwächeren Rückhandseite. Auch dieser Durchgang endete schnell mit 11:6. Der vierte Durchgang war erneut geprägt von Boll, der stets mit drei, vier Punkten in Führung lag und diesen Vorsprung hielt bis zum Schluss.

Im fünften Satz war der Weltranglistenzweite endgültig wie im Rausch, ergriff zuerst die Initiative und erahnte die Bälle seines Gegners, bewegte sich blendend, feuerte sich unentwegt an und hatte auch das nötige Quäntchen Glück auf seiner Seite. Chen Qi konnte nur noch reagieren, auch das Time-out von Chinas Herren-Cheftrainer Liu Guoliang beim 4:1 brachte ihn nicht zurück ins Match. Um 16:46 und elf Sekunden Uhr verwandelte Timo Boll seinen ersten Matchball. Die Halle tobte. Boll hat die Niederlande bezaubert und seine erste WM-Medaille sicher. Es ist das erste Einzeledelmetall seit 42 Jahren für den Deutschen Tischtennis-Bund, seit Eberhard Schölers zweitem Platz bei der WM 1969.

Matchball verwandelt, Erleichterung riesig: Timo Boll (Foto: MS)Erst bei 10:3 im fünften Satz war Boll sicher zu gewinnen

"Die Erleichterung ist sehr groß. Erst als ich 10:3 im fünften Satz geführt hatte, war ich mir sicher, dass nichts mehr anbrennen kann", bekannte Boll. "Da hat man mir, glaube ich, die Freude auch angesehen nach dem Matchball." Die noch fehlende Einzelmedaille sei ein Makel auf seiner Karriere gewesen. "Seit ungefähr zehn Jahren bin ich in den Top Ten, habe bei Weltmeisterschaften aber nie so richtig gut gespielt."

Es war auch ein emotionaler Augenblick für den Wahl-Düsseldorfer: "Das sind Momente, die man nicht oft hat im Leben", sagte Boll. "Die muss ich mir irgendwo auf meiner inneren Festplatte sichern. Das genieße ich jetzt auch." Er habe das richtige Maß gefunden zwischen Anspannung und Lockerheit. "Sonst wäre ich während des ganzen Turniers bisher auch nicht so locker gewesen."

Taktik ging auf: Chen Qis Aufschläge und Vorhand entschärft

Die Taktik von Timo Boll und Bundestrainer Jörg Roßkopf ist aufgegangen: "Der Schlüssel zum Erfolg gegen Chen Qi war, seine Vorhand weitgehend auszuschalten. "Wenn er dazu kommt, gibt es keinen Spieler auf der Welt, der damit mehr Druck macht", erklärte Roßkopf, der Doppel-Weltmeister von 1989 und deutsche Rekordnationalspieler. "Timo hat außerdem seine Aufschläge exzellent gelesen und ist aggressiv in sie hineingegangen. Auf jeden halblangen Ball hat er sofort das Spiel eröffnet." Roßkopf war froh, dass seinen Schützling der glatt verlorene zweite Durchgang unbeeindruckt ließ. "So ein Satzverlust kann schnell mal passieren. Es ist eine Stärke von Timo, dass er solche Situationen gut wegsteckt."

In diesen Momenten war Timo Boll nicht allein. Das Publikum stand hinter ihm. Nach Spielende bedankte er sich für die großartige Unterstützung durch die Zuschauer. "Ich habe schon gemerkt, dass sie auf dieses Spiel gewartet haben. Nach den China internen Vergleichen waren sie wohl froh, dass sie bei meinem Spiel ein bisschen aus sich herausgehen konnten. Die Zuschauer haben mich gepusht und Chen Qi vielleicht ein bisschen eingeschüchtert."

Er hoffe auch im Halbfinale morgen auf den "Heimvorteil" in den Niederlanden, weiß aber auch: "Es wird allein an mir liegen, Zhang Jike zu schlagen. Ich bin in guter Form und hoffe, dass er Nerven zeigt." Im März hatte Boll zwar bei den German Open und dem darauffolgenden Euro-Asia-Vergleich in China gegen den Weltranglistendritten verloren, ihn aber im Halbfinale der Qatar Open einen Monat zuvor besiegt. "Timo kann aus solchen Matches wie bei den German Open viel und schnell lernen", kommentierte Jörg Roßkopf. "In das 50-50-Spiel morgen wird Timo mit viel Selbstvertrauen gehen."

Weitere deutsche Stimmen zum Viertelfinalsieg Timo Bolls

Thomas Weikert, Präsident des Deutschen Tischtennis-Bundes: "Wenn ich nicht nervös gewesen wäre, wäre ich wohl in der falschen Position beim DTTB. Dies ist ein ganz besonderer Moment. In der Form, die Timo hier bisher gezeigt hat, ist das Turnier noch lange nicht für ihn beendet. Wir haben alle lange auf diesen Erfolg gewartet. Er ist sehr wichtig für unsere kommenden Ziele bei den Mannschaftsweltmeisterschaften 2012 in Dortmund und den Olympischen Spielen in London sowie für die weitere Förderung unseres Sports."

Hans Wilhelm Gäb, Ehrenpräsident: "Für mich zählt, dass ein Superathlet wie Timo Boll alle gesundheitlichen Rückschläge der Vergangenheit bei großen Turnieren weggesteckt hat. Es hat eine unglaubliche Selbstbeherrschung erfordert, über diese Enttäuschungen hinwegzukommen. Seine innere Ruhe ist ein Gottesgeschenk für einen Athleten auf diesem Niveau. Wie er all sein Können hier umgesetzt hat, ist sehr bewegend."

Heike Ahlert, Vizepräsidentin Leistungssport: "Ich freue mich tierisch und hatte eine richtige Gänsehaut. Timo hat sich überhaupt nicht aus dem Konzept bringen lassen, auch nicht durch das 0:7 im zweiten Satz."

Die Ergebnisse im Herren-Einzel in der Übersicht

Herren-Einzel, Viertelfinale

Wang Hao CHN - Jun Mizutani JPN 4:0 (5,7,5,6)

Ma Long CHN - Ma Lin CHN 4:1 (5,9,4,-4,7)

Zhang Jike CHN - Wang Liqin CHN 4:2 (9,-7,-8,9,6,7)

Timo Boll GER - Chen Qi CHN 4:1 (5,-5,6,7,3)

Halbfinals und Finale am Sonntag

Wang Hao - Ma Long, 10.30 Uhr

Boll - Zhang Jike, 11.15 Uhr

Beeindruckende Vorstellung vor großer Kulisse: Timo Boll besiegt Chen Qi (Foto: MS)

 

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