Moskau. Olympiasieger Ma Lin war für China der Mann der Stunde, Deutschlands Herren gewannen ihre dritte Silbermedaille in der Geschichte der Mannschaftsweltmeisterschaften. Im Finale der 50. Team-WM in Moskau verteidigte der große Favorit aus dem Reich der Mitte seinen Titel. Zu verdanken hatte er das vor allem einem Spieler, der heute, wie bei der gesamten WM, von keinem zu schlagen war: Ma Lin. Der zweifache Goldmedaillengewinner von Peking 2008 steuerte zwei Punkte zum Erfolg seines Teams bei, für den dritten Punkt sorgte der 21-jährige Zhang Jike.
Timo Boll konnte seine gestern schon phantastische Leistung aus dem Halbfinale gegen Südkorea heute noch einmal toppen. Der 29-jährige zehnfache Europameister in Diensten von Borussia Düsseldorf rang bei seinem 100. Länderspiel im Auftaktmatch den Weltranglistenersten nieder, Ma Long, und erzielte den so wichtigen ersten Punkt, der China in diesem Finale von Moskau unter Druck setzen sollte. DTTB-Ehrenpräsident Hans Wilhelm Gäb kommentierte die Partie: "Ein Meisterstück der Technik und Athletik, der Intelligenz und der mentalen Kraft."
Ma Lin: Ovtcharovs unangenehmster Gegner überhaupt
Dimitrij Ovtcharov (Charleroi, Belgien) zeigte im Anschluss gegen Ma Lin den gestern schon angekündigten unbedingten Siegeswillen. Die 21-jährige Nummer 15 der Welt variierte seine Aufschläge, probierte Schnitt- und Spinvariationen, doch ähnlich wie Boll brillierte auf der anderen Seite der 30 Jahre alte zweifache Olympiasieger von Peking. Nach zwei umkämpften Durchgängen setzte sich Ma Lin nach einem 3:3-Zwischenstand ab, gewann ohne Satzverlust.
Bolls Düsseldorfer DTTL- Teamkollege Christian Süß zeigte sich zu Beginn gut erholt und blendend aufgelegt trotz der gestrigen 0:3-Niederlage gegen Südkoreas Abwehrstar Joo Se Hyuk. Gegen Zhang Jike hatte er beide vorangegangenen Partien verloren. In Moskau machte er vor allem im ersten Satz viel Druck gegen den 21-jährigen Weltranglistenvierten. Süß gewann Durchgang eins schnell, spielte sich im zweiten Satz in einen wahren Rausch, bei dem ihm weder weite Laufwege noch das hohe Tempo seines Kontrahenten zu beeindrucken schienen. 5:1, 7:3, 9:6, dann glich Zhang aus, erspielte sich mit einem harten diagonalen Vorhand-Topspin in die extreme Vorhand den Satzball, den er prompt im nächsten Ballwechsel verwandeln konnte. In der Folge dominierte der diesjährige Qatar-Open-Finalist vor allem bei den Bällen über dem Tisch, sonst die große Stärke von Christian Süß. Mit 1:3 ging das Spiel für den 24 Jahre alten Mannschaftseuropameister verloren.
Während Dimitrij Ovtcharov und Ma Long sich in der Trainingshalle auf das Abschlusseinzel vorbereiteten, lieferten sich Timo Boll und Ma Lin eine Partie, die an Spannung wohl kaum zu überbieten ist. Mit 10:5 eilte der Chinese Deutschlands Nummer eins in Durchgang eins davon, doch Boll kam zurück. Er wehrte insgesamt sieben Satzbälle ab - darunter einige mit Unterstützung von Netz und Kante -, bevor er seinen eigenen mit 16:14 verwandelte. Doch der vierfache World-Cup-Sieger blieb davon völlig unbeeindruckt, zog mit 11:4 gleich und auch im dritten mit 5:0 davon, bevor Timo Boll sich gefangen hatte. Bei 7:7 hätte der Satz von Neuem beginnen können, doch Ma Lin blieb nervenstark gewann mit 11:8 und sicherte sich auch den vierten Satz mit 11:7.
Boll: "In zwei Tagen nehmen wir Glückwünsche gerne entgegen"
Timo Boll: "In zwei Tagen nehmen wir Glückwünsche gerne entgegen. Dann werden wir realisiert haben, was für eine großartige Leistung wir heute geboten haben. Wir haben nicht nur zugeschaut, sondern haben selbst mitgespielt. Das ist uns vorher noch nie gelungen. Hätten wir die kleinen Chancen, die sich uns heute geboten haben, genutzt, wären die Chinesen heute mehr als nur ins Wanken gekommen. Wenn sich beim nächsten Mal wieder so eine kleine Chance bietet wie heute, müssen wir einfach zuschnappen. Keiner von uns braucht sich irgendeinen Vorwurf zu machen. Es war eine Partie auf Augenhöhe. Wir haben alle super gekämpft."
Dimitrij Ovtcharov: "Wir haben so gut gekämpft, wie wir es uns gestern gewünscht hatten. Ma Lin ist für mich der unangenehmste Spieler überhaupt. Er killt jeden meiner Aufschläge und schlägt selbst super auf. Wären wir mit 2:0 in Führung gegangen, wäre unsere Chance dagewesen. Wir waren ganz nah dran. Es war ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn Ma Lin mal aufhört mit Tischtennis, wird's vielleicht einfacher für mich."
Christian Süß: "Heute war mehr für uns drin. Wir waren so nah dran am Gold wie nie. Vieles hat heute gestimmt. Timo war in Topform. Dimitrij stark. Ich habe sehr, sehr gut gegen Zhang Jike angefangen und war auch im zweiten Satz auf der Höhe des Geschehens. Die kleine Chance, die sich mir dort geboten hat , konnte ich leider nicht nutzen und das Blatt hat sich komplett gewendet. Keiner bekommt viele Chancen gegen China. Am Ende fehlte uns wohl das letzte Quäntchen Abgezocktheit in so einem Finale."
Bastian Steger: "Es ist sehr schade, dass wir im Finale verloren haben. Wir hatten sehr gute Chancen, heute China endlich mal zu schlagen. Leider haben wir in den entscheidenden Situationen ein, zwei Fehler gemacht. Das dürfen wir uns gegen China nicht erlauben. Gegen die Chinesen muss man jede Chance nutzen."
Patrick Baum: "Natürlich ist es super, dass wir bei dieser WM die Silbermedaille gewonnen haben. Es freut mich, dass wir heute im Finale standen. China hat einfach super gespielt und letztlich verdient gewonnen."
Richard Prause, Bundestrainer: "Es ist schwierig, diese Silbermedaille in diesem Moment zu beurteilen. Klassischerweise sagt man jetzt, dass man in ein paar Tagen von gewonnenem Silber sprechen wird. Wir hatten hier die Chance, China zu besiegen. Uns haben vielleicht zwei, drei Bälle gefehlt, durch die wir uns die Chance zum Sieg hätten erarbeiten können. Viele Chancen gibt es nicht gegen China. Wir haben ein Finale gespielt, das fast auf Augenhöhe war. China dominiert das Welt-Tischtennis immer noch, aber Deutschland ist auf einem sehr, sehr guten Weg. Seit unserem letzten Finale gegen China, dem bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking, haben wir uns weiterentwickelt. Heute haben wir bis zum letzten Ball immer an unsere Chance geglaubt. China war am Ende vielleicht zehn Prozent besser. Ich bin zwar traurig, dass ich den Deutschen Tischtennis-Bund als Bundestrainer jetzt verlassen werde, aber ich freue mich auch auf meine neue Aufgabe an der Werner-Schlager-Academy in Österreich."
Jörg Roßkopf, Assistenz- und zukünftiger Bundestrainer: "Es war ein riesen Finale und eine große Chance für uns, die Chinesen zu besiegen. Wir haben sie heute richtig in Bedrängnis bringen können. Timo hat am Limit gespielt, zwei Partien auf hohem Niveau gemacht. Gegenüber dem tollen Match gegen Oh gestern konnte er sich heute sogar noch steigern. Dimitrij hatte eine schwierige Aufgabe gegen Ma Lin, der heute sehr gut gespielt hat. Christian hatte nach 1:1 in Sätzen und 7:3 seine Chancen gegen einen sehr nervösen Zhang Jike. Ich hätte das Spiel gerne gesehen, wenn Timo mit einem 2:1 im Rücken gegen Ma Lin an den Tisch gegangen wäre."
Aufstellung im Finale
Deutschland - China 1:3
Timo Boll - Ma Long 3:2 (-9,-8,10,5,7)
Dimitrij Ovtcharov - Ma Lin 0:3 (-9,-7,-5)
Christian Süß - Zhang Jike 1:3 (7,-9,-9,-7)
Boll - Ma Lin 1:3 (14,-4,-8,-7)
Team China: Ma Long (21 Jahre, Weltranglistenposition: 1), Ma Lin (30 Jahre, WR: 4), Zhang Jike (21 Jahre, WR: 4)
Statistik
Letzte drei Begegnungen
Olympische Spiele in Peking 2008, Finale
Deutschland - China 0:3
Ovtcharov - Wang Hao 0:3
Boll - Ma Lin 1:3
Boll/Süß - Wang Hao/Wang Liqin 1:3
Weltmeisterschaften in Bremen 2006, Halbfinale
Deutschland - China 1:3
Boll - Ma Lin 3:2
Süß - Wang Liqin 0:3
Fejer-Konnerth - Wang Hao 0:3
Boll - Wang Liqin 2:3
Weltmeisterschaften in Doha 2004, Finale
Deutschland - China 0:3
Boll - Wang Hao 0:3
Süß - Ma Lin 1:3
Fejer-Konnerth - Wang Liqin 1:3
Bilanz
Deutsche - China: 0:18 (1959 - 2008)
Gold hat eine deutsche Herren-Mannschaft noch nie gewonnen. Heute ist erst das dritte Mal, dass ein Männer-Team überhaupt im Endspiel steht:
1969: Bernt Jansen, Wilfried Lieck, Martin Ness, Eberhard Schöler
2004: Timo Boll, Zoltan Fejer-Konnerth, Jörg Roßkopf, Christian Süß, Torben Wosik
Head-to-heads
Timo Boll - Ma Long 2:7 (letzter Sieg beim World Cup 2008 mit 4:3 im Halbfinale)
Dimitrij Ovtcharov - Ma Lin 0:4 (letzter Vergleich: 0:4 bei Korea Open 2008)
Christian Süß - Zhang Jike 0:2 (letzter Vergleich: 0:4 bei German Open 2010)
Boll - Ma Lin 4:12 (letzter Sieg beim letzten Vergleich: 4:3 im Finale der Qatar Open 2009)
Ovtcharov - Ma Long 0:4 (letzter Vergleich: 0:4 im Viertelfinale der German Open 2010)